19.05.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 37 / Tagesordnungspunkt 8

Friedrich MerzCDU/CSU - Regierungserklärung zum Außerordentlichen Europäischen Rat am 30./31. Mai 2022

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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „ Ich werde mich nicht einreihen in eine Gruppe von Leuten, die für ein kurzes Rein und Raus mit einem Fototermin was machen.“

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der AfD: Ein sehr guter Satz! – Zurufe von der SPD)

– Beruhigen Sie sich doch mal! – Das war ein Zitat des Bundeskanzlers aus einem Interview. Es antwortete auf die Frage, wann er denn jetzt nach Kiew reisen wolle. Herr Bundeskanzler, wen meinen Sie denn mit dieser „Gruppe von Leuten“? Meinen Sie damit – –

(Erneut Zurufe von der SPD)

– Bei Ihnen liegen aber nach dem letzten Wahlsonntag die Nerven wirklich blank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich frage Sie noch mal, Herr Bundeskanzler: Wen meinen Sie denn damit? Das sind jetzt immerhin keine Jungs und Mädels mehr, die Sie da apostrophieren, sondern eine bestimmte Gruppe von Leuten. Also, ist das die Bundestagspräsidentin? Oder sind das die drei Ausschussvorsitzenden? Ist das der Generalsekretär der Vereinten Nationen? Ist das Nancy Pelosi, die Sprecherin des amerikanischen Repräsentantenhauses? Sind das die Ministerpräsidenten aus Polen, Tschechien und Slowenien? Oder ist es etwa die Bundesaußenministerin, die heute aus guten Gründen hier nicht dabei sein kann?

Sie sprechen immer, auch in Ihrer Rede heute, so viel von Respekt. Ich möchte an dieser Stelle einfach denjenigen, die aus Deutschland diese Reise gemacht haben – der Bundesaußenministerin und der Bundestagspräsidentin –, einmal herzlichen Dank sagen und Respekt ausdrücken, dass sie diese Reise gemacht haben. Herzlichen Dank dafür!

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

– Auch aufschlussreich, dass da jetzt nur die Unionsfraktion klatscht, nicht? Aber gut.

Meine Damen und Herren, die Ukraine braucht auch weiterhin die Solidarität der internationalen Staatengemeinschaft. Und das haben Sie, Herr Bundeskanzler, mit Ihrer Regierungserklärung heute richtig und zutreffend zum Ausdruck gebracht. Das brutale Morden an der Bevölkerung der Ukraine und die sinnlose Zerstörung dieses Landes durch die russische Aggression gehen täglich weiter. Wir begreifen jeden Tag mehr, wie furchtbar dieser Krieg ist und wie tiefgreifend er die politische Ordnung nicht nur in Europa, sondern auf der ganzen Welt verändern wird.

Vor diesem Hintergrund ist es gut und richtig, dass die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union in der übernächsten Woche zu einem außerordentlichen Treffen zusammenkommen. Der Deutsche Bundestag hat Ihnen, Herr Bundeskanzler, auf dem Weg dorthin mit der gemeinsamen Entschließung, die wir mit großer Mehrheit am 28. April verabschiedet haben, eine Grundlage gegeben, welche Schritte wir aus der Mitte des Parlaments hier in Deutschland für richtig und für notwendig halten. Wir wollen und wir müssen dem Land finanziell und humanitär weiter helfen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich will an dieser Stelle herzlichen Dank sagen an alle humanitären Organisationen in Deutschland, aber auch an die vielen Familien, die geflüchtete Frauen und Mütter mit ihren Kindern aufnehmen, ihnen Schutz und Zuflucht in Deutschland gewähren. Dies ist ein großartiges Zeichen unseres Landes.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN)

Wir wollen einvernehmlich hier in diesem Haus mit Sanktionen dafür sorgen, dass dieses Putin-Regime getroffen wird, dass der gesamte militärisch-industrielle Komplex dieses Landes so hart wie möglich getroffen wird. Und, meine Damen und Herren, auch das ist Konsens hier in diesem Haus – jedenfalls in der politischen Mitte dieses Hauses –: Wir wollen und wir müssen der Ukraine mit Waffen helfen, damit dieses Land sein Recht zur Selbstverteidigung wahrnehmen kann.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Christian Dürr [FDP])

Nun stellen sich allerdings in diesem Zusammenhang, Herr Bundeskanzler, eine ganze Reihe von Fragen. Sie haben richtigerweise in Ihrer Regierungserklärung hier betont, dass mit diesen Waffenlieferungen an die Ukraine keine Eskalation dieses Konfliktes verbunden ist. Die Einschätzung teilen wir. Aber warum erwähnen Sie denn in Interviews mehrfach hintereinander genau diesen Sachverhalt und nennen Waffenlieferungen aus Europa und aus Deutschland als einen möglichen Auslöser für eine Eskalation? Das passt doch nicht zusammen, was Sie heute Morgen hier gesagt haben und was Sie immer wieder auch in Interviews zu diesem Thema sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Und dann erwecken Sie den Eindruck, dass diese Waffenlieferungen stattfinden. Die Wahrheit ist doch, dass aus Deutschland in den letzten Wochen so gut wie nichts an Waffen geliefert worden ist. Wir wissen es doch; wir können doch die Dokumente einsehen. Es wird praktisch nichts geliefert. Stattdessen versprechen sie den Gepard. Das ist ein Waffensystem, das die Ukraine gar nicht haben wollte. Das ist das komplizierteste Waffensystem, das es überhaupt gibt. Und für dieses Waffensystem gibt es keine Munition.

