Christian DürrFDP - Regierungserklärung zum Außerordentlichen Europäischen Rat am 30./31. Mai 2022
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! 84 Tage Krieg in der Ukraine. Man befürchtet 10 000 tote Zivilistinnen und Zivilisten, mindestens 10 000 tote ukrainische Soldaten und über 15 000 Verwundete, 13 Millionen Geflüchtete oder Vertriebene im eigenen Land. Über 30 Prozent der Infrastruktur der Ukraine sind zerstört. Die Lage in der Ukraine ist eine Tragödie. Der Angriffskrieg Russlands bleibt, meine Damen und Herren, für immer unentschuldbar. Und ich sage eins an dieser Stelle: Wir dürfen uns an die Bilder aus der Ukraine nicht gewöhnen.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das sage ich insbesondere vor dem Hintergrund der Rede meiner Vorrednerin. Wir in Deutschland, die Europäische Union, der gesamte Westen, wir müssen alles tun, was wir können, um diesen Krieg zu beenden und die Integrität der Ukraine wiederherzustellen, meine Damen und Herren. Das ist humanitäre Verpflichtung, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Es ist jetzt gerade unsere Aufgabe, die europäischen Werte der Freiheit, der Selbstbestimmung und der wirtschaftlichen Eigenständigkeit aufzuzeigen. Wir teilen diese Werte mit den Ukrainerinnen und Ukrainern. Deshalb ist es das richtige Zeichen, meine Damen und Herren, der Ukraine jetzt den europäischen Weg aufzuzeigen. Auch das will ich deutlich sagen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Konsequenzen dieses Krieges für die internationale Ordnung sind dramatisch; denn das Alte kommt nicht wieder. Die alte Welt, auch die alten Beziehungen zu Russland werden so nicht wiederkommen. Es geschieht übrigens nun das, was Russland immer verhindern wollte: Wir stehen als westliche Verbündete zusammen. Dass Schweden und Finnland jetzt den Beitritt zur NATO beantragt haben, meine Damen und Herren, ist ein richtiges und gutes Zeichen. Wir heißen Finnland und Schweden in der NATO sehr herzlich willkommen. Auch das muss deutlich gesagt werden.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Was uns als Europäerinnen und Europäer, was uns als Europäische Union in dieser Phase so wichtig ist, ist, dass wir die richtigen Zeichen setzen. Das bereits vorgesehene Ölembargo müssen wir jetzt gemeinsam durchsetzen. Sowohl der entsprechende Beschluss der G‑7-Staaten als auch die Bemühungen der EU, aus russischem Öl auszusteigen, sind das richtige Zeichen. Der Beschluss des europäischen Ausstiegs und die Unabhängigkeit von russischen Rohstoffimporten sind ein Meilenstein. Es gilt jetzt, alles dafür zu tun, diesen Beschluss so schnell es geht umzusetzen. Es kommt uns als Europäerinnen und Europäer eine ganz entscheidende Rolle zu; auch in der Welt, nicht nur innerhalb der Europäischen Union.
Wir müssen darüber hinaus erkennen, dass die Auswirkungen des Krieges weit über Europa hinausgehen. Es ist daher die globale Verantwortung der EU, insbesondere auch das Thema Nahrungsmittelknappheit in der Welt zu adressieren. In Europa beobachten wir eine starke Inflation. Anderswo bedeutet dieser Krieg eine existenzielle Ernährungskrise. 47 Millionen Menschen sind zusätzlich vom Hunger bedroht. Auch der Hunger in der Welt, meine Damen und Herren – auch das will ich sagen –, ist eine Waffe Russlands in diesem Krieg. Wir müssen verstehen: Das, was hier als Inflation daherkommt, bedeutet woanders ganz konkret Hunger. Wir sollten gerade als Europäische Union und Deutschland unseren Beitrag leisten, dagegen anzugehen. Wir haben in Europa und in Deutschland eine sehr starke Landwirtschaft. Auch die brauchen wir an dieser Stelle jetzt.
(Beifall bei der FDP)
Es geht in diesem Sommer um die Ernährungssicherheit in der gesamten Welt, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ich will etwas Zweites für die Zukunft ansprechen: Es wird jetzt bei den Verabredungen innerhalb Europas auch um die Frage des Wiederaufbaus der Ukraine gehen. Die direkte finanzielle und militärische Unterstützung steht jetzt selbstverständlich im Vordergrund. Aber die Lieferung von Waffen, die jetzt richtig ist, hat ja ein Ziel, meine Damen und Herren. Jetzt schwere Waffen zu liefern – ich bin der Bundesregierung sehr dankbar dafür, dass diese Entscheidung getroffen worden ist –, hat ein Ziel; ich will das in aller Klarheit sagen.
Ich sprach vorhin über die Integrität der Ukraine. Aber wir müssen auch jetzt darüber hinaus auf den Aufbau der Ukraine insgesamt blicken, meine Damen und Herren.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wenn wir davon reden, dass die europäische Freiheit in der Ukraine verteidigt wird, dann müssen wir auch sagen, wofür – nämlich dafür, dass Menschen dort in Zukunft in Wohlstand leben können. Das ist das Ziel der Menschen in der Ukraine. Wir wollen, dass die Ukraine wieder frei ist. Was wir uns immer bewusst machen müssen: Die Menschen in der Ukraine kämpfen für ein Danach in Freiheit und Wohlstand, meine Damen und Herren, und dabei unterstützen wir sie.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Dabei kommt uns natürlich unsere wirtschaftliche Stärke als Westen und Deutschland zugute. Diese wirtschaftliche Stärke ist zurzeit auch unsere geopolitische Stärke, meine Damen und Herren.
(Lachen der Abg. Dr. Alice Weidel [AfD])
Herr Kollege Merz, ich will zum Schluss meiner Rede sagen: All das, was Sie hier gesagt haben, war weniger eine Abrechnung mit der Bundesregierung, es war eine Abrechnung mit Ihrer eigenen Regierungsverantwortung als CDU/CSU.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das musste ja kommen!)
Das war es in Wahrheit.
Wissen Sie, Herr Merz, ich hätte mir von Ihnen etwas anderes gewünscht, da die Union selbst 16 Jahre Verantwortung für die Bundeswehr und für die Soldatinnen und Soldaten in Deutschland getragen hat.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich hätte mir etwas anderes gewünscht, meine Damen und Herren, wenn man selbst das 2‑Prozent-Ziel in Regierungsverantwortung fast nie erwähnt und in jedem Fall haushalterisch nie hochgehalten hat, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Ja, was denn? Sagen Sie es doch! Was wollen Sie denn eigentlich?)
Ich hätte mir etwas anderes gewünscht – auch vor dem Hintergrund, dass Sie jetzt zum Glück mit dem Beitritt zu unserem Antrag zum Thema „Waffenlieferung, Beitrittsperspektive usw.“ in der vorvergangenen Sitzungswoche einen anderen Kurs eingeschlagen haben und als CDU/CSU-Bundestagsfraktion jetzt glücklicherweise entschieden haben, bei einer Verfassungsänderung keinen Abzählreim mehr aufzuführen, Herr Kollege Merz.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Woher wissen Sie das?)
Ich will eines zum Schluss sagen: Wir als Ampelkoalition haben hier tatsächlich eine Zeitenwende eingeleitet. Wir liefern Waffen in Kriegsgebiete. Wir brechen die wirtschaftlichen Beziehungen mit einem ehemaligen Handelspartner ab. Wir investieren massiv in unsere Armee. Das hat es vorher nicht gegeben.
Perikles hat einmal gesagt: Der Schlüssel zum Glück ist die Freiheit. Der Schlüssel zur Freiheit ist der Mut. – Seien wir gemeinsam mutig!
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dorothee Bär [CDU/CSU]: O Gott, das war nichts!)
Nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke Amira Mohamed Ali.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7536504 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 37 |
Tagesordnungspunkt | Regierungserklärung zum Außerordentlichen Europäischen Rat am 30./31. Mai 2022 |