19.05.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 37 / Zusatzpunkt 2

Norbert RöttgenCDU/CSU - Untersuchungsausschuss - Afghanistan 2001 - 2021

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Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst ein Wort zum Antrag der AfD-Fraktion.

(Stephan Brandner [AfD]: Das ist schön!)

Der Antrag zeigt, dass Ihre Fraktion entweder das Instrument des Untersuchungsausschusses nicht verstanden hat oder dass Ihre Fraktion es missbräuchlich einsetzt.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Paul Ziemiak [CDU/CSU])

Im Zentrum eines Untersuchungsausschusses steht die Beweisaufnahme.

(Stephan Brandner [AfD]: Nein, die Untersuchung! Es heißt ja nicht Beweisaufnahmeausschuss, sondern Untersuchungsausschuss!)

Es geht um Sachverhaltsermittlung; allein darum geht es. Es geht um Sachverhaltsermittlung, Tatsachenermittlung und nicht Agitation. Die können Sie hier betreiben; die können Sie sonst wo betreiben. Aber dafür ist nicht das Instrument des Untersuchungsausschusses da.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Insofern kann ich mich noch nicht mal der Empfehlung des Kollegen Stegner anschließen, dass Sie Ihre Fragen, die Sie dort formuliert haben, im Untersuchungsausschuss stellen. Denn all diese Fragen wären unzulässig

(Stephan Brandner [AfD]: Sagen Sie!)

– das sage ich –, weil der Untersuchungsausschuss eine ganz spezifische, einzigartige Funktion hat: Er kann wie ein Richter mit richterlichen Befugnissen Beweise erheben; er kann sogar vereidigen. Das heißt, dort muss vorgegangen werden wie zu Gericht. Es müssen die Beweisanträge gestellt werden nach den Anforderungen der Strafprozessordnung.

Das Typische an Ihren Fragen ist, dass Sie mit Ihren Fragen immer gleich die Wertung und Bewertung vornehmen. Kein Richter in diesem Land dürfte, könnte, würde solche Fragen stellen; sie sind unzulässig.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Darum ist schon formal Ihr ganzer Antrag unzulänglich, und er zeigt, dass es überhaupt kein Bemühen gibt, sich mit dieser dramatischen Lage auseinanderzusetzen.

(Stephan Brandner [AfD]: Das ist doch Quatsch, Herr Röttgen! Sie wollen doch nur vertuschen!)

Das möchte ich in der verbleibenden Zeit kurz tun; denn ich bin davon überzeugt, dass es aus dem Afghanistan-Einsatz Lehren zu ziehen gibt. Wir als Fraktion sind wie auch andere Fraktionen der Auffassung, dass etwas aufzuarbeiten ist.

(Stephan Brandner [AfD]: Sie wollen vertuschen! Ein Vertuschungsausschuss!)

Ich möchte mich hier auf eine Lehre und einen Gegenstand der Aufarbeitung beziehen, den ich auch benennen möchte und der mich umtreibt.

Ich nutze die Gelegenheit, hier zu sagen, dass mich bis dahin selten in der Politik etwas so wütend und traurig gemacht hat

(Stephan Brandner [AfD]: Das glaube ich nicht! Ihre Spitzenkandidatur in NRW! – Gegenruf des Abg. Susanne Menge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kann der mal rausgehen?)

wie das Ergebnis des Abzuges der NATO-Truppen aus Afghanistan. Denn seitdem die NATO nicht mehr in Afghanistan ist, ist in dieses Land Terror, Chaos und Elend zurückgekehrt; das ist die Folge des Abzugs der NATO. Die Taliban sind zurückgekehrt. Es herrscht eine fürchterliche Hungersnot – fürchterlich! –, der Unfähigkeit und dem Chaos des Talibanregimes geschuldet. Mädchen können eben nicht mehr in die Schule gehen. Frauen können kein selbstbestimmtes Leben mehr führen. Die Scharia wird angewendet in dem Chaos dieses Landes. Das ist das Ergebnis der Entscheidung, dass die NATO abgezogen ist.

(Stephan Brandner [AfD]: Daran ist der Trump schuld, oder?)

Als die NATO da war, war eine Zeit von Freiheit, Selbstbestimmung und Stabilität,

(Zuruf von der AfD: Augenwischerei!)

die Afghanistan seit Langem und seit Jahrzehnten nicht mehr erlebt hatte. Das war die Realität.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir müssen uns damit beschäftigen, wie wir diesen – –

(Zaklin Nastic [DIE LINKE]: Der Zustand ist doch Ergebnis Ihrer Arbeit!)

– Genau das ist wieder die gewohnte Übereinstimmung von AfD und Linksfraktion in der Außenpolitik; absolute Übereinstimmung.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Sie sind der Meinung, die NATO ist schuld.

(Dr. Alexander Gauland [AfD]: Unfassbar! Sie werden es nie lernen!)

Ich bin der Meinung: Das Problem ist, dass die NATO nicht mehr da ist – das ist ja empirisch bewiesen –, weil vorher in einem großen Maß Stabilität, Freiheit und Selbstbestimmung möglich waren, und jetzt ist es wieder wie zuvor. Also müssen wir doch fragen: Was ist falsch gelaufen? Wie konnte es dazu kommen? Sie meinen: Es ist, weil die NATO da war. Ich sage: Es ist, weil die NATO nicht mehr da war.