(Zuruf der Abg. Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP])

Was treiben Sie denn da für ein Spiel, auch mit der deutschen Öffentlichkeit, wenn es um diese Waffenlieferungen geht?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie sprechen seit Wochen von einem sogenannten Ringtausch, der da vonstattengehen soll. Der hat bis heute nicht stattgefunden. Sie erklären, dass Unternehmen, die noch Waffensysteme auf ihren Höfen stehen haben, liefern dürfen.

(Zurufe von der SPD)

Seit Wochen beklagen diese Unternehmen mittlerweile öffentlich, dass sie die Exportgenehmigungen der Bundesregierung für diese Waffenlieferungen nicht bekommen. Was ist da eigentlich los? Welches doppelte Spiel wird da eigentlich in Ihrer Regierung betrieben, meine Damen und Herren?

(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD: Oh!)

Meine Damen und Herren, ich bin geneigt, Herrn Hofreiter hier noch mal zu zitieren, der, wie ich finde, in diesem Zusammenhang gar nicht zu Unrecht, gesagt hat: „Das Problem sitzt im Kanzleramt.“ Und so scheint es in der Tat zu sein.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie sprechen dann gleichzeitig der Bundesverteidigungsministerin Ihr Vertrauen aus, einer Ministerin, die seit Wochen mehr mit Selbstverteidigungs- als mit Verteidigungspolitik beschäftigt ist.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Am letzten Wochenende ist ein Bericht in der Presse erschienen, meine Damen und Herren, der nun endgültig belegt, dass diese Ministerin das Vertrauen der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr nicht mehr erreichen wird.

(Zuruf von der AfD)

Deswegen gebe ich Ihnen den Rat: Trennen Sie sich von dieser Ministerin so schnell wie möglich.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD)

Sie werden es sowieso irgendwann in den nächsten Wochen und Monaten machen müssen. Also machen Sie es bald, damit es mit der Bundeswehr auch wieder wirklich vorangehen kann.

(Zuruf der Abg. Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann [FDP])

Vor diesem Hintergrund werden Sie verstehen, dass wir im Zusammenhang mit dem Vorschlag eines Sondervermögens über 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr besonders sorgfältig umgehen. Ja, wir sind in Gesprächen. Ob das gute Gespräche sind, sei einmal dahingestellt. Wir sind uns jedenfalls bisher nicht einig. Gut sind sie nur in einer Hinsicht: Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist die einzige Fraktion in diesem Bundestag, die bei Ihnen ist bei dem, was Sie in Ihrer Regierungserklärung am 27. Februar gesagt haben, nämlich 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr und dauerhaft mehr als 2 Prozent unseres BIP in jedem Jahr für die Verteidigung. Wir sind die einzige Fraktion, die Ihnen auf diesem Weg uneingeschränkt folgen will.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Den Widerspruch gibt es nicht von uns; den gibt es aus Ihren Regierungsfraktionen, Herr Bundeskanzler.

(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben in Ihrer Regierungserklärung das Beschaffungssystem angesprochen. Wir sind uns mit Ihnen einig, dass wir daran wirklich etwas Grundlegendes ändern müssen. Wir können diese 100 Milliarden Euro nicht noch einmal so – –

(Widerspruch bei der SPD)

– Was ist denn da Grund zur Aufregung? – Wir sind uns mit Ihnen einig, dass wir dieses Beschaffungssystem ändern wollen. Ich möchte nur heute, fast drei Monate nachdem Sie den Vorschlag gemacht haben, einmal feststellen: Es gibt aus Ihrer Koalition bis heute keinen einzigen Vorschlag dazu, wie das denn gehen soll.

(Widerspruch bei der SPD)

Also, die Beschwörung einer Notwendigkeit, was da alles geändert werden muss, ist das eine. Aber praktische Politik in der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers sehen wir bis heute nicht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dann lassen Sie mich abschließend einige Themen ansprechen, die Sie nur am Rande oder gar nicht angesprochen haben.

Ja, wir sind der Meinung, dass der Westbalkan in die Europäische Union aufgenommen werden sollte.

Wir sind mit Ihnen der Meinung, dass die Ukraine eine Perspektive für einen Beitritt in die Europäische Union haben muss.

(Zuruf von der SPD)

Aber was sagt denn die Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland auf diese Frage? Sind Sie für einen Kandidatenstatus der Ukraine, oder sind Sie es nicht?

(Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD)

Es wäre heute Morgen doch eine gute Gelegenheit gewesen, das hier im Deutschen Bundestag mal zu sagen.

