18.05.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 36 / Tagesordnungspunkt 4

Yvonne MagwasCDU/CSU - Zukunftszentrum Europäische Transformation und Deutsche Einheit

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Am 7. Oktober 1989 feierte die greise Regierung der DDR in Ostberlin pompös den 40. Jahrestag der Staatsgründung. An diesem Tag gingen in Plauen, meiner Heimat, rund 15 000 mutige Menschen auf die Straße. Sie protestierten gemeinsam gegen die Zustände im Land.

Jörg Schneider, ein ehemaliger Wehrpflichtiger bei den Grenztruppen, hatte zuvor heimlich Flugblätter verteilt und zu dieser Demonstration aufgerufen. Wie von Geisterhand setzte sich damals der Demonstrationszug ohne erkennbare Führung in Bewegung. Erste Sprechchöre wurden laut. Die ersten Transparente für Reformen, Reisefreiheit und Frieden erschienen. Die Staatsmacht setzte Wasserwerfer ein, doch es gelang nicht, die Menge aufzulösen. Das war der Beginn der Großdemonstrationen in der DDR. Der Wille zur Veränderung und das Verlangen nach Freiheit waren stärker als die Angst vor dem Sicherheitsapparat, vor Maschinenpistolen und Wasserwerfern.

In Plauen nahm die Friedliche Revolution ihren Anfang. Ohne diese Friedliche Revolution hätte es die deutsche Einheit nicht gegeben. Die Wiedervereinigung, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist das große deutsche Glücksereignis unserer jüngeren Geschichte. Aus „Wir sind das Volk“ wurde auch damals schnell „Wir sind ein Volk“. Und es folgten beispiellose Transformationsentwicklungen in den neuen Bundesländern, ebenso wie in allen Ländern Mittel- und Osteuropas. Schmerzhaft waren sie gleichwohl. Sie haben Narben hinterlassen. Aber wenn man heute durch unsere Städte und Gemeinden geht, sieht man auch, was alles entstanden und gelungen ist.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Auch die europäische Einheit, meine Damen und Herren, ist damit fest verbunden; ein weiterer großer Glücksfall, auch und gerade für uns Deutsche.

Meine Fraktion unterstützt die gute Idee eines Zentrums für Europäische Transformation und Deutsche Einheit. Diese wurde von der Kommission „30 Jahre Friedliche Revolution und Deutsche Einheit“ der letzten Bundesregierung erarbeitet. Wir danken allen Mitgliedern für die Arbeit, und wir begrüßen auch das erarbeitete Konzept, welches auf drei Säulen fußt: Wissenschaft, Kultur sowie Dialog und Begegnung.

Die staatlichen, wirtschaftlichen und die gesellschaftlichen Veränderungen seit 1989 und 1990 und ihre Auswirkungen auf die Menschen sind bisher sehr wenig systematisch erforscht. Aus diesen Erfahrungen und mit dem europäischen Blick können wir für die kommenden Transformationen auch wertvolle Schlüsse ziehen. Wir sollten auch heute schon definieren, wie wir diese wissenschaftlichen Erkenntnisse für nachfolgende Generationen nutzbar machen. Wie finden sie zum Beispiel ihren Weg in die Schulbücher?

Für ebenso wichtig halte ich das geplante Vorhaben, neue Formate des Gesprächs zwischen Bürgerschaft, Fachleuten und Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern zu finden. „ Wir müssen reden“ trifft es ziemlich gut. Es besteht innerdeutscher und grenzüberschreitender Gesprächsbedarf, immer noch und immer wieder. Dem sollten wir Raum geben.

Jetzt gibt es eine Vielzahl von guten Ideen, Bewerbungen, und vor allem gibt es eine breite Debatte. Die sehen wir aber noch am Beginn. Wir plädieren also dafür, jetzt nichts zu überstürzen, uns eher ein paar Monate mehr Zeit zu nehmen und die Fenster und Türen der Diskussion weit offenzuhalten, natürlich dann mit einem Ergebnis zum Standort, vor allem aber zum Konzept. Der Deutsche Bundestag, wir als Abgeordnete, sollten dabei ein sehr zentraler Akteur sein.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen uns unbedingt mit einem Impuls aus der Zivilgesellschaft – getragen unter anderem auch von fünf ehemaligen Kommissionsmitgliedern – befassen. Sie fordern – ich zitiere – eine Weiterentwicklung zu einem Europäischen Freiheits- und Zukunftszentrum, „das die politischen und kulturellen Bündnisse zwischen der deutschen Zivilgesellschaft und den europäischen Nachbarn stärkt, um gemeinsam Freiheit und Demokratie gegen autoritäre Herrschaft zu verteidigen.“ Im Angesicht der aggressiv-imperialistischen Politik des autokratischen Putin-Russlands spricht vieles dafür, dies einzubinden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es gibt auch schon Vorbilder in den Europaregionen, beispielsweise in der Euregio Egrensis. Hier haben Bayern, Sachsen, Thüringen und Tschechien gemeinsam schon viel Erfahrung mit großen wie kleinen grenzüberschreitenden Projekten. An dieser Nahtstelle zwischen Mittelosteuropa, Ost- und Westdeutschland werden Transformationsprozesse gemeinsam erlebt und bewältigt, und diese gilt es wissenschaftlich mehr zu nutzen.

Zum Schluss, lieber Herr Präsident: Auch die weiteren guten Empfehlungen der Regierungskommission sollten umgesetzt werden, beispielsweise das angedachte ostdeutsche Begabtenförderungswerk. Nun, liebe Bundesregierung, lieber Carsten Schneider, seid ihr gefragt und gefordert.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vielen Dank, Frau Kollegin Magwas. – Sie haben gesehen, dass mein schleswig-holsteinisches Herz den Sachsen gegenüber sehr, sehr großzügig war.

Nächster Redner ist der Herr Staatsminister Carsten Schneider für die Bundesregierung.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7536445
Wahlperiode 20
Sitzung 36
Tagesordnungspunkt Zukunftszentrum Europäische Transformation und Deutsche Einheit
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