Ulrich LangeCDU/CSU - Bundeskanzler und Bundeskanzleramt, Unabhängiger Kontrollrat
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will mit etwas beginnen, was mich seit einigen Wochen und Monaten doch ein bisschen verwundert, liebe Kolleginnen und Kollegen insbesondere der SPD. Lieber Kollege Post, Sie haben vorhin etwas als „unterkomplex“ bezeichnet. Ich bezeichne es als unterkomplex, wenn eine Fraktion 20 Jahre von 24 Jahren regiert oder mitregiert hat und dann ein Bundeskanzler sich hinstellt und mit dem Finger auf andere zeigt. Herr Bundeskanzler, das ist unter dem Niveau eines Kanzlers dieses Landes, der auch zur Politik der Vergangenheit, die er mitgestaltet hat, stehen sollte.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Warum sage ich das? Wenn es um die Verteidigungsminister geht, erinnere ich einmal an Scharping und Struck, wenn es um die Finanzminister geht, erinnere ich an Lafontaine, Eichel, Steinbrück und Scholz, und wenn es um Sozialminister geht, an Nahles, Scholz, Müntefering, Schmidt, Clement, Riester usw. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben zusammen regiert. Sie haben mit den Grünen regiert, wir haben mal mit der FDP regiert; da haben wir übrigens die Wehrpflicht abgeschafft. Jeder hat hier Verantwortung für dieses Land und hat diese Verantwortung entsprechend getragen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Was uns allerdings aus den letzten sechs Monaten dieser neuen Regierung belastet, ist eine gigantische Neuverschuldung, wie sie die Bundesrepublik Deutschland bisher nicht gekannt hat.
(Christian Lindner, Bundesminister: Doch! Letztes Jahr!)
Da nützen die Rechentricks nichts, lieber Kollege Lindner:
(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Durch Wiederholung wird es nicht besser!)
140 Milliarden Euro Neuverschuldung, 60 Milliarden Euro im zweiten Nachtragshaushalt. Ein Betrag heißt zwar „Sondervermögen“ – das nennt man auch „Euphemismus“ –, letztlich sind es Schulden, mit denen das hier finanziert wird. Unter dem Strich 300 Milliarden Euro Schulden.
(Christian Dürr [FDP]: Das ist schlicht falsch!)
Das ist mehr als Adenauer, Erhard, Kiesinger, Brandt, Schmidt und Kohl bis 1990 zusammen an Schulden gemacht haben. Unsolide, unsolidarisch, unverantwortlich, liebe Kolleginnen und Kollegen!
(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Wiebke Esdar [SPD]: Stimmen Sie denn dagegen? – Michael Theurer [FDP]: Merkels Erbe!)
Niemand bestreitet, dass wir mit Corona und dem russischen Überfall auf die Ukraine eine ganz besondere Situation haben. Aber zum Glück hat die Union seit 2014 hart für die schwarze Null gearbeitet und ein Fundament geschaffen,
(Christian Dürr [FDP]: Das waren doch die Menschen in Deutschland! Das war doch nicht die Union!)
sodass wir überhaupt in der Lage sind, das zu leisten, was wir uns in den letzten Monaten jetzt geleistet haben.
(Beifall bei der CDU/CSU – Christian Dürr [FDP]: Das war eine Anmaßung! Das haben die Menschen in Deutschland erarbeitet und nicht die Union!)
Lieber Kollege Lindner, ich habe vorgestern Ihr Interview im „heute-journal“ gesehen. Das war schon wirklich beachtlich. Da reden Sie zum einen davon, dass die Schuldenbremse eingehalten werden muss, sprechen aber auf der anderen Seite davon, dass man sich ans Schuldenmachen gewöhnt habe; da meinen Sie wohl Ihre beiden Koalitionspartner. Gleichzeitig erklären Sie, 2023 zur Schuldenbremse zurückkehren zu wollen. Zeitgleich verkündet der Herr Sozialminister die Einführung eines Klimageldes. Wir haben es vorhin beim Beifall zum Thema Klimageld gesehen: tosender Applaus bei der SPD, ein bisschen Applaus bei den Grünen und kein Applaus bei der FDP. – So etwas nenne ich eine Zerfallskoalition, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Solide Haushaltspolitik ist ein Fundament für Generationengerechtigkeit; denn die Generationen nach uns müssen sonst das ausbügeln, was wir jetzt machen. Folgender Satz besitzt einfach Richtigkeit: Auf Schuldenbergen können Kinder nicht spielen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in der jetzigen Phase der aktuellen Inflation wird das Ganze noch viel brandgefährlicher; das wissen Sie. Wir hatten in diesem Land in den 70er-Jahren schon einmal eine Stagflationskoalition. Auch daran möchte ich erinnern; denn wer darunter zu leiden hat, sind die mittleren und kleinen Einkommen; das sind die Rentnerinnen und Rentner. Genau an dieser Schwelle stehen wir. Deswegen brauchen wir Solidität, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Wiebke Esdar [SPD]: Und keinen Merz-Soli!)
