Thorsten RudolphSPD - Finanzen, Bundesrechnungshof
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleg/-innen! „ Prognosen sind schwierig“, sagt ein Bonmot, „besonders wenn sie die Zukunft betreffen.“ Das gilt in normalen Zeiten. Aber die Zeiten sind nicht normal. Wie schlimm wird die nächste Coronawelle? Wie geht es mit dem Ukrainekrieg weiter, wie mit den Lockdowns in China und den Schiffen vor Schanghai? Was heißt das alles für die Lieferketten und die Versorgung der Welt mit Lebensmitteln und Rohstoffen? Wie geht es mit der Inflation weiter? Und so weiter und so fort.
Sicher ist aktuell nur, dass nichts sicher ist. Deshalb war es der Ampelkoalition so wichtig, mit diesem Haushalt 2022 Stabilität zu gewährleisten und Gestaltungsspielraum zu bewahren: mit weiterhin umfassenden Coronahilfen, mit den beiden Entlastungspaketen für die Bürger/-innen in Höhe von insgesamt 30 Milliarden Euro, mit Rekordinvestitionen in Klimawende, Digitalisierung, Bildung, Verkehr und sozialen Wohnungsbau – Sven-Christian Kindler hat es eben ausgeführt – und natürlich mit zusätzlicher finanzieller Hilfe für die Ukraine, mit Unterstützung für die Geflüchteten, mit mehr humanitärer Hilfe und mit Mitteln für unsere am stärksten vom Krieg betroffenen Unternehmen.
Allein diese zusätzlichen Mittel wegen des Krieges schlagen mit knapp 40 Milliarden Euro zu Buche. Ansonsten aber entspricht die Verschuldung mit 99,7 Milliarden Euro dem, was schon die Große Koalition im ersten Regierungsentwurf vorgesehen hatte. Das ist nicht schön, aber eben das Ergebnis der außergewöhnlichen Notsituation im Sinne von Artikel 115 Grundgesetz, in der wir uns befinden und die dieses Hohe Haus zu Recht festgestellt hat. Gerade weil dieser Haushalt Maß und Mitte hält, ist es ein kluger Haushalt, meine Damen und Herren, der auf die Herausforderungen reagiert, aber zugleich Spielräume lässt. Dieser Haushalt ist finanziell verantwortungsvoll und stocksolide.
(Zuruf des Abg. Andreas Mattfeldt [CDU/CSU])
CDU/CSU und ihren Vertretern ist das nicht genug, habe ich gelesen. Sie fordern massive Mehrausgaben.
(Florian Oßner [CDU/CSU]: Nee!)
Sie wollen die Mehrwertsteuer auf Strom, Gas und Fernwärme sowie die Netzentgelte senken, die kalte Progression ausgleichen, garantierte Zinsen bei der Altersvorsorge zahlen, die Grenzwerte bei der Arbeitnehmersparzulage verdoppeln, den Sparerpauschbetrag verdoppeln, den erstmaligen Erwerb selbstgenutzter Immobilien fördern, eine Sonderabschreibung für energieeffiziente Wohngebäude einführen, den Verteidigungshaushalt kontinuierlich aufwachsen lassen und – nicht zu vergessen – natürlich den Solidaritätszuschlag für die oberen 10 Prozent abschaffen. Allein diese letzte Maßnahme kostet 11 Milliarden Euro, und das Jahr für Jahr. Ich bin beeindruckt, Herr Kollege Middelberg, wie Sie auf der Ausgabenseite arbeiten. Alles in allem wird das, was Sie vorschlagen, eine regelrechte Schuldenorgie.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, das sind nur die Ausgabenwünsche der letzten zwei, drei Monate, ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit. Ich habe schnell wieder aufgehört, zu recherchieren, weil ich Angst hatte, dass meine ganze Redezeit für Zusatzausgaben der Union draufgeht.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Florian Oßner [CDU/CSU]: Ja, das ist arbeitsintensiv!)
Das Beste daran ist aber: Die Union beklagt zugleich ständig, dass die Ampel angeblich Rekordschulden mache.
(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Angeblich?)
Das sind die Schulden, die die CDU/CSU selbst in der Großen Koalition beschlossen hat, und die knapp 40 Milliarden Euro zusätzlich für die Ukraine, die im Großen und Ganzen unstrittig sind. Ich muss sagen: Ich habe schon einen gewissen Respekt vor so viel Unverfrorenheit. CDU und CSU greifen verbal ungeniert in den Staatssäckel und rufen dabei zugleich: Haltet den Dieb!
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will nicht unterschlagen, dass die Union auch Einmalbeträge sparen will: beispielsweise die 2,5 Milliarden Euro für das 9‑Euro-Ticket, die 750 Millionen Euro für die Dekarbonisierung der Wirtschaft, die 50 Millionen Euro für die Querschnittsaufgabe Energieeffizienz und natürlich die 60 Milliarden Euro für den Energie- und Klimafonds; Sven-Christian Kindler hat alles dazu gesagt.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Alle diese Vorschläge zusammen ergeben ein präzises Bild davon, welche Politik die Union will: Entlastungen für Wohlhabende, weniger Geld für die Verkehrswende, viel weniger Geld für die Klimawende, dafür aber, wie ich lese, gerne Atomkraft und Fracking. Viele erkennen hier schon deutlich die Handschrift von Friedrich Merz. Fest steht jedenfalls: Das ist Politik für die 80er-Jahre und nicht für die 2020er-Jahre.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Die Ampel macht Politik für die 2020er-Jahre – zum Glück! –, auch wenn die Bedingungen zurzeit alles andere als einfach sind. Sie haben wahrscheinlich gestern alle gelesen, dass laut einer ifo-Studie noch in diesem Jahr ein Preisanstieg bei den Lebensmitteln um weitere 10 Prozent erwartet wird. Wir wissen alle, dass steigende Lebensmittelpreise und Energiepreise gerade Menschen mit geringem Einkommen besonders hart treffen. Lassen Sie mich daher von diesem Pult aus ganz deutlich sagen: Wir lassen niemanden im Stich. Wir beobachten die Lage sehr genau und werden gegebenenfalls reagieren und weitere Entlastungen beschließen. Diese Koalition hat gezeigt, dass sie auch kurzfristig handlungsfähig ist.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Meine Damen und Herren, wir wissen alle nicht, wie es weitergeht mit Krieg, Pandemie und Inflation. Eines wissen wir aber jetzt schon: Wir wissen, dass die Energiepreise dauerhaft hoch bleiben werden. Die Zeiten billigen Gases aus Russland sind vorbei. Die Energiewende kommt – mit einem schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien und einer konsequenten CO2-Bepreisung.
Wir wissen auch, und zwar schon jetzt, dass die Energiewende nur dann ein Erfolg wird, wenn sie kein Elitenprojekt bleibt. Deshalb finde ich den Vorschlag von Hubertus Heil, ein sozial gestaffeltes Klimageld einzuführen, auch so gut und so wichtig. Wir brauchen eine dauerhafte und gezielte Entlastung bei den Energiepreisen für alle mit geringem und mittlerem Einkommen. Diejenigen, die es am nötigsten brauchen, sollen am meisten bekommen, diejenigen, die es nicht ganz so nötig haben, bekommen etwas, und diejenigen, die viel verdienen, bekommen nichts.
Genau umgekehrt verhält es sich übrigens, wenn wir stattdessen die Einkommensteuer senken; denn die Geringverdiener zahlen keine Einkommensteuer und bekommen dann nichts, diejenigen, die wenig verdienen, bekommen etwas, und die Vielverdiener bekommen am meisten. Deshalb, Kolleginnen und Kollegen, bin ich froh, dass das Klimageld im Koalitionsvertrag steht, Steuersenkungen aber nicht.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, wir haben in Frankreich, wo Marine Le Pen die Lebenshaltungskosten gezielt instrumentalisiert hat, gesehen, wohin das führt. Das sollte auch uns in Deutschland klar sein. Eine Klimawende ohne sozialen Ausgleich wird es nicht geben. Die Klimawende ist keine Aufgabe für ein oder zwei Legislaturperioden. Wer dauerhaft eine politische Mehrheit für eine wirkliche Klimawende will, wer die Gesellschaft bei der großen Transformation zusammenhalten will, der muss die Menschen mitnehmen. – Das ist die Aufgabe, Kolleginnen und Kollegen, und ich verspreche Ihnen, die SPD-Fraktion wird alles dafür tun, diese Aufgabe zu erfüllen.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Christian Görke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7536863 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 39 |
Tagesordnungspunkt | Finanzen, Bundesrechnungshof |