Kerstin GrieseSPD - Vereinbarte Debatte zum Thema Sterbehilfe
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Daran kann ich sehr gut anknüpfen. Auch ich sage als Erstes: In dieser Debatte steht im Mittelpunkt der Mensch, jeder Mensch, die Würde jedes Menschen. Die Würde jedes Menschen ist gleich viel wert, unabhängig davon, ob er alt, krank, leidend, behindert ist. Der Respekt vor der Würde des Menschen, vor der Würde des Lebens leitet mich in dieser Debatte.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Dabei geht es mir um zwei Dinge: erstens um die Selbstbestimmung, um den freien Willen, und zweitens – das gehört zusammen – um ein Schutzkonzept, das diese Selbstbestimmung sichert. Gerade der Schutz von vulnerablen Gruppen, von Menschen, die in Notsituationen sind, die leiden, ist wichtig. Jedes Leben hat die gleiche Würde, und niemand hat darüber zu urteilen, ob ein Leben weniger oder mehr lebenswert ist.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP und der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])
Deshalb unterstütze ich den Gesetzentwurf von Lars Castellucci und anderen. Wir wollen, wie das Bundesverfassungsgericht es vorgibt, einen assistierten Suizid nach engen Regeln ermöglichen; aber wir wollen ihn nicht fördern. Wir wollen ihn doch nicht bewerben, wir finden ihn doch nicht gut, sondern wir wollen ihn, wenn Menschen es wünschen, nach bestimmten Regeln – zweimaliges Arztgespräch mit Zeit dazwischen zum Nachdenken – ermöglichen. Aber wir wollen ihn nicht fördern, sondern wir wollen Menschen unterstützen, wenn sie leben wollen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP und der Abg. Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Ich war bei der Verkündung des Urteils durch das Bundesverfassungsgericht selbst dabei. Das Bundesverfassungsgericht hat selbstverständlich klar erklärt, dass es auch die Anwendung der Mittel des Strafrechts für möglich hält. Es hat das Strafrecht nicht ausgeschlossen; das klang hier eben so an.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP und der Abg. Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Deshalb: Ja, wir wollen mit diesem Gesetz Sterbehilfevereine regulieren. Wir wollen nicht, dass es bleibt, wie es jetzt ist, dass sie unbegrenzt machen können, was sie wollen, sondern wir wollen Regeln schaffen, nach denen der assistierte Suizid möglich ist.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Selbstbestimmung kann nicht ohne den Schutz der Schwachen funktionieren. Die Achtung vor dem Leben gebietet das. Ich will nicht, dass Menschen in Pflegeheimen unter Druck geraten – jeder, der das mal erlebt hat, weiß, wie das ist –, ihr Leben zu beenden, weil dieser Druck, dass der assistierte Suizid doch eine vermeintlich einfache, gute, schmerzfreie, schnelle Lösung wäre, da ist. Ich will, dass sie in diesen Situationen allen Schutz und alle Hilfe bekommen.
Selbstverständlich ist Sterbehilfe in Deutschland möglich. Deshalb ist der Titel der Debatte in der Tat falsch. Es geht hier um den assistierten Suizid. Hilfe beim Sterben ist in Deutschland in verschiedenen Formen möglich: palliative Sedierung, Abbruch von Behandlungen. Alles, was in Patientenverfügungen steht, ist natürlich möglich, damit Menschen frei und selbstbestimmt so leben und sterben können, wie sie wollen. Hilfe beim Sterben ist möglich. Es geht darum, wie wir die Hilfe zum Sterben so begrenzt wie möglich regeln.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP sowie des Abg. Ansgar Heveling [CDU/CSU])
Ich befürchte, dass Druck entstünde, wenn der assistierte Suizid ein Normalfall wäre. Und ich will nicht, dass wir bundesweit Suizidberatungsstellen haben, die den assistierten Suizid befördern. Stattdessen brauchen wir bundesweit Suizidprävention.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Wir brauchen Unterstützung für Menschen in diesen Notsituationen.
Kollegin Kappert-Gonther hat es schon gesagt: Erwiesenermaßen – dazu gibt es wirklich viel Forschung; das hat auch Herr Castellucci gesagt – ist der Suizidwunsch ein volatiler. Der Satz „Ich will nicht mehr leben“ bedeutet so oft: Ich will so nicht leben. – Gerade dann kann man so viel Hilfe anbieten. Ich danke allen, die sich in Hospizvereinen engagieren, die sich in der Palliativmedizin engagieren. Davon brauchen wir noch viel mehr: mehr Hilfe, mehr Begleitung, mehr Unterstützung. Niemand muss qualvoll sterben, und vor allem soll niemand alleine sterben müssen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Ich will auch deutlich sagen: Gar keine Regelung ist keine Lösung.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP und der Abg. Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Gar keine Regelung würde Sterbehilfevereinen wie dem von Herrn Kusch Tür und Tor weit öffnen. Diese Situation haben wir jetzt. Das halte ich für ethisch nicht tragbar. Wir müssen uns als Gesetzgeber dieser schwierigen Aufgabe stellen, dafür Regeln zu finden und ein gesellschaftliches Klima zu schaffen, das die Würde des Menschen in den Mittelpunkt stellt, das die Unterstützung von Menschen gerade in Notsituationen in den Mittelpunkt stellt.
Deshalb haben wir einen Gesetzentwurf entwickelt, der den assistierten Suizid nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zwar möglich macht, dafür aber ärztliche Beratung in einem zeitlichen Abstand vorsieht. Und wir haben das verbunden mit einem Antrag, der zum Ziel hat, die Suizidprävention in Deutschland zu verbessern. Wir haben außerdem ausdrücklich gesagt: Für unter 18‑Jährige geht das nicht.
Wir reden hier darüber, wie wir leben und wie wir sterben. Das hat viel damit zu tun, welches Bild wir von der Gesellschaft haben. Gerade bei diesem Thema zeigt sich, wie wir die Würde jedes Einzelnen wahrnehmen. Ich freue mich auf gute Beratungen und hoffe auf ein gutes, gemeinschaftliches Ergebnis.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Vielen Dank, Frau Kollegin Griese. – Nunmehr hat das Wort der Kollege Erich Irlstorfer, CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7536437 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 36 |
Tagesordnungspunkt | Vereinbarte Debatte zum Thema Sterbehilfe |