Annika KloseSPD - Änderung des SGB II
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer/‑innen! Das von der Ampelkoalition angekündigte Bürgergeld ist die größte sozialpolitische Reform der vergangenen 20 Jahre. Und diese Reform, mit der wir Hartz IV endlich hinter uns lassen werden, ist dringend nötig.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Lukas Köhler [FDP])
Wir wollen einen Sozialstaat gestalten, der allen Menschen in diesem Land zu jedem Zeitpunkt mit Respekt und Würde begegnet, einen Sozialstaat als soziales Netz, auf das man sich verlassen kann, einen Sozialstaat, in dem unsere Bürger/‑innen keine Bittsteller/‑innen sind, sondern Inhaber/‑innen sozialer Rechte.
Ich selbst bin nicht mal 30 Jahre alt. Damit gehöre ich zu einer Generation, die mit Hartz IV aufgewachsen ist. Selbst wer das Glück hatte, nicht selbst direkt davon betroffen zu sein: Wir alle wissen, was es bedeutet, mit Hartz IV zu leben, weil es jeder von uns über Freundinnen und Freunde, Bekannte oder Familie miterlebt hat. Mit Hartz IV zu leben, bedeutet eben nicht, jederzeit mit Respekt und Würde zu leben.
Bevor die Kolleginnen und Kollegen der Union gleich wieder anfangen, Gespenster zu sehen: Ich meine damit natürlich nicht die Arbeit der Mitarbeiter/‑innen im Jobcenter; die leisten gute Arbeit.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich meine die Vorgaben, nach denen sie arbeiten müssen, und da müssen wir als Gesetzgeber unsere Arbeit machen. Wir müssen endlich die Rahmenbedingungen schaffen, damit individuelle Unterstützung möglich ist und eine Kultur des Umgangs auf Augenhöhe überhaupt entstehen kann. Ich bin der Überzeugung: Eine grundlegende Neuregelung von Mitwirkungspflichten und Sanktionen ist dafür unabdingbar. Und deswegen brauchen wir einen Cut der bisherigen Regelungen und einen Wechsel in ein neues System. Das Sanktionsmoratorium, das wir heute beschließen werden, ist dafür genau der richtige Schritt.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Lukas Köhler [FDP])
Wenn wir über das Thema Mitwirkungspflichten sprechen, wird ja häufig argumentiert – auch Montag in der öffentlichen Anhörung war das wieder zu hören –, dass Sanktionen eh nur wenige treffen und kaum verhängt werden. Das stimmt auf dem Papier.
(Kai Whittaker [CDU/CSU]: Das stimmt nicht nur auf dem Papier! Das ist auch Realität!)
Nur 3 Prozent der SGB-II-Bezieher/‑innen sind überhaupt von Sanktionen betroffen. Aber was auch zur Wahrheit gehört: Sanktionen werden deutlich häufiger angedroht, als sie verhängt werden. Unter fast jedem Brief vom Jobcenter, sei es eine Termineinladung oder eine Stellenausschreibung, ist der Hinweis zu finden, dass ein verpasster Termin oder eine fehlende Bewerbung sanktioniert werden können.
(Marc Biadacz [CDU/CSU]: Ja, natürlich! – Hannes Gnauck [AfD]: Das ist ja unglaublich!)
Wer Hartz IV bezieht, lebt aber bereits am Existenzminimum. Da schürt allein die Androhung weiterer Kürzungen existenzielle Ängste.
(Zurufe von der CDU/CSU)
Und es ist ebendiese ständig präsente Drohkulisse, welche das Machtgefälle zwischen Jobcenter und der Person im SGB‑II-Bezug immer wieder in Erinnerung ruft. Es ist die ständige Drohung, die den Menschen ihre Abhängigkeit fortwährend vor Augen führt.
(Dr. Götz Frömming [AfD]: Wer zu schnell fährt, kriegt auch ein Ticket!)
Also: Wenn wir über ein Bürgergeld sprechen und eine neue Kultur des Umgangs auf Augenhöhe mit Würde und Respekt, dann müssen wir genau dieses Problem angehen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Lukas Köhler [FDP])
Das heißt übrigens nicht, dass wir Mitwirkungspflichten aufgeben.
(Kai Whittaker [CDU/CSU]: Exakt das heißt es!)
Und das heißt übrigens auch nicht, dass zukünftig Leistungskürzungen gar nicht mehr möglich sind. Aber es heißt, dass sie zukünftig unserer Vorstellung nach das letzte Mittel sein werden – nach einer mindestens sechsmonatigen Vertrauenszeit ohne Sanktionen, auf Grundlage einer im Konsens erarbeiteten Teilhabevereinbarung, mit aufsuchender Sozialarbeit als vorgeschaltetem Regelinstrument und ohne Vermittlungsvorrang, der einen zur Aufnahme eines x-beliebigen Jobs nötigt. Das Bürger/‑innengeld macht Schluss mit der ständigen Drohkulisse.
Das einjährige Sanktionsmoratorium, das wir heute beschließen, ist der erste Schritt auf diesem Weg, und es ist ein großer Schritt. Ich danke allen, die daran mitgewirkt haben, und freue mich auf das, was noch kommt.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Der nächste Redner ist Kai Whittaker, CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7536606 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 37 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des SGB II |