19.05.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 37 / Tagesordnungspunkt 13

Jens TeutrineFDP - Änderung des SGB II

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Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei dieser Debatte geht es – das wurde von Kai Whittaker ja schon angesprochen – um das Grundprinzip des Förderns und Forderns. Das ist der Ausgangspunkt, über den wir heute debattieren, über den wir im Zusammenhang mit dem Bürgergeld erneut debattieren wollen. Unser Ansatz ist, mit dem Bürgergeld Hartz IV zu reformieren, es auf die Höhe der Zeit zu bringen und den Instrumentenkasten des Sozialstaates mit Blick auf die Herausforderungen, vor denen wir stehen, neu auszustatten.

(Marc Biadacz [CDU/CSU]: Aber es geht doch jetzt um die Sanktionen!)

Sprechen wir doch mal über eine Herausforderung, die wir auf der Seite des Förderns haben: Zwei Drittel der Langzeitarbeitslosen haben keine abgeschlossene Berufsausbildung.

(Stephan Stracke [CDU/CSU]: Sprechen Sie mal zu dem Gesetzentwurf!)

Wenn Sie fragen: „Wofür taugt die FDP?“, dann sage ich Ihnen: Die FDP taugt dafür, dass im Koalitionsvertrag steht, dass diese in Zukunft nicht in unnütze Maßnahmen verschoben werden, sondern eine wirkliche Perspektive für Weiterbildung haben, um sich aus dem Bezug von Sozialleistungen herauszuarbeiten. Das ist das Ziel der Bürgergeldreform.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die FDP taugt dafür, dass es für diejenigen ein Weiterbildungsgeld von 150 Euro gibt. Die FDP und die Ampel insgesamt taugen dafür, dass wir den Vermittlungsvorrang abschaffen, damit Menschen nicht in unnütze, kurzfristige Aushilfsjobs gedrängt werden und im Jobcenter quasi hin- und herwackeln, sondern der Grundsatz „Weiterbildung statt Aushilfsjob“ gilt. So schaffen wir es, dass ein großer Teil, zwei Drittel der Langzeitarbeitslosen ohne einen Berufsabschluss, aus Hartz IV herauskommen.

(Kai Whittaker [CDU/CSU]: Steht alles nicht im Gesetz, Herr Teutrine! Thema verfehlt!)

Das ist die Seite des Förderns, und die justieren wir neu. Hätten Sie den Koalitionsvertrag gelesen, dann wüssten Sie das auch.

(Kai Whittaker [CDU/CSU]: Ich habe ihn gelesen! Ich habe aber über das Gesetz gesprochen!)

Bis wir die Seite des Förderns neu justieren, werden wir auch über die Seite des Forderns sprechen. Darum geht es bei den Sanktionen. Die politische Linke und die Grünen sagen, Sanktionen seien per se, grundsätzlich menschenunwürdig. Ich möchte für die Freien Demokraten klarstellen, dass wir das nicht so sehen.

(Zuruf des Abg. Kai Whittaker [CDU/CSU])

Nicht nur wir sehen das nicht so, auch das Bundesverfassungsgericht sieht das anders. In Artikel 1 des Grundgesetzes ist die Menschenwürde gesichert. Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, dass Sanktionen möglich sind: bis zu 30 Prozent. Deswegen sind sie auch nicht per se menschenunwürdig.

Es gibt ein zweites Argument. Wir sind solidarisch mit allen, die in Not sind, die bedürftig sind. Denen greifen wir unter die Arme, denen wollen wir Aufstiegschancen geben. Auf der anderen Seite wird der Sozialstaat aber von denen erwirtschaftet, die jeden Tag morgens aufstehen. Das ist die andere Seite der Medaille.

Herr Treutrine, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Whittaker?

Ich lasse eine Zwischenfrage zu.

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Vielen Dank, Herr Kollege Teutrine, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Ich habe gerade vernommen, dass Sie als FDP Sanktionen grundsätzlich für richtig erachten. In diesem Gesetz aber setzen Sie die Sanktionen für ein Jahr vollständig aus mit einer Ausnahme bei Meldeversäumnissen.

(Jessica Tatti [DIE LINKE]: Das stimmt doch überhaupt nicht! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Schön wär’s!)

Wenn man das zweite Mal seinen Termin nicht wahrnimmt, beträgt die Leistungsminderung weiterhin 10 Prozent, einmalig. Wenn Sie also der Ansicht sind, dass Sanktionen richtig sind, warum heben Sie dann heute die Hand, um für ein Jahr die Sanktionen auszusetzen, nur um sie dann wieder einzuführen?

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat er doch gerade erklärt!)

