Lars CastellucciSPD - Vereinbarte Debatte zum Thema Sterbehilfe
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Warum ist der Suizid oder der assistierte Suizid eigentlich ganz klar die Ausnahme in unserer Gesellschaft? Hat das etwas mit Tradition zu tun oder mit Tabus oder mit mangelndem Zugang? Ich glaube, ganz entscheidend für die allermeisten Menschen ist ihr Lebenswille: Lebenswille, gerade wenn es auf das Sterben zugeht, Hoffnung, es könnte noch Rettung geben, noch zu erleben, dass der Enkel zur Welt kommt. Und deshalb: Ja, ich bin der Meinung, dass wir den Sterbewillen und in dieser Konsequenz auch den Suizidwillen von Menschen anerkennen müssen; aber viel mehr bin ich der Meinung, dass wir ihren Lebenswillen unterstützen müssen, so lange es möglich ist, und mit allem, was möglich ist.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP und der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])
Es kann in unserem Leben immer wieder Situationen geben, in denen unser Lebenswille wie verschüttet ist: Krisen, gesundheitlich, Zeiten der Trauer, depressive Phasen. Und dann können auch Suizidgedanken kommen. Diese Suizidgedanken – und das hat Kirsten Kappert-Gonther gesagt, ebenso Benjamin Strasser – sind in den allermeisten Fällen nicht mit einem Sterbewunsch verbunden, sondern mit dem Wunsch, nicht so leben zu müssen, wie es sich aktuell darstellt. Wir geben viel Geld für Forschung aus in diesem Bereich. Die Ergebnisse dieser Forschung sind eindeutig. Wir sollten sie in diesem Gesetzgebungsverfahren berücksichtigen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP und der Abg. Ansgar Heveling [CDU/CSU] und Kathrin Vogler [DIE LINKE])
Deswegen müsste unsere Debatte korrekterweise mit „Suizidhilfe“ überschrieben sein und nicht mit „Sterbehilfe“. Denn ein Suizidwunsch ist eben nicht automatisch mit einem Sterbewunsch gleichzusetzen.
Also geht es in den allermeisten Fällen auch nicht vorschnell darum, Möglichkeiten des Sterbens aufzuzeigen, sondern Hilfe und Unterstützung im Leben anzubieten.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP und der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])
Ich will, dass diese Hilfe und Unterstützung zum und im Leben auch künftig die Chance haben, die Menschen eher zu erreichen als Organisationen, die sich vielleicht eine momentane Schwäche eines Menschen zunutze machen und einen Weg zum schnellen Tod versprechen. Wie wir das sicherstellen, darum geht es in den kommenden Beratungen.
Eines ist für mich klar, Frau Helling-Plahr: Mit flächendeckenden, staatlich finanzierten Suizidberatungsstellen erreichen wir das genaue Gegenteil.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der AfD und der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])
Was es dagegen braucht, sind flächendeckende Beratungsangebote zur gesamten Vielfalt menschlicher Problemlagen, ausreichende Therapieplätze, Arbeitsbedingungen in Heimen, in Krankenhäusern, die den Beschäftigten Zeit für die Menschen lassen. Wir dürfen nicht nachlassen, daran zu arbeiten.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN)
Und ja, es bleiben die Fälle, in denen jemand, ob schwer erkrankt oder nicht, jung oder alt, für sich selber entscheidet: „Das war es jetzt“, und für die Selbsttötung die Hilfe anderer Menschen erbittet. Diese freie Entscheidung steht den Menschen zu. Sie kann bedauert werden; aber sie muss auch respektiert werden. Dafür müssen wir Regelungen schaffen. Die Ärzteschaft hat das mit ihrem Standesrecht bereits getan. Jetzt sind wir als Gesetzgeber gefordert und müssen regeln, unter welchen Umständen die Abgabe eines todbringenden Medikamentes nach dem Betäubungsmittelgesetz erlaubt werden kann.
So richtig es ist, diesen assistierten Suizid zu ermöglichen, so richtig ist es allerdings, einer Normalisierung des Suizids entgegenzuwirken.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN)
Warum eigentlich? Weil dann auch Gefahr für die Selbstbestimmung von Menschen droht, weil dann der Druck steigt, dass sich Menschen zu fragen beginnen: Lohnt sich das noch? Falle ich nicht nur zur Last? Was koste ich? – Diese Fragen verlangen nach der Gegenrede. Denn niemand in diesem Land soll sich überflüssig fühlen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP und der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])
Wir wollen ein gutes Land für alle sein. Deswegen bitte ich Sie: Gehen Sie unseren Weg mit, den assistierten Suizid zu ermöglichen, ohne ihn zu fördern! Ich bitte Sie um Ihre Unterstützung.
Vielen Dank.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP und der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])
Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner ist der Kollege Thomas Rachel, CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7536429 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 36 |
Tagesordnungspunkt | Vereinbarte Debatte zum Thema Sterbehilfe |