Petra Pau - Vereinbarte Debatte zum Thema Sterbehilfe
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Die mündlichen Fragen auf Drucksache 20/1816 werden in der üblichen Reihenfolge aufgerufen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Bildung und Forschung auf. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Jens Brandenburg bereit.
Ich bitte, zügig die Plätze einzunehmen. Das gilt für die Regierungsbank genauso wie für die Reihen der Fraktionen. Gespräche kann man sicherlich, wenn sie dringend notwendig sind, nach draußen verlagern.
Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Dr. Götz Frömming auf:
Bitte, Herr Staatssekretär.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Kollege Frömming, namens der Bundesregierung beantworte ich Ihre Frage wie folgt: Ein wehrhafter Rechtsstaat muss gegen alle Auswüchse des Extremismus entschlossen vorgehen. Die Bundesregierung stellt sich extremistischen Tendenzen dauerhaft und nachhaltig entgegen. Das gilt für rechten, linken genauso wie für religiös motivierten Extremismus gleichermaßen. Daher fördert die Bundesregierung eine Vielzahl von Programmen und Maßnahmen.
Im Bundesprogramm „Demokratie leben!“ werden aktuell fünf Modellprojekte und ein Kompetenzzentrum zur Prävention von linkem Extremismus gefördert, die präventiv-pädagogische Bildungskonzepte erproben und forschend tätig sind. Die jeweiligen Fördersummen sind der Website des Bundesprogramms zu entnehmen.
Die Bundeszentrale für politische Bildung setzt sich mit Extremismus in der Gesellschaft und dessen Prävention im Rahmen eines phänomenübergreifenden Ansatzes auseinander. Durch die phänomenübergreifende Ausrichtung der Maßnahmen ist eine valide Zuteilung der Mittel auf die verschiedenen Phänomenbereiche nicht möglich.
Zahlreiche weitere Maßnahmen richten sich zudem phänomenübergreifend gegen Extremismus und widmen sich dessen Prävention. Eine Aufschlüsselung der aufgewendeten Mittel für einzelne Phänomene ist nicht möglich.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Staatssekretär, vielen Dank für Ihre Auskunft. Ich muss sagen, ich bin schon etwas verwundert, weil Sie sich um den eigentlichen Kern der Frage schon etwas herumgedrückt haben; denn wir wollten auch wissen, welche konkreten Projekte die Bundesregierung im Bereich des Linksextremismus fördert. Im Bereich des Rechtsextremismus sind eine ganze Reihe von Projekten bekannt, die auch immer dargestellt werden. Hier haben wir bis zu 17 große Projekte. Die Summen, die für die Bekämpfung des Rechtsextremismus oder auch den sogenannten Kampf gegen rechts bereitgestellt werden, erreichen inzwischen astronomische Höhen. Inzwischen ist das bis zu 1 Milliarde Euro. Selbst beispielsweise die Vertreter der Bundeszentrale für politische Bildung haben eingeräumt, sie wissen gar nicht, wie sie dieses Geld ausgeben sollen. Meinen Sie nicht, dass es sinnvoll wäre, die Mittel etwas gleichmäßiger zu verteilen? Denn auch die Statistik des BKA zeigt ja, dass der Linksextremismus ein mindestens ebenso großes Problem wie der Rechtsextremismus ist.
Herr Kollege Frömming, ich habe eben sehr deutlich gemacht, dass wir als Bundesregierung natürlich Extremismus in all seinen Varianten und Phänomenen aktiv angehen wollen, bekämpfen wollen, dass wir insbesondere auch in der Präventionsarbeit tätig sind. Ich habe Ihnen konkrete Beispiele und Maßnahmen genannt. Das Gleiche gilt übrigens auch für die Forschungstätigkeit, die das BMBF fördert.
