Ann-Veruschka JurischFDP - Souveränität Deutschlands innerhalb der EU
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin Mutter von drei Söhnen – sie sind 8, 14 und 18 Jahre alt –, und ich liebe sie sehr. Wir sind eine ganz normale Familie, die im ganz normalen Wahnsinn eines Familienalltags lebt, und Sie wissen wahrscheinlich, was ich damit meine. Wir verhandeln und streiten immer wieder über dieselben Themen: Wer hilft wann und wie im Haushalt mit? Wie viel Bildschirmzeit am Tag ist vertretbar? Wie viel Taschengeld ist für beide Seiten akzeptabel? – Wir ringen um gemeinsame Lösungen, wie wir unsere Zukunft gestalten und weiterentwickeln wollen. Das ist mühsam, das ist nervig, aber nötig und für uns als Familie am Ende lohnend.
So ist es auch mit der Europäischen Union. Im Fall der Europäischen Union sind diese Diskussionen zur inneren Weiterentwicklung auch existenziell. Gerne möchte ich mit Erlaubnis der Präsidentin Robert Schuman, den Gründungsvater des vereinten Europas, zitieren:
Der Friede der Welt kann nicht gewahrt werden ohne schöpferische Anstrengungen, die der Größe der Bedrohung entsprechen.
Schuman fühlte in den Jahren nach dem Krieg das Trauma der deutsch-französischen Feindschaft im Nacken und sah das Auseinanderfallen Europas in West und Ost vor sich.
Heute herrscht auf dem europäischen Boden Krieg, der Krieg, den Russland gegen die Ukraine führt, gegen unsere freiheitlichen europäischen Werte. Wir können die großen Herausforderungen unserer Zeit nicht nationalstaatlich isoliert bewältigen. Verteidigungsfähigkeit, Dekarbonisierung der Wirtschaft, Sicherung von Lieferketten, Rohstoff- und Energiesicherheit – um diese Herausforderungen zu bewältigen, muss die Europäische Union immer besser werden, effektiver, transparenter, bürgernäher.
(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Axel Schäfer [Bochum] [SPD] – Norbert Kleinwächter [AfD]: Wie wird die denn bürgernäher durch diese Vorschläge?)
Anfang dieses Jahres durfte ich meine erste Rede im Deutschen Bundestag zur Konferenz zur Zukunft Europas halten. Bürgerinnen und Bürger haben sich mit viel persönlichem Engagement mit Vorschlägen zur Weiterentwicklung der Europäischen Union eingebracht. Der Abschlussbericht der Konferenz atmet den großen Wunsch der Menschen, die Europäische Union noch effektiver, transparenter und bürgernäher zu machen. In Richtung der AfD will ich hier sagen: Wer einerseits das Europaparlament wegen eines angeblichen Demokratiedefizits abschaffen will, andererseits aber die direkte Demokratie bei uns einführen will, dem müsste doch eigentlich bei diesem extrem bürgernahen Ansatz wenigstens ein bisschen das Herz aufgehen. Aber selbst das schaffen Sie nicht.
(Zuruf des Abg. Norbert Kleinwächter [AfD])
Stattdessen setzen Sie hier in maximal gehässiger Weise Verschwörungstheorien in die Welt. Ihr Antrag ist scheinheilig und zynisch.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Lassen Sie mich hiermit auf das Abschlussdokument der Konferenz zurückkommen. Die Fülle der Vorschläge zeigt: Die EU ist noch nicht perfekt. Wie in einer Familie sollten wir uns deshalb der Debatte stellen und die Vorschläge der Bürgerinnen und Bürger mehr als dankbar aufgreifen, und zwar ohne Schere im Kopf. Deswegen darf auch die Einberufung eines Verfassungskonvents kein Tabu sein. Als Freie Demokratin setze ich mich dafür ein, dass der von der Konferenz zur Zukunft Europas ausgelöste Prozess auch in Richtung eines Verfassungskonvents weitergeht. Und ich bin unserem Bundeskanzler Olaf Scholz sehr dankbar, dass er sich heute Morgen hier in diesem Haus mit allem politischen Gewicht für eine europäische Reform zusammen mit Frankreich ausgesprochen hat.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich bitte Sie und uns alle hier im Bundestag: Lassen Sie uns europapolitische Vorhaben sehr aktiv und aufmerksam begleiten, jetzt ganz besonders auch die Ergebnisse der Konferenz! Denn es geht um unsere Zukunft. Die Europäische Union ist unsere strategische Zukunftsfähigkeit und Resilienz. Die Europäische Union ist unser gegenseitiges Versprechen für Frieden und unsere Hoffnung auf Frieden in ganz Europa. Die Europäische Union ist unsere Freiheit. Lassen Sie uns daher mit aller Kraft und Überzeugung den jetzt angestoßenen Reformprozess der Europäischen Union unterstützen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Götz Frömming [AfD]: Da frage ich mich, warum die Briten aus der so tollen Union ausgetreten sind!)
Matthias Helferich hat jetzt das Wort.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7536685 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 37 |
Tagesordnungspunkt | Souveränität Deutschlands innerhalb der EU |