01.06.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 40 / Tagesordnungspunkt EPL 05

Michael Georg LinkFDP - Auswärtiges Amt

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Gysi, als Sie kurz nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine Stellung nahmen, hatte ich für einen Moment gedacht, dass zumindest bei Ihnen Realismus eingekehrt sei. Ihre Fraktion hat sich ohnehin gleich anders geäußert. Aber in welchem Zentralkomitee ist denn Ihre heutige Rede geschrieben worden?

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN)

Sie haben heute einen Rückfall in ein Wunschdenken schlimmster Szenarien des Kalten Krieges gehabt, wie ich ihn selten erlebt habe. Und ich kann nur sagen: Wenn Sie denken, dass das funktioniert, dann nutzen Sie bitte die sehr guten Kontakte nach Russland, in den Kreml, die Sie und viele Ihrer Parteikollegen haben. Das gilt im Übrigen auch für die Abgeordneten auf der entgegengesetzten Seite des Plenums. Der Beifall hier heute von ganz links und von ganz rechts spricht Bände und zeigt uns erneut, dass wir Demokraten zusammenhalten müssen.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, man kann viel kritisieren. Man kann in der Tat bei den Sanktionen viel kritisieren, aber nicht, dass sie zu weitgehend sind. Vielmehr sage ich nach dem Sondergipfel von gestern Abend einmal ganz deutlich: Was für ein erbärmliches Schauspiel, wie es Orban aufgrund der Einstimmigkeitsregel gelungen ist, aufzuführen, und – ich sage das deutlicher, als unsere Regierungsvertreter das können und dürfen – was für ein erbärmliches Schauspiel, dass es immer noch möglich ist, dass ein Land alle anderen am Nasenring durch die Manege führt! Das muss sich ändern.

(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Denn die EU bleibt in der Tat hinter ihren Möglichkeiten zurück.

(Zurufe von der AfD)

Deshalb hat sich die Ampel im Koalitionsvertrag vorgenommen, dass wir an diesem Thema arbeiten, um endlich zu qualifizierten Mehrheiten in der Außen- und Sicherheitspolitik zu kommen, damit sich so etwas wie gestern nicht wiederholt. Es war – ich sage es noch einmal – ein Trauerspiel.

Und wenn man sieht, wie Orban sich dann auch noch produziert hat, kann ich nur sagen: Wir müssen uns gut auf den nächsten Europäischen Rat vorbereiten. Lasst uns auch überlegen, welche Möglichkeiten bestehen, wie wir ohne das Einstimmigkeitserfordernis jetzt schon Wege finden, um uns nicht mehr von einzelnen Mitgliedern erpressen zu lassen – von Mitgliedern, die wie Viktor Orbans Ungarn erkennbar mit Putin über Bande spielen.

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage aus der AfD-Fraktion, von Herrn Bystron?

Ja.

Vielen Dank, Herr Kollege, dass Sie die Zwischenfrage zulassen. – Sie haben sich selbst hier gerade zu einem Demokraten erklärt, und im gleichen Atemzug kritisieren Sie demokratische Spielregeln in der EU, also das Einstimmigkeitsprinzip.

Viktor Orban ist mit 54 Prozent in seinem Land gewählt worden. Das sind Mehrheiten, von denen Sie nur träumen. Er hat somit eine hohe Legitimation, sein Volk zu vertreten. Ist das Ihr Verständnis von Demokratie, dass Sie ihn auf Linie bringen wollen?

(Beifall bei der AfD)

Herr Kollege, ich danke Ihnen für die Frage. Ich empfehle Ihnen, den Bericht der Wahlbeobachter der OSZE zu lesen sowie die Analyse über das ungarische Wahlrecht.

(Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich empfehle Ihnen auch, den letzten Bericht der Europäischen Grundrechteagentur

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Lesen Sie mal den Bericht über die Berliner Wahl!)

oder der OSZE-Medienfreiheitsbeauftragten über die fehlende Pressefreiheit in Ungarn zu lesen.

(Stefan Keuter [AfD]: Wir waren von der OSZE dort!)

Die ungarischen Wahlen als demokratische Wahlen zu bezeichnen, geht über das hinaus, was wir unter einen solchen verstehen – also ich bezeichne sie nicht als eine demokratische Wahl.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei Abgeordneten der AfD)

Sie ist eine Wahl, in der das Wahlrecht durch geschickte Manipulation im Vorfeld es dem jetzigen Regierungsinhaber erleichtert hat, wiedergewählt zu werden. Deshalb sage ich ganz deutlich: Demokratisch gewählt heißt noch lange nicht demokratisch gesinnt.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Diese Frage der demokratischen Gesinnung, die Frage, wie wir Demokratie leben, die zeigt sich nicht nur am Tag der Wahl.

