Martina Stamm-FibichSPD - Vereinbarte Debatte zum Thema Sterbehilfe
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Bürgerinnen und Bürger! Wenn wir über das Thema Suizidhilfe sprechen, dann tun wir dies oft mit einem ganz bestimmten Bild vor Augen. Wir stellen uns dann todkranke Menschen vor, die durch unendliches Leid und kaum aushaltbare Schmerzen schwer gezeichnet sind, Menschen, die einfach nicht mehr weiterleben wollen oder können, Menschen, die ihr Leben nur noch als Belastung und den eigenen Tod als Erlösung empfinden.
In seinem Urteil zur Suizidhilfe hat das Bundesverfassungsgericht die Rechte dieser Menschen gestärkt. Es hat klipp und klar deutlich gemacht, dass jeder Mensch das Recht auf selbstbestimmtes Sterben hat. Das hat auch dieses Haus zu respektieren, und deshalb stehen und sitzen wir heute hier. Gleichzeitig hat das Gericht aber betont, dass sich das Selbstbestimmungsrecht über das eigene Leben eben gerade nicht auf unheilbare Krankheitszustände oder bestimmte Lebens- und Krankheitsphasen beschränkt. Nein, es gilt für uns alle, egal ob alt oder jung, krank oder gesund.
Das Beispiel des unheilbar Kranken ist deshalb nur ein kleiner Ausschnitt aus der Realität, mit der wir jetzt umgehen müssen. Diese Realität kennt keine vorgefertigten Denkschablonen, und diese Realität umfasst Menschen, die aus den verschiedensten persönlichen Gründen ihrem Leben ein Ende setzen wollen.
Es ist nicht unsere Aufgabe, Werturteile darüber zu fällen, weshalb jemand sein Leben beenden möchte. Es ist auch nicht die Aufgabe dieses Hauses, festzulegen, wann es „akzeptabel“ ist, dass jemand sich das Leben nehmen möchte.
(Beifall der Abg. Helge Lindh [SPD] und Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])
Ich warne deshalb entschieden davor, dass sich dieses Haus eine Bewertung der individuellen Gründe für diese Entscheidung anmaßt und so bestimmten Menschen ihre Rechte vorenthält.
Wichtig ist vor allem das Folgende: Wir müssen Vorsorge dafür treffen, dass die Freiverantwortlichkeit und die Dauerhaftigkeit des Sterbewunsches zu jeder Zeit sichergestellt sind. Menschen, die sich den Tod wünschen, müssen besonders gut vor Zwang und Manipulation geschützt werden.
(Beifall der Abg. Dr. Nina Scheer [SPD] und Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])
Es liegt in unserer Verantwortung, einen rechtssicheren Rahmen hierfür zu schaffen. Wir müssen durch entsprechende Schutzbestimmungen verhindern, dass die Freiverantwortlichkeit der Entscheidung durch psychischen, gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Druck infrage gestellt wird.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN)
Gleichzeitig müssen wir aber auch sicherstellen, dass das Recht auf selbstbestimmtes Sterben nicht durch blockierendes Verwaltungshandeln eingeschränkt wird. Es braucht also einen geregelten Prozess, der den Menschen die Wahrnehmung ihres Rechtes erlaubt. Diejenigen Einrichtungen, in denen künftig Suizidhilfe geleistet werden wird, brauchen von uns die entsprechende Unterstützung, um diese neue Herausforderung gut zu bewältigen. Das sind unsere Aufgaben – nicht mehr und nicht weniger.
Klar ist für mich auch, dass es dort, wo die Freiverantwortlichkeit regelhaft nicht gewährleistet ist, etwa bei Kindern oder bei Menschen mit rechtlicher Betreuung, keine Suizidhilfe geben darf.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)
Genauso wenig kommt die Suizidhilfe per Patientenverfügung infrage, weil die Kontinuität des Sterbewunsches so nicht sichergestellt werden kann.
(Beifall der Abg. Dr. Nina Scheer [SPD], Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Kathrin Vogler [DIE LINKE])
Ich will am Ende meiner Rede noch zwei ganz wichtige Punkte ansprechen, die wir im Rahmen dieses Verfahrens ebenfalls unbedingt adressieren sollten; Kollegin Kappert-Gonther hat das schon getan. Zum einen geht es um die Stärkung der Suizidprävention und zum anderen um die Stärkung der palliativmedizinischen Versorgung. Eine Neuregelung der Suizidhilfe sollte beide Punkte mit aufnehmen, um von vornherein die Zahl der suizidwilligen Personen zu senken.
Ich weiß, dass viele Kolleginnen und Kollegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes sehr kritisch sehen. Dennoch rufe ich Sie heute dazu auf: Begreifen wir dieses Urteil als Chance! Begreifen wir dieses Urteil als Chance dafür, einen Rahmen zu schaffen, der es Menschen mit freiverantwortlichem und dauerhaftem Sterbewunsch ermöglicht, mit Würde aus dem Leben zu scheiden!
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])
Das Wort hat der Kollege Marc Biadacz aus der CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7536423 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 36 |
Tagesordnungspunkt | Vereinbarte Debatte zum Thema Sterbehilfe |