Sie sehen natürlich in den Statistiken, auch in den öffentlich verfügbaren Kriminalstatistiken, dass es einen deutlich stärkeren Fokus auf rechtsextremistisch motivierte Straftaten gibt. Aber gleichermaßen – auch das möchte ich hier noch einmal betonen – lassen wir links und religiös motivierten Extremismus nicht aus den Augen. Ganz im Gegenteil: Die Programme richten sich gegen alle Varianten.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Ja, vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich möchte eine Nachfrage stellen, die sich auf etwas ganz Aktuelles bezieht. Wie Sie vielleicht der Presse entnommen haben, möchte sich die Bundesinnenministerin mit dem Begriff „Heimat“ beschäftigen. Sie hat empfohlen, ihn umzudeuten. Wie beurteilen Sie das? Ist das auch ein Beitrag zur Prävention gegen Rechtsextremismus, oder ist dieser Vorstoß aus Sicht der Bundesregierung eine Einzelmeinung? Wie sehen Sie das? Brauchen wir eine Neudefinition des Begriffs „Heimat“?
Herr Kollege Frömming, zu Fragen zur Interpretation von Interviewaussagen anderer Ministerien bitte ich Sie sich an das zuständige Ministerium zu wenden.
Damit rufe ich die Frage 2 des Abgeordneten Dr. Götz Frömming auf:
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Kollege Frömming, namens der Bundesregierung antworte ich wie folgt: Die Bundesregierung will mit bester Bildung mehr Aufstiegschancen schaffen, und zwar unabhängig vom Elternhaus und auch unabhängig vom Geschlecht. Entsprechend der verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern liegt die Zuständigkeit für die Schulbildung allerdings bei den Ländern. Sie sind daher auch für die Entwicklung, Ausgestaltung und Umsetzung von Maßnahmen zur Verhinderung bzw. zum Abbau möglicher Benachteiligungen von Jungen verantwortlich. Die Bundesregierung kann im Rahmen ihrer Zuständigkeit im außerschulischen Bereich unterstützend tätig werden, wie beispielsweise durch den vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend geförderten Boys’ Day, einen bundesweiten Aktionstag zur Berufsorientierung und Lebensplanung für Jungen.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Staatssekretär, Ihre Antwort hätte ich fast erwartet. Immer dann, wenn es ungemütlich wird, verweist der Bund auf die Zuständigkeit der Länder. In anderen Punkten, wo er sich selber mit Projekten schmücken will, beispielsweise beim DigitalPakt, zieht er gerne die Kompetenz an sich. Meinen Sie nicht, dass die Benachteiligung von Jungen doch ein Thema von nationaler Bedeutung ist? Denn vorausgesetzt, dass Mädchen und Jungen gleich intelligent sind, ist es doch schon ein Skandal, dass Jungen nicht nur häufiger sitzen bleiben, sondern auch schlechtere Abschlüsse haben, häufiger sanktioniert werden und übrigens auch häufiger beim Psychiater landen als Mädchen. Sehen Sie hier nicht ein Problem, das man auf ähnliche Weise und auch bundesweit in den Blick nehmen müsste, beispielsweise durch geeignete Forschungsprojekte, um zu klären, ob vielleicht die zunehmende Feminisierung des Bildungswesens daran schuld sein könnte? Das wissen wir doch nicht genau. Oder können Sie uns erklären, warum Jungen hier so eklatant schlechter abschneiden?
Kollege Frömming, zunächst einmal ist die Zuständigkeitsverteilung im föderalen System keine Frage von Gemütlichkeit, sondern eine Frage der Verfassung, und die achten wir selbstverständlich. Ich habe eben ja sehr deutlich gemacht, dass auch wir als Bundesregierung im Rahmen unserer Zuständigkeit, beispielsweise bei unterstützenden Projekten, das Thema „Geschlechtergerechtigkeit und geschlechtergerechte Bildungschancen“ sehr ernst nehmen. Ich freue mich, dass Sie dieses Thema heute auf die Agenda setzen. Ich kann Ihnen versichern, dass auch wir als BMBF beispielsweise mit den Projekten „Schule macht stark“, „Leistung macht Schule“ etc. immer für gleichermaßen gute und beste Chancen sorgen wollen, und davon profitieren natürlich auch Jungen.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für Ihre Antwort, der ich entnehme, dass Sie hier keinen besonderen Handlungsbedarf sehen. Das ist sehr bedauerlich.
Aber vielleicht können wir doch noch etwas anregen. Sie wissen, dass es im MINT-Bereich – MINT-Bildung liegt ja uns allen am Herzen – spezielle Förderprogramme für Mädchen gibt; auch bundesweit wird das vorangetrieben. Meinen Sie nicht mit Blick auf die PISA-Erhebungen, bei denen Jungen ja eklatant schlechter abgeschnitten haben als Mädchen und bei denen die Leistungen der Jungen immer schlechter werden, dass wir vielleicht auch einmal über besondere Jungen-Leseförderprogramme nachdenken sollten, ähnlich wie es MINT-Förderprogramme für Mädchen gibt?
