Steffen BilgerCDU/CSU - Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Ministerin Lemke, Sie haben bei der ersten Beratung Ihres Haushalts hier im Hause vor gut zwei Monaten gesagt:
Und sosehr wir uns jetzt um das Heute kümmern müssen, so sehr müssen wir dabei das Morgen im Blick behalten.
Sie haben das angesichts des damals noch sehr jungen russischen Angriffskriegs auf die Ukraine und dessen Folgen gesagt.
Ich stimme Ihrer Aussage voll und ganz zu, damals wie heute. Heute dauert der Krieg aber schon über ein Vierteljahr, und der Handlungsdruck wird Tag für Tag größer,
(Dr. Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In der Tat!)
und zwar in jedem Zuständigkeitsbereich dieser Bundesregierung, auch in Ihrem.
Leider habe ich immer mehr den Eindruck, dass Sie diesem selbstformulierten Anspruch nicht gerecht werden. Wo kam es durch den Krieg denn zu einer neuen Prioritätensetzung im Bundesumweltministerium? Wo arbeiten Sie an neuen und an diese große Krise angepassten Antworten für das Morgen? Ein Weiter-so, das sture Abarbeiten des Koalitionsvertrages, Nibelungentreue zum grünen Parteiprogramm sind in meinen Augen alles, nur kein Krisenmodus.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Dabei müssen Sie sich doch angesichts der enormen Herausforderungen, vor denen unser Land steht, vor denen Europa steht, auch die Frage stellen: Wo zwingt uns diese Situation, die Dinge auch einmal anders zu sehen, Prioritäten anders zu setzen, eigene Positionen pragmatisch zu revidieren?
(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie nennen immer die alten Antworten!)
Leider habe ich in dieser Richtung von Ihnen seit Ende Februar nichts gehört. In der heutigen Debatte haben wir von Ihnen auch gar nichts gehört.
Dabei könnten Sie die medial abgefeierte neue Hausfreundschaft mit Ihrem Landwirtschaftskollegen Özdemir nutzen und sich gemeinsam in Brüssel für einen pragmatischen Weg bei der Umsetzung der neuen Gemeinsamen Agrarpolitik einsetzen, damit die deutschen und europäischen Landwirte jetzt einspringen können, wenn im Kriegsgebiet weniger Getreide produziert wird, wenn andernorts auf der Welt Hungersnöte drohen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Das tun Sie aber nicht, Frau Ministerin.
Sie könnten die Frage nach dem vorübergehenden – und ich sage bewusst: vorübergehenden – Weiterbetrieb der drei noch am Netz befindlichen Kernkraftwerke – Kollege Hirte ist schon darauf eingegangen – offen prüfen lassen. Denn das, was Sie bisher gemacht haben – mit dem Bundeswirtschaftsminister zusammen –, war ja keine offene Prüfung, sondern es war eine Zusammenstellung aller Argumente, die dagegen sprechen.
(Gabriele Katzmarek [SPD]: Gut, dass Philippsburg schon abgeschaltet ist, gell?)
Sie haben aber eine Verantwortung, dass wir jetzt nicht noch länger Energie aus Kohle statt klimaneutraler Energie einsetzen müssen. Sie haben auch eine Verantwortung für die Versorgungssicherheit, die Sie wahrnehmen müssen. Das tun Sie hier aber nicht.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Und Sie könnten sich angesichts der Inflation, der steigenden Preise – gerade bei Produktions- und bei Konsumgütern – in Brüssel für ein Belastungsmoratorium starkmachen. Auch aufgrund des Grünen Deals und der ganzen Auflagen, die da vorgesehen sind, kommt es ja zu Belastungen. Ein Belastungsmoratorium wäre das, was die Bundesregierung jetzt in Brüssel einbringen müsste. Das tun Sie aber nicht.
