19.05.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 37 / Zusatzpunkt 2

Ralf StegnerSPD - Untersuchungsausschuss - Afghanistan 2001 - 2021

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „ Nichts ist gut in Afghanistan“, so könnte man fast wieder sagen. Im Schatten des Ukrainekrieges verschlechtert sich die Lage für die Menschen täglich. 95 Prozent der Bevölkerung können sich nicht mehr ausreichend ernähren. Besonders dramatisch ist die Situation für Kinder. Hinzu kommen massive Gewalt gegen Frauen, schwerste Menschenrechtsverletzungen, geduldet oder veranlasst durch die Machthaber der Taliban. Es ist unsere Verantwortung, hier sofort und unbürokratisch humanitäre Hilfe zu leisten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es wundert mich kein bisschen, dass der Antrag der AfD die Situation der Menschen mit keinem Wort erwähnt.

(Zurufe von der AfD)

Der AfD geht es nie um Menschen, nie um internationale Zusammenarbeit und schon gleich gar nicht um Friedenssicherung. Ihr Leitstern bleibt der Nationalismus des vergangenen Jahrhunderts. Mit dieser rostigen Ideologie haben Demokraten in diesem Hause nichts gemeinsam.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Stephan Brandner [AfD]: Machen Sie einen Änderungsantrag! Ist ja kein Problem!)

Wir haben, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, eine Verantwortung dafür, dass das deutsche Engagement in Afghanistan aufgearbeitet wird. Fehler haben alle gemacht: die internationale Gemeinschaft, die afghanische Regierung und auch wir.

(Stephan Brandner [AfD]: Nein, wir nicht!)

Nach sage und schreibe 20 Jahren Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr und deutscher Entwicklungszusammenarbeit müssen wir daraus für zukünftige Auslandseinsätze lernen und diese neu ausrichten.

(Stephan Brandner [AfD]: Sie lernen jetzt doch auch nicht!)

Dass es mit dem Denken bei Ihnen von der AfD nicht so weit her ist, habe ich ja schon ausgeführt. Leider klappt es nicht mal mit dem Lesen.

(Stephan Brandner [AfD]: Lesen Sie es doch einmal vor!)

Hätten Sie den Koalitionsvertrag der SPD mit Grünen und FDP gelesen, wüssten Sie nämlich: Wir werden einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss sowie eine Enquete-Kommission einsetzen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Stephan Brandner [AfD]: Ach, was!)

Wir werden im Juni gemeinsam mit der demokratischen Opposition den Untersuchungsausschuss auf den Weg bringen.

(Zuruf von der AfD: Warum dauert das so lange?)

Dafür brauchen wir Ihren Antrag nicht. Dass es ein bisschen länger gedauert hat,

(Stephan Brandner [AfD]: Sie denken halt langsamer als wir!)

ist der Kriegssituation in der Ukraine geschuldet, was jeder nachvollziehen kann, der über ein bisschen Urteilsvermögen verfügt; das tun Sie ja bekanntermaßen nicht. Ihrer heldenhaften Aufklärerpose bedarf es also auch diesmal nicht.

Übrigens kann Ihr Antrag auch nicht verdecken,

(Stephan Brandner [AfD]: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben, Herr Stegner!)

dass die politische Rechte kein Konzept für eine zeitgemäße europäische Außen- und Sicherheitspolitik hat.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie Ihren Fragenkatalog, auf den Sie so stolz sind, nicht wegwerfen wollen, ein kleiner Tipp von mir: Stellen Sie die Fragen im Untersuchungsausschuss, den wir einrichten, dann werden sie beantwortet.

(Agnieszka Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Besser nicht! – Zuruf des Abg. Stephan Brandner [AfD])

Wer wirklich etwas lernen will, verzichtet besser auf vorgezogene Schlussfolgerungen. Auch das disqualifiziert übrigens die heutige Debattengrundlage.

Die Ampelkoalition bekennt sich zu ihrer Verantwortung, die deutsche Außenpolitik an unseren Werten von Frieden und Freiheit, der europäischen Zusammenarbeit und den Prinzipien des Völkerrechts auszurichten.

(Stephan Brandner [AfD]: Davon haben die Toten und Verletzten aber nichts!)