Kollege Frömming, wie Sie meiner Antwort entnehmen können, dass uns das Thema egal sei, kann ich nicht ganz nachvollziehen. Ich habe ja eben das Gegenteil betont und an dieser Stelle auch konkrete Beispiele genannt, etwa den Boys’ Day. Ich glaube, geschlechtergerechte Ansätze können uns sehr helfen, Bildungschancen, Aufstiegschancen und berufliche Perspektiven von Jungen zu stärken.
Zu einer Nachfrage hat der Abgeordnete Dr. Kraft das Wort.
Vielen Dank. – Herr Staatssekretär, ich bin jetzt ein bisschen verwirrt. Wir erkennen selbstverständlich die föderale Struktur und die Gewaltenteilung der Republik an. Aber ist es nicht ein bisschen wenig, wenn Sie, wie Sie gesagt haben, ein Problem erkannt haben, sich aber auf die Projekte zurückziehen, für die Sie zuständig sind, und dann die Kultusminister der Länder, mit denen Sie sich regelmäßig treffen und austauschen, nicht auf dieses Problem hinweisen, damit die Kultusminister der Länder dieses Problem, das in deren Verantwortung liegt, auch mal angehen? Wäre da nicht ein bisschen mehr Aktivität Ihres Hauses nötig?
Ich kann Ihnen versichern, Herr Kollege, dass das Bundesministerium für Bildung und Forschung, auch die Ministerin persönlich, in regelmäßigem und intensivem Austausch mit der KMK steht
zu sehr vielen aktuellen Themen und insbesondere zu Fragen des chancengerechten Zugangs zu Bildung.
Ich bitte Sie nur auch darum, Fragen, die den Zuständigkeitsbereich der Landesregierungen betreffen, tatsächlich auch an die Landesregierungen zu richten. Die können wir seitens der Bundesregierung nicht beantworten.
Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Stephan Brandner auf:
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin! Herr Kollege Brandner, namens der Bundesregierung beantworte ich Ihre Frage wie folgt: Der Angriff auf die Ukraine ist durch nichts zu rechtfertigen. Russland bricht Völkerrecht und trägt die Verantwortung für Krieg auf europäischem Boden.
Entschuldigen Sie, Herr Staatssekretär, ich glaube, Sie sind ein Stück zu weit.
Ich habe die Frage 3 aufgerufen.
Entschuldigung! In der Tat. Vielen Dank für den Hinweis. – Herr Brandner, Sie hatten zwei Fragen gestellt. Zur zweiten kommen wir gleich.
Die erste Frage beantworte ich wie folgt: Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert im Rahmen seines Foresight-Prozesses die Erstellung von Foresight-Studien durch externe Expertinnen und Experten. Im konkreten Fall, nach dem Sie gefragt haben, hat das BMBF im August 2020 die Studie „Zukunft von Wertvorstellungen der Menschen in unserem Land“ veröffentlicht. Diese wurde nicht im BMBF, sondern im Auftrag des BMBF von einem sogenannten Zukunftsbüro erarbeitet, das erfolgreich aus der Ausschreibung des BMBF im Jahr 2019 hervorgegangen war.
Als etablierte und anerkannte Foresight-Methode wurden auch im Rahmen dieser Studie expertenbasierte Szenarien entwickelt. Die im Foresight-Prozess entwickelten sechs Szenarien sind explorativ angelegt und sollten eine breite Palette möglicher zukünftiger gesellschaftlicher Realitäten beschreiben. Die damalige Hausleitung hat in der Vergangenheit mehrfach deutlich gemacht, dass das BMBF keine inhaltlichen Vorgaben für die einzelnen Szenarien gemacht hat. Aber es wurde von der damaligen Hausleitung ebenso erklärt, dass das BMBF nicht die Einführung eines Sozialpunktesystems nach chinesischem Vorbild befürwortet. Dies sehen wir heute genauso.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Es ist schön, dass Sie das nicht befürworten. Es geht ja um die Studie, die Sie gerade hier genannt haben. Wenn man sich das Sozialpunktesystem aus China anschaut, dann wird einem richtig gruselig zumute. Da werden für soziales oder möglicherweise sozialschädliches Verhalten – was auch immer das sein mag – Bonuspunkte oder Negativpunkte vergeben. Das hat dazu geführt, dass in China Millionen Menschen keine Flugtickets mehr bekommen, Millionen Menschen auch nicht mehr mit dem Zug fahren dürfen, das Internet teilweise abgeriegelt wird und sich Karriereaussichten unter Umständen verschlechtern, und es gibt weitere solcher Geschichten. Da wird einem also himmelangst, wenn man das hört.
