18.05.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 36 / Tagesordnungspunkt 3

Herbert WollmannSPD - Vereinbarte Debatte zum Thema Sterbehilfe

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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Als letzter Redner ist es natürlich nicht so leicht, hier noch Neuigkeiten zu verbreiten; aber ich versuche es am Ende meiner Rede dann doch.

Wir wissen, dass im Februar 2020 das Bundesverfassungsgericht den Strafrechtsparagrafen 217 für nichtig erklärt hat, und das mit einer Begründung auf 115 Seiten. Das Gericht hat eindeutig klargemacht, dass die Autonomie des einzelnen Menschen ihn befähigt, über sein Leben und seinen Tod selbst zu bestimmen. Das heißt, die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, umfasst auch die Freiheit, die Hilfe Dritter in Anspruch zu nehmen. Rein formal ist die Suizidabsicht nicht nur zu dulden, sondern der Suizid ist auf humane Weise sogar zu ermöglichen. Darüber hinaus ist die Suizidabsicht laut diesem Urteil weder zu begründen noch zu rechtfertigen. Dabei sind weder Alter noch Krankheit eine Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Suizidhilfe. Ich betone, dass dadurch umgekehrt niemand verpflichtet werden kann, Suizidhilfe zu leisten.

Warum kommen wir überhaupt zusammen, wenn die Fakten so eindeutig sind? Ist der Suizidhilfe damit jede Beschränkung genommen worden? Nein. Da muss ich Frau Künast widersprechen. Aber wir müssen zusammenkommen. Das Gericht hat den Gesetzgeber ausdrücklich mit einer detaillierten Regulierung der Suizidhilfe beauftragt. Dabei haben höchste Priorität: der Nachweis der Freiverantwortlichkeit, die Wohlerwogenheit und die Nachhaltigkeit des Entschlusses der Suizidwilligen. Außerdem – das wurde auch schon mehrmals betont – darf der Suizidwunsch nicht auf äußeren Druck geäußert werden.

Daher kommt der Suizidprävention natürlich mehr denn je eine enorme Bedeutung zu. Soziale Notsituationen, akute Belastungsstörungen und behandelbare Krankheiten, insbesondere aus dem Bereich der Psychiatrie, müssen sicher ausgeschlossen sein bzw. behandelt werden, um einen Suizid zu verhindern. Allein diese Beispiele zeigen, dass es einen vulnerablen Personenkreis gibt, der vor dem Entschluss, sich das Leben zu nehmen, unbedingt geschützt werden muss.

(Beifall der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])

Wer meine Rede verfolgt hat, dem wird aufgefallen sein, dass ich das Wort „Sterbehilfe“ bis jetzt nicht in den Mund genommen habe. Der Titel – das wurde auch schon gesagt – „Orientierungsdebatte zur Sterbehilfe“ ist im Grunde völlig falsch.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])

Wir reden hier über Suizidhilfe. Suizidhilfe und Sterbehilfe sind verschiedene Themenkreise. So ehrenwert ein 100. Geburtstag ist – ich bewundere das –: Das ist nicht der Kern dessen, was wir heute besprechen und demnächst beschließen müssen.

(Beifall des Abg. Michael Brand [Fulda] [CDU/CSU])

Das muss ich ganz klar so sagen. Seit jeher leisten Fachkräfte, die sich mit der Medizin am Lebensende beruflich beschäftigen, Sterbehilfe.

Auch mir, muss ich allerdings ehrlich sagen, wurden die fundamentalen Unterschiede zwischen Sterbehilfe und Suizidbeihilfe erst im Laufe der Zeit klar. Und damit wurde mir bewusst, dass es eines sehr sensiblen Regelwerkes bedarf, um Missbrauch zu verhindern.

Lassen Sie mich zum Schluss noch auf zwei ganz wesentliche Aspekte eingehen:

Mir ist überhaupt nicht klar, wie die Suizidhilfe bei Nichtvolljährigen zu regeln ist. Ich kenne auch keine Positionspapiere, die für eine Gesetzesvorlage tauglich wären, durch die Kinder und Jugendliche ausreichend gewürdigt werden. Ich möchte darauf hinweisen, dass es vor Kurzem mit dem Deutschen Ethikrat ein Onlineformat dazu gab. Gerade dieses Thema wurde sehr ausführlich diskutiert; es ist nicht abschließend zu beurteilen. Wir können uns diesem hochsensiblen Problem nicht verschließen; denn laut Bundesverfassungsgericht – das muss ich betonen – gilt das Urteil in jeder Phase der menschlichen Existenz – ich wiederhole: in jeder Phase der menschlichen Existenz –, was auch immer das zu bedeuten hat.

Die Stellungnahme des Deutschen Ethikrates ist erst im September zu erwarten; das haben uns Mitglieder dieses Rates am vorigen Mittwoch mitgeteilt. Das heißt, wir sollten jetzt nicht versuchen, vorschnell Dinge umzusetzen, die in der vorherigen Legislaturperiode versäumt wurden.

Danke.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7536441
Wahlperiode 20
Sitzung 36
Tagesordnungspunkt Vereinbarte Debatte zum Thema Sterbehilfe
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