19.05.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 37 / Tagesordnungspunkt 14

Dieter StierCDU/CSU - Ukrainehilfe, Nahrungsmittelversorgung weltweit

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wir beraten heute einen Antrag der Unionsfraktion, welcher zügiges Handeln und kluge und vorausschauende Überlegungen eng miteinander verbindet, um einer sehr schwierigen Lage gerecht zu werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Krieg in der Ukraine, in der Kornkammer Europas, verursacht nicht nur ein Vielfaches an menschlichem Leid, sondern er gefährdet auch die ukrainische Landwirtschaft, und er hat international erhebliche Auswirkungen auf unsere Agrarmärkte. Die bitteren Folgen – darin sind sich alle Beobachter einig – werden wir erst in den nächsten Monaten noch deutlich zu spüren bekommen: blockierte Häfen, Knappheit bei Diesel und Düngemitteln, zerstörte Technik. Die kriegsbedingten Schäden allein im ukrainischen Agrarsektor belaufen sich gegenwärtig bereits auf 6,4 Milliarden US-Dollar, so die Berechnungen der Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen.

Die Folgen für die importabhängigen Länder sind noch nicht bezifferbar. Das Getreidedefizit auf den Weltmärkten trifft die Abnehmer im Nahen Osten sowie in Nord- und Ostafrika besonders hart. Libanon, Mauretanien, Tunesien, Dschibuti hängen fast vollständig von den Einfuhren aus der Ukraine ab, Somalia und Eritrea immerhin noch zur Hälfte. Nur wer jetzt sofort entschieden handelt, meine Damen und Herren, der kann der drohenden Hungerkatastrophe noch etwas Substanzielles entgegensetzen.

(Dr. Wolfgang Stefinger [CDU/CSU]: So ist es!)

Jeder Beitrag zählt. Die Zeit läuft, und sie läuft gegen uns. Die Versorgungskrise kann jedoch durch eine einfache Weichenstellung recht schnell zumindest abgemildert werden. Die Lösung liegt auf der Hand: der sofortige Stopp der Zwangsstilllegung von 4 Prozent unserer Agrarflächen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD)

Diese Stilllegungspflicht, meine Damen und Herren, muss überdacht, sie muss aufgehoben werden. Ich sage Ihnen: Sie wird sonst 2023 zur großen Ampelhypothek, zum ideologischen Hemmnis bei der Bekämpfung der Hungerkrise. Eine Flächenfreigabe bedeutet zuallererst, die Versorgung zu stabilisieren, bedeutet zusätzlich, bis zu 1 Million Tonnen Weizen verfügbar zu machen, allein in Deutschland; Europa noch nicht mitgerechnet.

Ja, ich kenne auch Ihre Kritik, der Ertrag – das haben wir gerade gehört – sei doch viel zu gering; ein Tropfen auf den heißen Stein. Vielleicht würden es nur 600 000 Tonnen sein. – Nein, in der aktuellen Situation müssen wir für jeden Ertrag, jeden Zentner, den wir oben draufsatteln können, dankbar sein,

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Frank Rinck [AfD])

gerade wenn er durch eine schnelle Entscheidung erreicht werden kann.

Es geht auch um neue Züchtungsmethoden. Der von der FDP benannte Sachverständige Professor Qaim hat sich in der öffentlichen Anhörung am Montag nach meiner Wahrnehmung nachdrücklich dafür ausgesprochen. Hören Sie einfach auf ihn.

(Dr. Gero Clemens Hocker [FDP]: Deswegen haben wir ihn auch eingeladen!)

Doch anstatt alles zu mobilisieren, was machbar ist, um diese Chance zu nutzen, verharrt die Ampelregierung bockig und ignorant in ihrer Schmollecke und will davon nichts wissen. Ihre Verweigerung, Frau Staatssekretärin – der Minister ist ja leider nicht da –, ist falsch. Ungenutzte, zwangsstillgelegte Flächen, also Brachflächen, bei einer Hungerkatastrophe als nicht verhandelbar zu deklarieren, ist nicht nur zynisch gegenüber den Betroffenen in den Entwicklungsländern. Es ist auch ein Angriff auf die humanitären Grundsätze unserer modernen Gesellschaft.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Uns dann in dieser Sache Unaufrichtigkeit vorzuwerfen, nur weil wir Ihren Job machen und echte Lösungen aufzeigen,

(Lachen bei Abgeordneten der SPD)

das verdeutlicht das Ausmaß Ihrer Verzweiflung, mit Ihrem selbstgeschaffenen Dilemma anständig umzugehen. An der Stilllegung in dieser aktuellen Notlage festzuhalten, ist und bleibt unverantwortlich. Andere hungern, Sie legen still, nur um fern vom Hungeralltag in Afrika Ihre abstrakten ökologischen und ideologischen Fantasien zu befriedigen.

(Widerspruch der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Das kann in unserer aktuellen Situation doch nicht richtig sein, und das wissen Sie auch genau.

Meine Damen und Herren, ich stelle heute hier an diesem Pult abschließend fest: Sie wollen keinen verantwortungsvollen Beitrag leisten; wir schon. Sie wollen ausbremsen; wir wollen beschleunigen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten der SPD)

Und weil wir jetzt jedes Potenzial nutzen müssen, haben wir Ihnen den passgenauen Antrag hier mitgebracht.

Abschließend noch ein Wort zu Ihrer Moral, zur Weltmoral der Grünen – ich finde, das ist ein ernstes Thema –: Es ist traurig, dass Sie die hungernden Menschen offenbar schon aufgegeben haben. Sie sagen: „Die Freigabe der Flächen bringt sowieso nichts; lassen wir das einfach“ – getreu dem Motto: Die paar Leute, die wir satt machen können, fallen doch nicht ins Gewicht. – Was ist das für ein Menschenbild, meine Damen und Herren?

(Beifall bei der CDU/CSU – Gabriele Katzmarek [SPD]: Mein lieber Schwan!)

Das ist für mich vollkommen unverständlich und offensichtlich auch für Ihre eigenen Wählerinnen und Wähler nicht immer zu ertragen. Bei den Rettungsaktionen im Mittelmeer legen Sie selbst stets allergrößten Wert auf jedes Einzelschicksal. Bei der Hungerkrise dagegen ist es Ihnen vollkommen egal, ob auch nur ein einziger Mensch mehr satt werden kann.

(Ulrike Bahr [SPD]: Pfui! – Weitere Zurufe von der SPD)

Kommen Sie zum Schluss bitte.

Diese Doppelmoral, diese boshafte Missachtung Ihrer eigenen Maßstäbe könnte nicht schlimmer sein.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Sie werden die Verantwortung, meine Damen und Herren, –

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

– für Ihr Unterlassen übernehmen müssen. Wir stimmen heute namentlich ab. Sie können sich alle bekennen, in welches Lager Sie gehören.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer gehört denn jetzt ins Lager? Ist schon wieder 45, oder was?)

Nächste Rednerin ist die Kollegin Rita Hagl-Kehl, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7536624
Wahlperiode 20
Sitzung 37
Tagesordnungspunkt Ukrainehilfe, Nahrungsmittelversorgung weltweit
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