Jetzt könnte ich mir vorstellen: Auf Deutschland übertragen, gäbe es wahrscheinlich Bonuspunkte für „Glockenläuten gegen rechts“ oder „Festkleben fürs Klima“. Das würde dann wahrscheinlich Bonuspunkte bringen. Wenn dieses System, dessen Umsetzung Sie ja nicht ausschließen, sondern nur nicht befürworten, eingeführt würde: Könnten Sie sich vorstellen, wo dann die negative Punktesystematik anfangen würde?
Herr Kollege, Sie unterstellen in Ihrer Frage Dinge, die nicht der Position der Bundesregierung entsprechen. Die Position der Bundesregierung ist dezidiert nicht, ein solches System einzuführen – ganz im Gegenteil. Sie sprechen hier über eine Studie, die als eines von vielen Szenarien untersucht hat, welche Auswirkungen ein solches System in der Zukunft hätte.
Wenn Sie sich beispielsweise einmal Bereiche der Friedensforschung anschauen, sehen Sie, dass dort auch untersucht wird, welche Auswirkungen Kriege haben. Und trotzdem ist damit noch lange nicht eine Empfehlung der Autoren oder gar des Zuwendungsgebers verbunden, in kriegerische Handlungen einzutreten. – Insofern geht Ihre suggestive Frage ein Stück weit an der Arbeit des Bildungsministeriums vorbei.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Ich habe ja nach der Bewertung der Studie gefragt und nach nichts anderem. Und das war jetzt Ihre Bewertung.
Aber es gibt ja noch andere Studien, die Sie in Auftrag gegeben haben, beispielsweise „Erkennen und Bekämpfung von digitalen Desinformationskampagnen“. Gezielte Desinformation durch Fake News, die sich im Internet verbreiten, sei zur Bedrohung für die Gesellschaft geworden und könne die politische Stimmung beeinflussen. Das Ganze wird jetzt erforscht. Vor diesem Hintergrund interessiert mich, ob dieses Forschungsvorhaben auch Desinformationskampagnen der Bundesregierung umfassen wird. Ich denke da nur an den Nutzen von Masken – Stichwort „Virenschleudern“ – und an die Planungen zur Einschränkung von Grundrechten – es hieß zuerst, niemals werde es Einschränkungen geben, und zwei Tage später kam der totale Lockdown – oder den Impfzwang – es wurde behauptet, niemals werde es einen Impfzwang geben, und plötzlich waren wir mit dem Impfzwang konfrontiert –, also drei klassische Fälle von Desinformationskampagnen seitens der Bundesregierung. Wird das in dieses Forschungsvorhaben integriert?
Ich kann Ihnen versichern, Herr Kollege, dass das Bundesministerium für Bildung und Forschung keine Desinformationskampagnen plant, sondern – ganz im Gegenteil – zusätzliche Mittel in Wissenschaftskommunikation investieren wird; damit sind wir ja in Ihrer Fraktion auf Kritik gestoßen.
Zu dieser konkreten Studie: Das, was Sie geschildert haben, ist nicht zutreffend. Nähere Informationen reichen wir gerne nach.
Damit kommen wir zur Frage 4 des Abgeordneten Stephan Brandner:
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin, vielen Dank. – Herr Kollege Brandner, diese Frage beantworte ich wie folgt: Der Angriff auf die Ukraine ist durch nichts zu rechtfertigen. Russland bricht Völkerrecht und trägt die Verantwortung für Krieg auf europäischem Boden. Wir müssen mit unseren Partnern geschlossen und mit aller Härte reagieren. Unsere Solidarität gilt der Ukraine.