Und Sie könnten dafür sorgen, dass Deutschland seine Infrastruktur schneller ertüchtigen kann, und zwar in allen Bereichen; damit wir die Kriegsfolgen bewältigen; damit wir Klimaneutralität erreichen können. Stattdessen gibt es nur in Teilbereichen Beschleunigung. Im Koalitionsvertrag stehen viele schöne Worte. In der letzten Sitzungswoche haben wir über Planungsbeschleunigung diskutiert; da wurde deutlich, wie groß die Unterschiede in den Koalitionsfraktionen sind. Es bleibt also zu befürchten, dass sich beim Thema Planungsbeschleunigung viel zu wenig tut. Dabei braucht Deutschland eine umfassende Beschleunigung. Und Deutschland braucht eine Umweltministerin, die sich dafür einsetzt. Das tun Sie aber nicht.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Sie könnten sich in der Bundesregierung dafür starkmachen, dass Deutschland seine Abhängigkeit von Rohstoffimporten reduziert, indem die Kreislaufwirtschaft oberste Priorität bekommt, anstatt dass das Thema irgendwo im Niemandsland zwischen Ihrem Haus und dem Haus von Herrn Habeck verloren geht, dort, wo übrigens kein einziges von sage und schreibe 202 Fachreferaten das Thema überhaupt im Titel trägt. Das tun Sie aber nicht, vielleicht auch, weil Sie da keine so besondere Hausfreundschaft verbindet.
Sie könnten auch, Frau Ministerin – obwohl Sie für den Klimaschutz ja nicht mehr zuständig sind –, die positive Klimawirkung von Biokraftstoffen anerkennen, wie Sie es früher selbst getan haben und wie es Ihre Parteifreundin Renate Künast getan hat, die noch vor einigen Jahren davon gesprochen hat, dass die Bauern die Ölscheichs von morgen werden. Sie könnten klarstellen, dass der Einsatz von Anbaubiomasse in Deutschland streng nach oben gedeckelt ist – übrigens strenger als von der EU verlangt –, dass es gesetzlich geregelte Nachhaltigkeitsanforderungen gibt, dass Abfall und Reststoffe klar Vorrang haben und dass Palmöl ohnehin ab kommendem Jahr nicht mehr angerechnet wird, weil wir das letztes Jahr so beschlossen haben.
Sie könnten das tun, anstatt die vermeintliche Gunst der Stunde zu nutzen, die für die Erreichung der Klimaziele auf der Straße zurzeit wichtigste Alternative zu diffamieren und zu versuchen, ihr den Garaus zu machen. Das tun Sie aber nicht.
Und Sie könnten schließlich als Verbraucherschutzministerin dafür sorgen, dass diese Bundesregierung Mehreinnahmen, die sie aufgrund der Inflation erzielt, dafür einsetzt, die Inflationslasten zu mildern, anstatt sich in Einzelmaßnahmen zu verlieren. Sie könnten sich für ein Gesamtkonzept einsetzen, das die Breite unserer Gesellschaft entlastet, zu dem eine Anpassung des Einkommensteuertarifs an die Preisentwicklung genauso gehört wie eine Absenkung der Stromsteuer und eine Energiepauschale, von der auch Studenten, Rentner und junge Familien in Elternzeit profitieren. Aber auch das tun Sie nicht.
Mein Fazit: Frau Ministerin Lemke, das Vertrauen in die Politik steht und fällt mit dem Vertrauen der Menschen in die Fähigkeit, auf Herausforderungen und Krisen zu reagieren. Es gehört wirklich auch dazu, in der Lage zu sein, den eingeschlagenen Kurs da zu revidieren, wo es Sinn macht.
Sie selbst haben in Ihrer ersten Haushaltsrede als verantwortliche Ministerin ja davor gewarnt, im Alten in der Hoffnung zu verharren, so doch noch eine Weile über die Runden zu kommen. Damals war mir nicht klar, dass sich diese Worte heute an Sie selbst richten. Mein Appell deshalb: Korrigieren Sie Ihre Politik! Kommen Sie endlich im Krisenmodus an!
(Beifall bei der CDU/CSU)
Die Kollegin Nadine Heselhaus hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7536964 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 39 |
Tagesordnungspunkt | Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz |