18.05.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 36 / Tagesordnungspunkt 3

Marc BiadaczCDU/CSU - Vereinbarte Debatte zum Thema Sterbehilfe

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat uns einen Auftrag gegeben, nämlich die Frage nach den gesetzlichen Regelungen zur Sterbehilfe hier im Deutschen Bundestag zu diskutieren. Diese Grundfrage des menschlichen Daseins berührt mehr als jede andere die Identität und die Individualität. In dieser Orientierungsdebatte gibt es kein Richtig und kein Falsch; es gibt kein Schwarz, es gibt kein Weiß; es gibt kein Oben, es gibt kein Unten. Das heißt aber nicht, dass diese Entscheidung keine Auswirkungen hat.

Unser Grundgesetz baut auf der Würde des Menschen auf, die in unserem christlichen Menschenbild fest verankert ist. Dazu gehört auch, dass die freie Entscheidung für selbstbestimmtes Sterben von jedem Einzelnen getroffen werden kann. Bei den gesetzlichen Regelungen kann es aber nicht alleine um die Entscheidung des Einzelnen gehen. Der gesellschaftliche und der kulturelle Umgang mit dem Tod ist prägend für eine soziale Gemeinschaft. Sterben und Tod sind nicht nur eine Privatangelegenheit; sie berühren auch die Gesellschaft als Ganzes. Richtig ist: In dieser Debatte geht es um die zentralen ethischen Fragen für unsere Gesellschaft, um Fragen über den Umgang mit dem Leben und dem Tod. Daher müssen wir als Gesellschaft die notwendigen ethischen Leitplanken diskutieren und setzen.

Papst Johannes Paul II. hat einmal geschrieben – ich zitiere –: „Der Tod zwingt den Menschen, sich die radikalen Fragen nach dem eigentlichen Sinn des Lebens zu stellen“. Das habe ich ganz persönlich erlebt, als mein Vater im Jahr 2004, als ich 25 Jahre alt war, unheilbar an Darmkrebs erkrankte und zwei Jahre später an den Lebermetastasen verstorben ist. Zeitweise waren die Schmerzen für ihn fast nicht zu ertragen. Vielleicht hat er sich manchmal auch gedacht, es wäre besser, wenn er seinem Leben und dem Leid ein Ende setzen würde. Vielleicht hat er sich gedacht, er könnte seiner Familie so das Miterleben des Leids ersparen.

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, er hat es nicht getan, und er hat mir etwas Wichtiges mitgegeben: Es gibt nicht nur Schatten und Licht, nicht nur Leid und Glückseligkeit; das Leben ist viel facettenreicher. Nach der ambulanten Chemotherapie ging mein Vater in die Kirche in meiner Heimatstadt Böblingen und zündete eine Kerze an; danach ging er in die Kneipe und hat ein Bier getrunken. Das hat mir gezeigt: Er war geprägt vom Leid; aber er hatte trotzdem noch so viel Leben in sich. Viele Erfahrungen, die er mir und meiner Familie mitgegeben hat, haben mich sehr stark und tief geprägt.

Unser Entwurf, den wir heute hier diskutieren, möchte diese freie Entscheidung über das Leben und Sterben schützen. Der Staat muss sicherstellen, dass die unumkehrbare Entscheidung zum Sterben frei und ohne jeden Druck getroffen wird. Wir brauchen in Deutschland daher einen klar definierten gesetzlichen Rahmen – nicht für das selbstbestimmte Sterben, sondern zum Schutz der selbstständigen Entscheidung über das eigene Leben. Alte und kranke Menschen dürfen nicht das Gefühl haben, dass Druck auf sie ausgeübt wird. Dies zu verhindern, ist die oberste Pflicht des Staates. Er schützt damit das Recht auf ein selbstbestimmtes und würdevolles Leben.

Ich bin davon überzeugt, dass es richtig ist, so paradox es auch klingen mag, dass bei der Frage des selbstbestimmten Sterbens immer der Schutz des Lebens und die Würde des Menschen in den Mittelpunkt zu stellen sind. Das haben wir in unserem Gruppenantrag getan. Der assistierte Selbstmord darf niemals die normale Form der Lebensbeendigung werden, insbesondere nicht für alte und kranke Menschen. Wir haben daher in unserem Gesetzentwurf klar die Regelung vorgesehen, dass die im Strafgesetzbuch erwähnte geschäftsmäßige Förderung von Selbsttötung strafbar bleibt. Den Menschen sollen nach unserem Entwurf weitreichende Hilfsangebote gemacht werden, und Werbung für attestierten Selbstmord soll strafrechtlich verboten werden.

Ich weiß, darüber kann man viel diskutieren, und darüber kann man hier in diesem Hohen Haus auch viel streiten. Aber mir geht es darum, gute Rahmenbedingungen mit diesem von uns vorgelegten Gesetzentwurf, den ich hier vertreten möchte, zu schaffen. Deswegen: Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, der Mensch steht im Mittelpunkt bei dieser Frage. Daher würde ich mich freuen, wenn Sie unseren Gesetzentwurf unterstützen würden.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Das Wort hat die Kollegin Renate Künast aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7536424
Wahlperiode 20
Sitzung 36
Tagesordnungspunkt Vereinbarte Debatte zum Thema Sterbehilfe
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