Nach der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes fällt der Bereich Bildung in die Zuständigkeit der Länder. Hierzu gehört auch die Einrichtung von Willkommensklassen zur Beschulung ukrainischer Kinder. Es ist gut, dass die Länder die geflüchteten Schülerinnen und Schüler unbürokratisch willkommen heißen und den Unterricht sicherstellen. Als Bundesbildungsministerium sind wir mit den Ländern im Austausch, um einfache Lösungen zu finden. Um ein Stück ukrainischen Unterricht nach Deutschland zu holen, können digitale Formate helfen. Als Bund unterstützen wir auch mit Mitteln des DigitalPakts, dass die ukrainischen Kinder bei uns mit ihren Lehrbüchern weiterlernen können. Ich freue mich, dass die Länder hier sehr schnell ein laufendes länderübergreifendes Projekt angepasst haben.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank. – Die Generalkonsulin hat sich ja sehr diplomatisch ausgedrückt. Ich könnte mir vorstellen, dass Herr Melnyk, wenn er sich dazu geäußert hätte, vielleicht formuliert hätte: Lasst uns bloß mit eurem deutschen Bildungssystem in Ruhe! – Das wäre wahrscheinlich seine Aussage gewesen.
Und diese Ablehnung des deutschen Bildungssystems kommt ja auch bei der Generalkonsulin zum Ausdruck, wenn sie sagt, Integrationsklassen seien gar nicht notwendig, weil ein temporärer Unterricht nach dem ukrainischen Bildungssystem, sogar unter Einbeziehung ukrainischer Lehrkräfte und Bücher, die alle online verfügbar seien, möglich sei. In der Ukraine geht das, in Deutschland geht das nicht. Heißt das, dass wir hier wirklich viel von der Ukraine lernen können? Und warum funktioniert der digitale Unterricht in Deutschland nicht?
In Europa können Länder aus guten Gründen viel voneinander lernen; deshalb wollen wir die europäische Integration und den Austausch vorantreiben. Auch wir als BMBF sind zu diesen Fragen nicht nur mit den Ländern, sondern auch mit dem Bildungsministerium der Ukraine in sehr engem Austausch. Das Anliegen, dass Schüler und Schülerinnen aus der Ukraine, die gerade zu uns gekommen sind, den Kontakt zu ihrem Bildungssystem nicht verlieren – erst recht übrigens diejenigen, die kurz vor dem Schulabschluss sind –, ist durchaus berechtigt; das wird von den Ländern im Rahmen des praktisch Möglichen berücksichtigt. Gleichermaßen wird es in der Fläche in Deutschland aber nicht möglich sein, dauerhaft zwei parallele Schulsysteme laufen zu lassen.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Es geht noch mal um die Frage: Was kann man von anderen Ländern lernen? Wir alle haben noch die Ratschläge von Ex-Kanzlerin Merkel im Kopf. Winter 2020/2021: frierende Kinder in Klassenzimmern. Merkels Tipp war: Hüpft doch mal ein bisschen herum, klatscht mal ein bisschen und macht Kniebeugen, damit euch wärmer wird! – Da stellt sich mir die Frage – Merkel ist Geschichte; diese Tipps sind jetzt auch nicht besonders geistreich gewesen –: Hat die Bundesregierung zwischenzeitlich Möglichkeiten genutzt, um sich auf solche Extremsituationen, wie sie im Winter 2020/2021 gegeben waren, besser vorzubereiten, sodass es nun Besseres gibt als Hinweise auf Hüpfen, Klatschen und das Öffnen der Fenster? Haben wir da irgendwas vom Ausland gelernt?
Sie haben eben schon ein Beispiel genannt, und das ist das Thema der Digitalisierung in der Bildung, das wir als neue Bundesregierung auf die Agenda gesetzt haben. Wir standen schon in den vergangenen Wochen und Monaten in sehr engem Austausch mit den Ländern, um die Umsetzung des aktuellen DigitalPakts Schule zu beschleunigen. Parallel bereiten wir ein Folgeinstrument vor, den Digitalpakt 2.0. Wir wollen die digitale Bildung in Deutschland ausbauen und verbessern. Das ist eins von vielen Instrumenten, das den Präsenzunterricht aber natürlich nicht ersetzt. Ich bin froh, dass Sie diesen Punkt nennen, da Ihre Fraktion in den letzten Jahren immer dann, wenn es um digitale Bildung ging, der lauteste Kritiker war. Wenn Sie Ihre Position verändert haben, freut mich das sehr.
