31.05.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 39 / Tagesordnungspunkt EPL 08, 20

Carsten BrodesserCDU/CSU - Finanzen, Bundesrechnungshof

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In diesem Monat veröffentlichte das Bundesfinanzministerium ein bemerkenswertes Strategiepapier unter dem Titel „Finanzpolitik in der Zeitenwende – Wachstum stärken und inflationäre Impulse vermeiden“. Dort heißt es unter anderem, es brauche eine Finanzpolitik, die effizient und vorausschauend agiert. „ Effizient“ bedeute – nach Ihrer Auffassung –, Ausgaben fortlaufend zu priorisieren und zu evaluieren. Sie, Herr Lindner, fordern ferner finanzpolitische Verlässlichkeit und die schnelle Wiedereinführung der Schuldenbremse. Und Sie wollen öffentliche Investitionen gegenüber zusätzlichen Sozialausgaben priorisieren.

Das alles sind beeindruckende Aussagen, die auch aus der Feder von Ludwig Erhard stammen könnten. Doch die von Ihnen benannten Ansprüche entsprechen leider nicht der finanzpolitischen Realität. Ihre Bekenntnisse zur Wiedereinführung der Schuldenbremse suggerieren, der Bundeshaushalt sei ein Hort der Stabilität. Doch das Gegenteil ist der Fall. Noch nie in der Geschichte unseres Landes war die Bundesrepublik so hoch verschuldet wie heute.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sie wollen diese Schulden noch mal um 139 Milliarden Euro erhöhen.

Wer im Sinne von Prioritätensetzungen nach Einsparungen sucht, sucht leider vergebens. Anstatt den gesamten Beamtenapparat des Bundes abzuspecken, schaffen Sie 9 600 zusätzliche Stellen. Ihre Ausgabenplanung beläuft sich mittlerweile auf sage und schreibe 496 Milliarden Euro. Jeden vierten ausgegebenen Euro finanzieren Sie durch neue Schulden. Die gesamtstaatliche Verschuldung steigt damit auf 2,4 Billionen Euro. Das sind 29 000 Euro pro Bundesbürger, vom Kind bis zur Rentnerin. Pro Sekunde erhöht sich der Schuldenstand um weitere 4 900 Euro.

Herr Lindner, Sie bekennen sich zur schnellen Wiedereinführung der Schuldenbremse. Das ist gut. Aber in Wahrheit war bereits Ihr Nachtragshaushalt 2021 der Anfang vom Ende der Schuldenbremse.

(Beifall bei der CDU/CSU)

In den Jahren 2020 bis 2022 wird allein der Bund 485 Milliarden Euro neue Schulden gemacht haben. Den dazu ursprünglich ab 2023 beginnenden Tilgungsplan haben Sie kurzerhand auf 2028 verschoben. Sie tilgen auch nicht mehr innerhalb von 20 Jahren, wie es ursprünglich beschlossen wurde, sondern Sie strecken die Rückzahlung auf 30 Jahre und schieben das bis auf das Jahr 2058 hinaus. Gegenüber unseren Kindern und Enkeln ist eine solche Finanzpolitik weder nachhaltig noch sozial.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Denn nicht unsere Generation wird diese Schulden zurückzahlen, sondern die kommende Generation wird die Hauptlasten tragen müssen.

Herr Finanzminister, die politischen und finanziellen Gestaltungsmöglichkeiten zukünftiger Generationen schwinden damit immer weiter, wenn Sie nicht schleunigst eine Schubumkehr einleiten. Umso bemerkenswerter ist es, dass Sie in Ihrem Papier selbst zu der Erkenntnis kommen, dass man in ökonomisch unsicheren Zeiten keine sozialpolitischen Leistungen erhöhen sollte. Aber genau das bereiten Sie gerade vor. Sie entwickeln ein Bürgergeld, das den Bundeshaushalt noch mal Milliarden kosten wird. Auf dem Weg dorthin schaffen Sie mal eben sämtliche Sanktionen ab, die bisher zu Leistungskürzungen aufgrund der Verletzung von Mitwirkungspflichten führen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer Sozialleistungen bezieht, für den gibt es auch die Verpflichtung zur Mitwirkung.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Diese ist unverzichtbar; denn Solidarität ist keine Einbahnstraße, und der Sozialstaat wird von den Menschen getragen, die jeden Tag zur Arbeit gehen.

Sie, Herr Lindner, wollen den Prinzipien der Haushaltswahrheit und Haushaltstransparenz wieder stärkere Geltung verschaffen. Das unterstützen wir ausdrücklich. Gleichzeitig erkennen Sie, dass der demografische Wandel die Sozialversicherungssysteme zunehmend unter Druck setzt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Steuerzuschuss zur gesetzlichen Rentenversicherung erreicht in diesem Jahr bereits einen Wert von über 100 Milliarden Euro.

(Christian Dürr [FDP]: Ja!)

Die gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherungen benötigen ebenfalls Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt.

Sie, Herr Lindner, erkennen selbst, dass das demografische Risiko den Handlungsspielraum des Bundeshaushalts weiter einschränken wird. Aber die implizite Deckung der Verbindlichkeiten der Sozialversicherung ist eine schwebende Schuld in unserem Haushalt, die jetzt angegangen werden muss. Anstatt zügig über notwendige Reformen zu entscheiden, planen Sie den Einstieg in eine kapitalgedeckte Säule zur Stabilisierung der gesetzlichen Rentenversicherung. Gut.

(Christian Dürr [FDP]: Was ist denn Ihr Vorschlag?)

10 Milliarden Euro sollten dafür im aktuellen Haushalt eigentlich bereitgestellt werden. Bei einer angenommenen Verzinsung von beispielsweise 6 Prozent würde dieser Fond also 600 Millionen Euro per anno erwirtschaften. Viel Geld, glaubt man. Aber das entspräche lediglich 0,2 Prozent der Beitragseinnahmen des letzten Jahres.

(Zuruf des Abg. Christian Dürr [FDP])

Dies wäre eine begrüßenswerte, aber leider nur homöopathische Entlastung und weit entfernt von einem notwendigen Reformpaket.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Doch selbst dieses Minimalvorhaben sucht man in Ihrem aktuellen Haushalt leider vergebens.

Sehr geehrter Herr Bundesfinanzminister, auch die Finanzpolitik ist in einer Zeitenwende. Deswegen brauchen wir jetzt geeignete und mutige Entscheidungen mit entsprechender Größe. Wenn Sie als Ampelkoalition Wachstum stärken, inflationäre Impulse vermeiden und die Sozialversicherungssysteme stabilisieren wollen, dann müssen Ihre selbstformulierten Ansprüche auch den Realitäten entsprechen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Nächster Redner: für die FDP-Fraktion Otto Fricke.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

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Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7536866
Wahlperiode 20
Sitzung 39
Tagesordnungspunkt Finanzen, Bundesrechnungshof
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