Wie stehen Sie zu dem Wunsch der Ukraine, nach diesem Krieg, den wir hoffentlich bald zu Ende gehen sehen, Sicherheitsgarantien auch aus Deutschland zu bekommen? Sind Sie bereit, solche Sicherheitsgarantien zu geben, ja oder nein?

Wie soll der Wiederaufbau der Ukraine denn finanziert werden? Sie sagen: durch einen Solidaritätsfonds. Mit diesem Gedanken können wir uns durchaus anfreunden. Aber wie soll dieser Solidaritätsfonds denn finanziert werden? Sind Sie mit Teilen der EU-Kommission der Auffassung, dass dies mit zusätzlichen neuen Schulden der Europäischen Union gemacht werden soll, oder sind Sie dagegen?

(Zurufe von der SPD)

Sagen Sie uns doch Ihre Meinung zu diesen zentralen Themen, um die es dann auch geht in der Welt von morgen nach diesem Krieg.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Zwei letzte Anmerkungen. Der französische Staatspräsident hat bei seinem Besuch hier in Berlin ja vorgeschlagen, ein neues System der Integration und der Heranführung verschiedener Staaten an die Europäische Union zu entwickeln. Er hat davon gesprochen, die Demokratien der Welt um die Europäische Union herum zu einen. Wie soll das denn gehen? Wir sind dafür, dass das stattfindet. Aber wie soll es denn institutionell gehen? Sind Sie der Meinung, dass zum Beispiel der Europäische Wirtschaftsraum gestärkt werden soll, dass die EFTA möglicherweise ein Instrument sein könnte? Sind Sie der Auffassung, dass Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union auf den Weg gebracht werden sollten, um die Heranführung an die Europäische Union zu ermöglichen? Und dann haben Sie über eine Zuständigkeit der Europäischen Union überhaupt nicht gesprochen, die Sie nämlich neben der Währungspolitik fast ganz alleine hat, bei der sie aber auf die Zustimmung der Mitgliedstaaten angewiesen: Sie haben kein Wort über die Handelspolitik verloren.

(Zuruf von der SPD: 16 Jahre regiert!)

Meine Damen und Herren, ja, wir brauchen Energie. Wir brauchen Gas, wir brauchen Kohle, wir brauchen Öl aus vielen anderen Ländern der Welt. Der Bundeswirtschaftsminister ist in Katar unterwegs, um Gaslieferungen nach Deutschland zu ermöglichen. Aber warum um Gottes willen lehnen Sie bis in diese Woche hinein die Befassung des Deutschen Bundestages mit dem fertiggestellten Freihandelsabkommen mit Kanada immer wieder ab?

(Beifall bei der CDU/CSU)

Gestern im Wirtschaftsausschuss weigert sich die Mehrheit Ihrer Koalition, dieses Abkommen auf die Tagesordnung des Deutschen Bundestages zu setzen. Es weigert sich die Mehrheit Ihrer Koalition auch, einmal über die Frage zu sprechen, wie wir denn die Handelsbeziehungen zu den Vereinigten Staaten von Amerika weiterentwickeln sollen. Mit Katar Gaslieferungen zu vereinbaren und mit Kanada kein Abkommen über den Freihandel abzuschließen – Herr Bundeskanzler, Ihre Politik wird nicht glaubwürdiger dadurch, dass Sie diese Art und Weise zulassen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Zum Schluss. Sie verlieren kein Wort über den Umgang der Europäischen Union mit den zwei größten Ländern dieser Welt, nämlich mit Indien und mit China – zwei Länder, die sich in der Vollversammlung der Vereinten Nationen ihrer Stimme enthalten haben, als es um die Verurteilung der Aggression Russlands ging. Wie soll diese Europäische Union ihre Beziehungen zu Indien und China denn entwickeln angesichts dieser Weigerung, sich auf die Seite der freiheitlichen und demokratischen Staaten der Welt zu stellen? Darauf muss Europa doch eine Antwort geben. Und Europa kann nur eine Antwort geben, wenn es dazu eine Vorstellung der Bundesregierung der Bundesrepublik Deutschland gibt. Ohne Sie wird das nicht gehen, Herr Bundeskanzler. Sie müssen dazu etwas sagen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deswegen – lassen Sie mich zu der Schlussfolgerung kommen –: Wenn „Zeitenwende“ wirklich der Epochenwandel ist, den Sie in Ihrer Regierungserklärung am 27. Februar hier von dieser Stelle aus beschrieben haben, dann bleibt jedenfalls die heutige Regierungserklärung von Ihnen weit hinter den Notwendigkeiten zurück,

(Zuruf von der SPD: Stimmt doch gar nicht!)

um eine solche Zeitenwende wirklich aktiv zu gestalten. Da muss mehr kommen, Herr Bundeskanzler. Das reicht nicht zum jetzigen Zeitpunkt.

(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Zurufe von der SPD sowie der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Nächste Rednerin: für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Katharina Dröge.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7536501
Wahlperiode 20
Sitzung 37
Tagesordnungspunkt Regierungserklärung zum Außerordentlichen Europäischen Rat am 30./31. Mai 2022
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