Damit kommen wir zur Frage 5 des Abgeordneten Tobias Matthias Peterka:
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin! Herr Kollege Peterka, namens der Bundesregierung antworte ich auf Ihre Frage wie folgt: Die Bundesregierung unterstützt die Länder und Kommunen bei der Finanzierung der Ausgaben für die Geflüchteten aus der Ukraine. Für das Jahr 2022 wird der Bund 1 Milliarde Euro als Beteiligung an den Kosten im Bereich Kinderbetreuung und ‑beschulung sowie Gesundheits- und Pflegekosten über einen erhöhten Anteil an der Umsatzsteuer bereitstellen. Die Betreuung und Beschulung von Kindern und Jugendlichen liegt in der Zuständigkeit der Länder. Die für Bildung und Wissenschaft zuständigen Ministerinnen und Minister von Bund und Ländern haben im Rahmen der 377. Sitzung der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland, KMK, die „Lübecker Erklärung zum Krieg in der Ukraine und seinen Auswirkungen“ vom 11. März 2022 verabschiedet, der sich Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger angeschlossen hat.
Darüber hinaus fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung Projekte der Stiftung „Lesen“, beispielsweise „Lesestart 1-2-3“ und „Lesestart: Weil uns Lesen weiterbringt. Ein Projekt für Kinder mit Fluchterfahrung“. Mehrsprachig aufwachsenden Kindern und Kindern mit Fluchterfahrung, darunter Mädchen und Jungen aus der Ukraine, wird mit diesem Programm ab dem ersten Lebensjahr ein erster Zugang zur deutschen Sprache eröffnet, dies bereits in Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften. Das Projekt „Lesestart 1-2-3“ stellt altersgerecht entwickelte Bücher bereit und eine Information für Eltern, die in zehn Sprachen, unter anderem in Ukrainisch, bereitgehalten wird.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank für diese Ausführungen. – Sie flüchten sich ja immer – je nachdem – in die Länderzuständigkeiten oder stellen Projekte dar, die Sie begrüßenswerterweise anscheinend auf Bundesebene auflegen. Das halte ich für etwas inkonsequent. Der Kollege Kraft hat auch schon auf die KMK hingewiesen, wo ja meines Wissens der Bund in ständigem Austausch mit den Kultusministern der Länder steht.
Jetzt aber zu meiner Frage. Dass Sie erhebliche Summen zur Verfügung stellen, um die Beschulung der Flüchtlingskinder aus der Ukraine zu unterstützen, finde ich löblich. Jedoch entstehen dadurch keine Lehrkräfte. Wir wissen alle: Es gibt einen erheblichen Lehrkräftemangel. Wie wird der angegangen? Wird vielleicht auch auf ukrainische Lehrer zurückgegriffen?
Herr Kollege, in der Tat stehen wir mit den Ländern in sehr engem Austausch dazu. Sie kennen aus der öffentlichen Diskussion vermutlich auch entsprechende Initiativen der Länder, beispielsweise aus der Ukraine geflüchteten Lehrkräften eine Perspektive in Deutschland zu bieten. Die KMK hat eine Taskforce Ukraine zur zentralen Koordinierung eingesetzt, um geflüchteten ukrainischen Schülerinnen und Schülern sowie Lehrkräften schnell zu helfen. Als BMBF stehen wir mit dieser Taskforce in sehr engem Austausch.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Dann möchte ich noch mal thematisch an die Frage des Kollegen Brandner anknüpfen. Nehmen Sie das ernst bzw. sind Sie auf die Kritik eingegangen, dass die Meinung über das deutsche Bildungssystem in der Ukraine anscheinend nicht sehr hoch ist? Oder sehen Sie das als aufgeregte Überreaktion an? Ich möchte bitte wissen: Hat man sich in Ihrem Haus irgendwie – quasi diplomatisch – diesen Kritiken genähert?