Lieber Kollege Whittaker, zu genau dem Punkt wäre ich jetzt gekommen. Ihr Kollege Hermann Gröhe, stellvertretender Fraktionsvorsitzender – ich habe mir das noch mal rausgesucht –, hat heute behauptet: Die komplette Aussetzung der Hartz-IV-Sanktionen ist ein Schlag ins Gesicht. – Sie wiederholen das immer wieder. Gucken wir in den Gesetzestext – ich habe ihn mitgebracht –: Meldeversäumnisse, also wenn Leute einen Termin nicht wahrnehmen, werden weiter sanktioniert. – Sie sagen, der allergrößte Teil würde nicht mehr sanktioniert werden. Gucken wir in die Statistik: 75 Prozent der Sanktionen beziehen sich auf Meldeversäumnisse. – Der allergrößte Teil an Pflichtverletzungen, Verstößen gegen die Mitwirkungspflichten wird auch im Sanktionsmoratorium weiter sanktioniert. Sie kennen die Zahlen, Sie können die Zahlen auch anfragen, Sie machen aber seit Tagen eine politische Kampagne daraus. Sie sagen, wir würden ein bedingungsloses Grundeinkommen einführen,

(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

ohne selbst einen Vorschlag zu machen. Was ist Ihre Perspektive für die Sanktionen? Was ist Ihre Perspektive für Hartz IV? Was sind Ihre Vorschläge? Das ist eine schlechte Oppositionsarbeit.

(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Frage nicht beantwortet!)

Ich habe jetzt klargestellt: Meldeversäumnisse werden im Sanktionsmoratorium weiter sanktioniert. Meldeversäumisse machen den allergrößten Teil, den Löwenanteil der Pflichtverletzungen aus, nämlich 75 Prozent, und sie werden auch in Zukunft sanktioniert. Sie werden nicht vollständig abgeschafft, wie Sie in der Öffentlichkeit und in den Medien immer wieder fälschlicherweise behaupten.

Ich möchte noch etwas hinzufügen. Bei den Sanktionen erlebe ich eine erhitzte und polarisierte Debatte.

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Schreien Sie mal nicht so!)

Ich glaube, die demokratischen Fraktionen dieses Hauses sind in der Pflicht, diese erhitzte Debatte sachlich zu führen,

(Beifall des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

sie auf Basis von Zahlen zu führen. Ich habe Ihnen gerade Zahlen genannt. Und ich glaube, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Jobcenter es verdient haben, nicht als Hartz-IV-Sanktionsstelle dargestellt zu werden.

(Beifall des Abg. Dr. Lukas Köhler [FDP] – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Wir machen das nicht!)

Die Wahrheit ist: 97 Prozent der Menschen im Leistungsbezug kommen nie mit Sanktionen in Berührung, nur der allerkleinste Teil, und sie sind die Ultima Ratio. Ich habe Ihnen erklärt, was wir im Sanktionsmoratorium machen; es gibt also weiterhin Sanktionen.

Hätten Sie den Gesetzestext gelesen – ich habe ihn Ihnen extra mitgebracht; ich zitiere Absatz 1 – –

Herr Kollege Teutrine, bevor Sie zitieren, frage ich: Lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Ich hab schon eine Zwischenfrage zugelassen. Ich würde jetzt gerne fortfahren.

Gut.

Sie sagen immer wieder, Sanktionsmoratorium bedeute Sanktionsfreiheit. Das ist falsch. Sie behaupten immer wieder, das Bürgergeld sei ein bedingungsloses Grundeinkommen. Auch das ist falsch. Lesen Sie den Text!

(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Hier steht: Die Neuregelung soll beinhalten, dass Leistungsminderungen bis zu 30 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs möglich sind, bei Härtefällen sollen Sachleistungen bis zu einem bestimmten Anteil gewährt werden. – Das ist der Kompromiss der Koalitionsfraktionen. Sie kennen diesen Kompromiss. Er steht nämlich im Gesetzestext.

(Kai Whittaker [CDU/CSU]: Das steht nicht im Gesetzestext!)

Das ist das Maximum, was das Bundesverfassungsgericht erlaubt.

Wenn Sie sagen, wir würden das Prinzip des Förderns und Forderns nicht ernst nehmen, dann machen Sie doch bitte mal konstruktive Oppositionsarbeit. Legen Sie Vorschläge vor, aus denen hervorgeht, was Sie sich für Hartz IV vorstellen! Ich bin sehr gespannt, was kommt. Sie können uns für das, was wir machen, kritisieren; aber kritisieren Sie uns nicht für das, was wir nicht machen, von dem Sie nur behaupten, dass wir es machen würden. Das ist nämlich unlautere Politik. Und das ist einer demokratischen Partei nicht würdig.

(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.

Ich freue mich auf die Bürgergeldreform. Ich würde mich freuen, wenn die Union konstruktiv-kritisch mitarbeiten würde, –

Herr Kollege, kommen Sie zum Schluss, bitte.

– diese polarisierte Debatte nicht weiterführen und aufhören würde, Falschbehauptungen in den Medien zu verbreiten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Teutrine. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Jessica Tatti, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7536610
Wahlperiode 20
Sitzung 37
Tagesordnungspunkt Änderung des SGB II
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