Dazu gehört immer auch eine kritische Auseinandersetzung mit den Auslandseinsätzen unserer Parlamentsarmee hier im Deutschen Bundestag. In seiner Zeitenwende-Rede hat der Bundeskanzler angekündigt, dass wir mit dem Sondervermögen von 100 Milliarden Euro endlich für die anständige und zeitgemäße Ausrüstung unserer Soldatinnen und Soldaten bei der Landes- und Bündnisverteidigung, aber auch bei den Auslandseinsätzen sorgen werden.

Menschen dürfen niemals beliebige Figuren auf dem Schachbrett von Großmacht- oder Ressourceninteressen werden.

(Stephan Brandner [AfD]: Das sagen ausgerechnet Sie!)

Daher müssen Auslandseinsätze, an denen die Bundeswehr sich beteiligt, immer dem Ziel dienen, den Frieden zu sichern oder zu schaffen und humanitäre Hilfe zu leisten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Zuruf von der AfD: Das hat ja gut geklappt!)

Außenpolitische Konflikte lassen sich am Ende niemals militärisch lösen. Die Zeitenwende verlangt eine Neuordnung unserer Außen- und Sicherheitspolitik.

(Zuruf des Abg. Stephan Brandner [AfD])

Wir werden in den nächsten Monaten über komplexe Fragen von Sicherheit, Demokratie, globaler Gerechtigkeit, Rüstungskontrolle, einer neuen Friedensordnung, die dem Völkerrecht entspricht, und der Humanität reden müssen.

(Stephan Brandner [AfD]: Warum waren Sie dann in Afghanistan? Welchen Grund hatte das?)

Lassen Sie mich im Namen der SPD-Bundestagsfraktion noch einmal unseren Soldatinnen und Soldaten, den zivilen Entwicklungsexpertinnen und ‑experten und den vielen Menschen vor Ort danken. Sie haben im Auftrag des Deutschen Bundestages mit ihren Partnern viele Jahre dafür gesorgt, dass zeitweise sehr wohl beträchtliche Fortschritte eingetreten sind: bei der Rechtsstaatlichkeit, bei den Bildungschancen für Mädchen, bei Frauenrechten, bei Infrastrukturaufbau, bei Terrorismusbekämpfung.

(Zurufe von der AfD)

Gerade von unserem Programm für berufliche Bildung haben viele Tausend Menschen profitiert. Die gelernten Fähigkeiten werden noch in Jahrzehnten für Afghanistan von Bedeutung sein,

(Stephan Brandner [AfD]: Jau!)

auch wenn der Einsatz unrühmlich zu Ende gegangen ist. Das bleibt, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Alexander Müller [FDP])

Die furchtbaren Bilder vom Abzug aus Afghanistan sind uns allgegenwärtig. Die Willkür der Taliban, die Unterdrückung vieler Menschen, vor allem von Frauen und Mädchen, ist unerträglich. Täglich erreichen uns auch Anfragen verzweifelter Menschen, die das Land aus Angst um ihr Leben verlassen müssen. „ Nichts ist gut in Afghanistan“ bleibt trotzdem nur ein Teil der Wahrheit. Das Ende der Afghanistan-Mission bedeutet im Umkehrschluss nicht, dass unser Einsatz für Frieden mit anderen Partnern umsonst oder falsch gewesen wäre. Einfache Antworten sind nie richtig. Eine moderne Außen- und Sicherheitspolitik ist anspruchsvoller als die Schwarz-Weiß-Debatten in Social-Media-Blasen.

Der Untersuchungsausschuss und die Enquete-Kommission bieten uns die Gelegenheit, gemeinsam mit den demokratischen Parteien dieses Hauses konstruktiv daran zu arbeiten und aus Fehlern zu lernen.

(Stephan Brandner [AfD]: Ich dachte, Sie wollen auch mitmachen?)

– Sie reden mehr, als Sie denken. Sie sollten es mal umgekehrt halten. – Wir werden unserer Verantwortung gerecht werden und es zukünftig besser machen. Den Antrag der Rechtsradikalen lehnen wir ab.

Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Hannes Gnauck [AfD]: Kein Wort von den 59 Toten! Eine Schande!)

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Stegner. – Nächster Redner wird sein der Kollege Dr. Norbert Röttgen, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7536562
Wahlperiode 20
Sitzung 37
Tagesordnungspunkt Untersuchungsausschuss - Afghanistan 2001 - 2021
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