Ich habe es ja eben erwähnt: Auch mit dem ukrainischen Bildungsministerium stehen wir in sehr engem und übrigens in lösungsorientiertem Austausch. Ich möchte betonen, was eben schon ein Thema war: dass wir natürlich auch vom ukrainischen Bildungssystem einiges lernen können. Es gibt Aspekte, wo wir besser sind, es gibt andere Aspekte – MINT-Bildung beispielsweise, digitale Bildung –, wo wir auch manche Aspekte von den Ukrainern lernen können. Ich finde, es gehört zu einem modernen Europa dazu, sich nicht immer in nationale Grenzen zurückzuziehen, sondern offen für Neues und Weiterentwicklung zu sein.
Damit kommen wir zur Frage 6 des Abgeordneten Tobias Matthias Peterka:
Bitte, Herr Staatssekretär.
Frau Präsidentin! Herr Kollege Peterka, namens der Bundesregierung antworte ich auf Ihre Frage wie folgt: Die Vereinbarung „Aktionsprogramm Aufholen nach Corona“ von Bund und Ländern zum sogenannten Coronaaufholprogramm wurde von der Vorgängerregierung verhandelt und unterzeichnet. Der von der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland zum 31. März 2022 vorgelegte Zwischenbericht zur Umsetzung des Aktionsprogramms „Aufholen nach Corona für Kinder und Jugendliche“ für die Jahre 2021 und 2022 belegt jedoch, dass das finanzielle Engagement des Bundes Impulsgeber für eine Vielzahl von breitgestreuten Ländermaßnahmen gewesen ist. Diese wurden in der zweiten Jahreshälfte 2021 aufgesetzt und begonnen, im Jahr 2022 fortgeführt und zum Teil auch weiter ausgebaut. Es handelt sich bei dem Bericht um einen Zwischenbericht. Eine Bilanz zur Umsetzung der gemeinsamen Initiative von Bund und Ländern, in der auch die Effekte der Maßnahmen dargestellt werden, ist für den vereinbarten Abschlussbericht im kommenden Jahr vorgesehen.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Mir ist natürlich bekannt, dass Sie das nicht aufgelegt haben. Dennoch sind Sie in Ihrem Haus jetzt in der Verantwortung, zu überwachen, wo die Gelder hinfließen und ob und wie sie genutzt werden. – Der Bericht enthält eine recht hohe Quote an geplanten Maßnahmen, obwohl wir demnächst schon Mitte 2022 haben. Können Sie mir eine genaue prozentuale Quote nennen, aus der hervorgeht, wie viele der Projekte wirklich abgeschlossen wurden?
Herr Kollege, die Informationen, die uns seitens der Bundesregierung vorliegen, sind exakt diejenigen, die offenbar auch Ihnen zur Verfügung stehen; Sie haben ja auf den Zwischenbericht verwiesen. Detailliertere Informationen werden sicherlich im Abschlussbericht eine Rolle spielen.
Ansonsten möchte ich noch mal darauf hinweisen: Beide Berichte beruhen auf der bereits in der vergangenen Legislaturperiode beschlossenen Bund-Länder-Vereinbarung. Jetzt nachträglich neue Kriterien einzuführen, würde bedeuten, dass wir uns seitens des Bundes mit allen 16 Landesregierungen auf eine neue Bund-Länder-Vereinbarung einigen müssten. Wie realistisch das ist, überlasse ich der persönlichen Einschätzung. Wichtig ist mir vor allen Dingen mit Blick auf künftige Maßnahmen, dass wir in solchen Fragen rechtzeitig eine wissenschaftliche Begleitung in den Blick nehmen.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Dann stimmen Sie mir wohl zu, dass man bisher das vollkommene Fehlen von solchen Erfolgskontrollkategorien feststellen kann. Das hat die Ständige Wissenschaftliche Kommission der KMK gerade festgestellt. Es gibt kein Punktesystem und keine Kontrolle, mit der der Erfolg eines Projekts, das ein Land verkündet, im Verhältnis zum eingesetzten Geld bewertet werden kann. Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie demnächst sich ein entsprechendes Punktesystem ausdenken und es dann bei der erneuten Vergabe von Milliarden Euro auch durchsetzen werden?
Herr Kollege, Sie haben auf das Impulspapier der SWK verwiesen. Auch für das BMBF gilt, dass eine evidenzbasierte Ausrichtung von Fördermaßnahmen und eine angemessene Erfolgskontrolle sowie die Umsetzung von Maßnahmen des Bundes begrüßt werden. Und in der Tat: Für künftige Programme – auch gemeinsam mit den Ländern – haben wir uns als Koalition vorgenommen, wissenschaftliche Begleitung, Erfolgskontrolle etc. zu berücksichtigen.
Die Frage 7 der Abgeordneten Canan Bayram soll schriftlich beantwortet werden.
Ich rufe auf die Frage 8 der Abgeordneten Katrin Staffler:
Bitte, Herr Staatssekretär.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Kollegin Staffler, namens der Bundesregierung beantworte ich Ihre Frage wie folgt:
Ziel der Bundesregierung ist es, die Berufsorientierung gemeinsam mit den Ländern flächendeckend auszubauen. Dafür stellt die neue Bundesregierung für das Jahr 2022 9 Millionen Euro mehr zur Verfügung, als von der Vorgängerregierung noch vorgesehen waren. Für das Jahr 2023 sind es sogar 20 Millionen Euro mehr. Zudem werden wir eine Exzellenzinitiative Berufliche Bildung auf den Weg bringen, um die Ausbildung deutlich attraktiver zu machen.
Dabei wollen wir auch die Berufsorientierung flächendeckend stärken. Bisher unterstützt die Bundesagentur für Arbeit junge Menschen nicht nur beim Übergang von der Schule zum Beruf durch konkrete Beratung und Orientierung, sondern auch durch ihr vielfältiges Onlineangebot. Mit dem Berufsorientierungsprogramm, BOP, des Bundesministeriums für Bildung und Forschung werden Schülerinnen und Schüler aller Schulformen dabei unterstützt, den für sie individuell richtigen Beruf zu finden. Prioritäten für verstärkte berufliche Orientierung setzen wir insbesondere bei der Einbindung der Gymnasien in das BOP sowie bei digitaler Berufsorientierung. Das BOP ist Teil der Initiative Bildungsketten, in der wir mit den Ländern zusammenarbeiten. Hierzu wurde die 2010 vom BMBF initiierte Initiative unter Beteiligung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, der BA und der Länder bis 2026 verlängert.
Mit dem Berufenavi bieten wir den Schülerinnen und Schülern seit 2021 ein digitales Tool an, mit dem sie sich jederzeit und an jedem Ort über Ausbildungsmöglichkeiten und berufliche Perspektiven informieren können. Das Berufenavi bietet einen zielgruppengerechten, qualitätsgesicherten Zugang zur Zielgruppe der Jugendlichen und ist auf allen mobilen Endgeräten nutzbar.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Ja, vielen Dank für die Antwort. – Jetzt waren wir ja beide Mitglieder der Enquete-Kommission „Berufliche Bildung in der digitalen Arbeitswelt“ in der vergangenen Legislaturperiode. Wir haben da auch eine ganze Reihe an Punkten erarbeitet, wie die Berufsorientierung künftig besser aufgestellt werden kann. Können wir – und, wenn ja, wann – damit rechnen, dass die Maßnahmen, die wir dort vorgeschlagen und die wir ja einstimmig, über alle Fraktionen hinweg, beschlossen haben, auch umgesetzt werden?
Frau Kollegin, ich bin dankbar, dass Sie auf diesen Bericht der Enquete-Kommission hinweisen. Das war ja in der Tat eine jahrelange, sehr intensive Arbeit. Dort entstanden viele Ideen, die eine wirklich gute Grundlage für unsere jetzigen Maßnahmen bieten. Ich habe eben schon darauf hingewiesen, dass wir im Vergleich zum bisherigen Finanzplan schon in diesem Jahr mehr Geld zusätzlich in die Berufsorientierung investieren.
Ein Punkt in der Enquete-Kommission war ja, dass wir insbesondere die Gymnasien stärker in den Blick nehmen. Ich glaube, es wäre ein Fehler, zu glauben, dass junge Menschen, die das Gymnasium besuchen, per se nur die Hochschule im Blick haben sollten. Es sollten dort in frühen Jahren auch die Perspektiven der beruflichen Bildung mit in den Blick genommen werden. Das setzen wir jetzt im Zuge dieser Maßnahmen um.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7536414 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 36 |
Tagesordnungspunkt | Vereinbarte Debatte zum Thema Sterbehilfe |