An der Einhaltung der Schuldenbremse, lieber Finanzminister, werden wir Sie messen. Man hat manchmal das Gefühl, Sie wären in dieser Koalition gerne der neue Ludwig Erhard geworden. Tatsächlich drohen Sie zum neuen Hans Eichel zu werden. Das Ganze würde ich dann auch im nächsten Jahr wieder kommentieren wollen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wir hatten vorhin schon die Widersprüchlichkeiten: einerseits offene Märkte, andererseits kein Freihandelsabkommen mit Kanada, einerseits brauchen wir Gas, andererseits sollen die Stadtwerke die Gasnetze zurückbauen.
Wir haben, lieber Landwirtschaftsminister, auch bei Ihnen eine Widersprüchlichkeit. Wir geben Ihnen recht: Regionale Erzeugnisse sind positiv. Der Wochenmarkt ist etwas Positives. All das ist richtig. Aber trotzdem droht der Welt in manchen Teilen eine Hungerkatastrophe. Deutschland allein rettet davor sicherlich nicht. Aber jeder Hektar Fläche, auf dem im Sinne der Lebensmittelversorgung angebaut wird, ist in einer solchen Situation ein gewonnener Hektar. Wir haben kein Misstrauen gegen unsere Bauern und gegenüber unseren Landwirten. Wir haben Vertrauen und sagen Danke für die Nahrungsmittelsicherheit, die wir bei uns haben.
(Beifall bei der CDU/CSU)
„Zeitenwende“, ein Schlagwort, das seit ein paar Wochen die Diskussion prägt und inzwischen selbst bei Wikipedia zu finden ist. Außer dem Wort haben wir eher das Gefühl einer ruhigen Hand, vor allem dann, wenn es um die Waffenlieferungen an die Ukraine geht. Die ruhige Hand, lieber Herr Bundeskanzler, scheinen Sie sich von Ihrem letzten SPD-Vorgänger abgeschaut zu haben, der in einem ganz besonderen Verhältnis zu Russland und Putin steht.
Unsere Verbündeten setzen auf uns; das sagen sie uns jeden Tag. Wenn wir dann allerdings lesen, was der polnische Staatspräsident Duda sagt oder der litauische Außenminister Landsbergis, dann sehen wir, dass genau das hier nicht zutrifft. Die Geschlossenheit, die wir brauchen, die Waffenlieferungen, die die Ukraine von uns zu Recht erwarten kann, liefern Sie nicht.
(Beifall des Abg. Sepp Müller [CDU/CSU])
Liebe Kolleginnen und Kollegen, niemand kann sich aussuchen, in was für Zeiten er oder sie lebt. Niemand kann vorab wissen, wie man mit einer solchen Situation umgeht. Aber „Zeitenwende“ bedeutet besondere Verantwortung. „ Zeitenwende“ bedeutet für uns, dass wir die politische Ordnung in Europa gemeinsam mit unseren europäischen Partnern konstruktiv neu gestalten, dass wir uns den vielfältigen Krisen und Herausforderungen stellen – nicht gegeneinander; das haben auch wir als Union, als Opposition in den letzten Wochen deutlich unter Beweis gestellt –, aber auch nicht ideologiegetrieben, sondern mit klarem Verantwortungsbewusstsein.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Fraktionsvorsitzender hat heute drei Fragen an Sie gestellt, Herr Bundeskanzler.
(Zuruf des Abg. Otto Fricke [FDP])
Die Bevölkerung hat einen Anspruch auf Antworten.
(Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: So ist es!)
Wir werden Sie an diesen Antworten hier messen.
Danke schön.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Das Wort hat die Staatsministerin Reem Alabali-Radovan.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7536991 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 40 |
Tagesordnungspunkt | Bundeskanzler und Bundeskanzleramt, Unabhängiger Kontrollrat |