Gunther KrichbaumCDU/CSU - Regierungserklärung zum Außerordentlichen Europäischen Rat am 30./31. Mai 2022
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst: Wir begrüßen es, dass es heute Morgen eine Regierungserklärung des Bundeskanzlers gab; denn die Abgabe einer solchen Regierungserklärung gehört hier nicht nur zu einer festen Tradition, sondern es gehört auch zu den Rechten des Parlaments, dass sich die Regierung vor einem Europäischen Rat erklärt. Das war in den letzten Monaten etwas in Vergessenheit geraten. Aber wir werden der Regierung hier auch in Zukunft auf die Finger schauen und im Blick behalten, dass das stattfindet.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Nun, Bundeskanzler Scholz hat viel geredet, aber nichts gesagt.
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Wo ist er überhaupt?)
Wir hätten uns aber gewünscht, dass sich die Regierung erklärt.
(Christian Petry [SPD]: Dann muss man aber auch zuhören!)
Das wäre eine Chance gewesen, insbesondere im Hinblick auf die Ukraine.
Bundeskanzler Scholz spricht selbst von der „Zeitenwende“. Mir ist mittlerweile klar, warum er diesen Begriff gewählt hat: weil er für diese Wende Zeit braucht.
(Heiterkeit des Abg. Achim Post [Minden] [SPD])
Das ist aber Zeit, die die Ukraine nicht hat. Man rühmt sich, dass man mittlerweile sieben Panzerhaubitzen geliefert hat. Dabei muss man sich aber vor Augen halten, dass die Fläche der Ukraine ungefähr doppelt so groß ist wie die Fläche der Bundesrepublik Deutschland. Heruntergebrochen hieße das in Zahlen: ungefähr eine halbe Panzerhaubitze für ganz Nordrhein-Westfalen. Das ist viel zu wenig.
Deswegen: Bundeskanzler Scholz, bitte gehen Sie es an! Liefern Sie Waffen, liefern Sie das, was die Ukraine braucht! Wenn Sie heute hier erklären, einem Land bei der Verteidigung zu helfen, sei keine Eskalation, dann kann man auch tun, was die Ukraine jetzt braucht. Sie braucht keine warmen Worte, sondern Taten. Diese allein zählen in diesen bitteren Zeiten.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wir müssen darauf schauen, dass die Ukraine den Krieg militärisch nicht verliert, aber vor allem auch ökonomisch nicht kollabiert. Deswegen ist es richtig, dass die Länder der Europäischen Union hier finanziell dazu beitragen – aber bitte nicht mit dem Instrument, das für „Next Generation EU“ gewählt wurde. Gemeinsame Schulden helfen in diesem Falle nicht weiter. Vielmehr sollte eine Finanzpartnerschaft, vor allem gemeinsam mit dem IWF – dieses Stichwort ist heute noch nicht gefallen –, in den Blick genommen werden; denn hier brauchen wir auch internationale Unterstützung.
Damit das Feld komplett wird, sage ich: Nach meinem Verständnis muss immer noch derjenige für einen Schaden geradestehen, der ihn verursacht hat, und das ist Russland. Wir sollten deshalb auch völkerrechtlich alle Möglichkeiten und Wege prüfen, damit Russland herangezogen werden kann im Bereich der Reparationen. Das ist nicht einfach; das ist schwierig. Aber was ist in diesen Tagen schon einfach? Trotzdem: Russland und auch die russischen Devisenreserven müssen hier herangezogen werden.
Nun hätte ich mir im Zusammenhang mit dem Europäischen Rat auch ein klares Wort zu den Perspektiven der Ukraine – durchaus noch im Rahmen der französischen Ratspräsidentschaft – gewünscht. Bundeskanzler Scholz sagt: Ja, die Ukraine hat eine europäische Perspektive. – Ja, was heißt denn das? Ich bin der Überzeugung, dass der Ukraine der Kandidatenstatus eingeräumt werden muss,
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
und das auch noch während der französischen Ratspräsidentschaft. Damit hier keine Missverständnisse eintreten: Ein Beitrittsverfahren, erst recht für diese Länder, die jetzt anstehen, ist ein jahrzehntelanger Prozess. Da hat Präsident Macron ausdrücklich recht. Es gibt kein Schnellverfahren, kein Fast-Track-Verfahren in die Europäische Union hinein; das ließe Artikel 49 des Vertrags über die Europäische Union gar nicht zu. Es wäre auch nicht vermittelbar gegenüber den Staaten des sogenannten westlichen Balkans. Es wäre zudem auch eine Überforderung der Europäischen Union selbst, aber vor allem – und das ist ganz entscheidend – wird es nicht einmal von der Ukraine selbst eingefordert.
Nur, wir müssen doch in einem Punkt schauen: Wenn man jedenfalls mich vor etwas mehr als 30 Jahren gefragt hätte, wie die Europäische Union heute aussehen würde, hätte ich die – heute erkennbar – falsche Antwort gegeben. Deswegen sollten wir uns der Betrachtung der Perspektive bitte nicht verschließen, wie die Europäische Union in 30, in 40 Jahren aussehen wird. Da ist es eben wichtig, ein starkes Signal zu liefern, auch ein geostrategisches, etwas, wo die Europäische Union sicherlich noch hineinwachsen muss.
Und: Wir brauchen ein Modell für die Staaten, die heute der Europäischen Union nicht beitreten wollen, die ihr nicht beitreten können, die ihr noch nicht beitreten können. Lassen Sie es uns gern als eine „assoziierte Mitgliedschaft“ bezeichnen. Aber es muss glaubwürdig sein als eine Zwischenstation, nicht Endstation. Damit würde sich dieses Modell deutlich von der privilegierten Partnerschaft unterscheiden, was hier nicht vermittelbar war.
Ein letzter Satz. Wir brauchen Signale der Unterstützung für die Ukraine. Lassen Sie uns unsere Städte und Kommunen ermutigen, Städtepartnerschaften einzugehen. Das wird viel schneller gehen als ein Beitrittsverfahren in die Europäische Union. Das ist konkrete Hilfe.
Oder wie es Albanien in diesen Tagen gemacht hat: Die Stadtverwaltung von Tirana hat die Straße, in der die russische Botschaft ihren Sitz hat, umbenannt in „Straße der ukrainischen Unabhängigkeit und Freiheit“.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Nächster Redner: für die SPD-Fraktion Fabian Funke.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 37 |
Tagesordnungspunkt | Regierungserklärung zum Außerordentlichen Europäischen Rat am 30./31. Mai 2022 |