(Stephan Brandner [AfD]: Sie sind doch freiwillig abgezogen!)

Warum ist die NATO nicht mehr da? Die NATO ist nicht mehr da, weil Präsident Trump so entschieden hat.

(Stephan Brandner [AfD]: Aha! – Beatrix von Storch [AfD]: Trump ist schuld! Jetzt haben wir es!)

„America first!“, das ist nicht mehr unser Interesse. Er hat mit den Taliban verhandelt und selbst diese Verhandlungen dadurch obstruiert, dass er einen Abzugstermin genannt hat. Die Taliban mussten nicht mal verhandeln, sie mussten nur abwarten.

(Gerold Otten [AfD]: Sehr einfach gestrickte Lösung!)

Dann kam der Amtswechsel zu Präsident Biden. Er hat im Wesentlichen mit einer viermonatigen Verzögerung diese Politik, dieses desaströse Erbe nur fortsetzen können; und die Amerikaner sind abgezogen.

(Stephan Brandner [AfD]: Er hätte sie doch dalassen können! Er ist doch der Oberbefehlshaber!)

Die Europäer wussten: Es ist falsch. Aber wir wussten auch: Wir sind nicht in der Lage, unsere Interessen zu vertreten, außenpolitisch das zu tun, was wir für richtig halten,

(Stephan Brandner [AfD]: Und warum nicht?)

weil wir die militärischen Möglichkeiten dazu nicht haben. – Das ist die Lehre und die Erfahrung daraus.

(Stephan Brandner [AfD]: Ich dachte, Frau Merkel war so toll!)

– Wenn Sie mal Ihr dummes Gerede für eine halbe Minute einstellen könnten, wäre ich Ihnen dankbar.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Sie haben außer dummen Sprüchen hier nichts beizutragen. Es stört mich auch deshalb, weil ich hier über das Elend von Menschen rede und Sie nichts anderes im Sinn haben als Ihre dummen parteipolitischen Sprüche. Es ist eine Beleidigung und Verhöhnung der Opfer.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Herr Kollege Röttgen, einen ganz kleinen Moment. – Ich teile Ihre Auffassung – das habe ich früher schon gesagt –, dass permanentes Zwischenrufen nicht der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages entspricht und auch nicht sonderlich intelligent ist. Wenn Sie was zu sagen haben, Herr Brandner, melden Sie sich. Ich lasse eine Kurzintervention auch gerne zu, wenn Sie das wollen. Aber den Redner durch dauernde Zwischenrufe zu stören, ist einfach stillos.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Stephan Brandner [AfD]: Das merken wir uns!)

– Herr Kollege Röttgen, Sie haben erneut das Wort.

Damit bin ich bei der Lehre. Wir müssen uns mit der europäischen Ohnmacht beschäftigen, die wir erlebt haben. Der amerikanische Rückzug hat europäische Ohnmacht sichtbar gemacht. Für die Amerikaner ist das einen Ozean weit entfernt. Diese Region wird auch nicht mehr Priorität der Interessen der Amerikaner werden. Aber es ist aufs Engste und untrennbar mit der Sicherheit und Stabilität in Europa verbunden, wie es in der Region in Zentralasien und im Nahen und Mittleren Osten aussieht. Das ist die Lehre, die wir ziehen müssen – um unserer Sicherheit willen und um willen unserer Verantwortung für die Menschen dort. Wir dürfen wegen unserer eigenen Interessen und wegen unserer Verantwortung europäische Ohnmacht nicht weiter dulden. Wir müssen entschieden uns selber befähigen, unsere eigenen Interessen zu vertreten, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das Zweite ist die Art und Weise des Rückzugs. Unsere Ohnmacht hat sich bis in die Art und Weise des Rückzugs, ja am Ende fast des fluchtartigen Abzugs aus Afghanistan gezeigt. Ich selber bin angerufen worden von Eltern und Schulleitungen von Kindern und Schülern, die in Afghanistan waren, deutsche Schüler afghanischer Abstammung, zu denen es keinen Kontakt gab. Wir haben Menschen zurückgelassen, mit denen wir kooperiert haben. Und das muss aufgeklärt werden. Warum waren wir auf den schlechten Verlauf der Dinge nicht vorbereitet? Wer hat wie agiert? Wie lief die Koordination? So etwas darf nicht mehr passieren. Und bevor wir zu den Wertungen kommen, müssen wir den Sachverhalt und die Tatsachen ermitteln – allerdings seriös; das ist unsere Verantwortung.

Wir wollen dieser Verantwortung gerecht werden. Die CDU/CSU-Fraktion ist in guten Gesprächen mit den Koalitionsfraktionen, um den Sachverhalt zu ermitteln, um zu ermitteln: Was ist falsch gelaufen? Es ist unsere Verantwortung, Lehren und Konsequenzen zu ziehen. Das ist das Gebot der Stunde; dem wollen wir folgen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Röttgen. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Agnieszka Brugger, Bündnis 90/Die Grünen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Und Herr Hoppenstedt kann sich schon mal überlegen, welchem Redner aus seiner Fraktion ich eine Minute abziehen darf.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7536563
Wahlperiode 20
Sitzung 37
Tagesordnungspunkt Untersuchungsausschuss - Afghanistan 2001 - 2021
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