(Karsten Hilse [AfD]: In Berlin zum Beispiel, oder was?)

Demokrat wird man nicht durch Wahl, Demokrat wird man durch Haltung. Und das würde ich mir von Ihnen wünschen.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb sagen wir ganz klar: Ja, wir wollen mehr Mehrheitsabstimmungen in der Europäischen Union, weil wir – das geht natürlich weit über diese Wahlperiode hinaus – sie weiterentwickeln wollen, auch dazu haben wir uns in unserem Koalitionsvertrag bekannt. Wir haben uns dazu bekannt, weil dieses Europa keine Zeiterscheinung ist, die jeweils bis zur nächsten Wahl existiert, sondern weil wir diese Europäische Union dauerhaft stärken wollen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte – das wäre mein Punkt – ermutigen wir die Bundesregierung! Greifen Sie vor dem nächsten Europäischen Rat wirklich noch einmal auf die vielen Europäerinnen und Europäer in anderen Regierungen und auch hier auf die große Mehrheit in diesem Hause zurück, die sagt: Wir sollten der Ukraine eine europäische Perspektive, eine Beitrittsperspektive aufzeigen. Das wird das große Thema des nächsten Europäischen Rates werden. Wir ermutigen Sie, hier gemeinsam mit anderen voranzugehen.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Kollegin Schäfer hat bereits zum Haushaltsetat gesprochen, Kollege Schmid ebenfalls.

Und übrigens: Kollege Körber, danke auch Ihnen für die hervorragende Zusammenarbeit unter Demokraten, schön, was wir erreicht haben, um diesen Haushalt zu stärken.

Jetzt ist die Zeit weit fortgeschritten; deshalb nur noch einige wenige Aspekte zum Haushalt, die aber wichtig sind: Wir haben das ZIF gestärkt. Wir haben die humanitäre Hilfe gestärkt. Wir haben den Bereich der Menschenrechtsverteidiger gestärkt. Wir haben die Ausstattung der Visumsstellen verstärkt. Wir haben die nötigen Mittel für das Visumsportal vorgesehen, weil wir dort vorankommen wollen. Frau Ministerin, da danke ich den vielen Aktiven in Ihrem Haus, die genau bei diesen strukturellen Fragen vorankommen wollen. In all diesen Dingen haben wir im parlamentarischen Verfahren noch mal deutliche Signale gesetzt.

Es war uns sehr wichtig, dieses Signal zu setzen, das Haus strukturell zu stärken. Denn es ist eines der wichtigsten Ministerien von denen, die wir haben. Früher ist manchmal die Struktur nicht mitgewachsen; jetzt ist sie mitgewachsen, da es Leute geben muss, die alles, was gemacht werden muss, auch umsetzen. Deshalb bedurfte es einerseits mehr Mittel für humanitäre Hilfe – das haben wir gemacht – und andererseits für die Struktur. Ich glaube, das war ein wichtiges Signal, sodass dieses Ministerium jetzt wirklich auch angemessen reagieren kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, weil es für mich persönlich die letzte Berichterstattung war, die ich zum Einzelplan 05 gemacht habe, und ich mich jetzt auf die Arbeit als transatlantischer Koordinator konzentriere, will ich mich ganz besonders bei den vielen Angehörigen des Auswärtigen Dienstes bedanken, die weltweit eine fantastische Arbeit machen, die oft auch an sehr gefährlichen Orten geleistet wird, genauso wie in der Zentrale. Da ist es nicht so gefährlich, aber da ist es jedenfalls manchmal besonders schwierig.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)

Es ist natürlich so, dass wir mit den anderen Häusern, die immer mehr international tätig sind, mehr Abstimmung brauchen. Ja, das Haushälterherz sagt: Bitte, wir brauchen mehr Kontrolle bei der Mittelverwendung! – In der Tat, da gibt es viele gute Ideen, gerade auch aus dem Auswärtigen Amt.

(Dr. Götz Frömming [AfD]: Vom Bundesrechnungshof auch!)

Wir müssen auch bei dem Thema Länderdatenbank vorankommen. Ich übergebe das vertrauensvoll an meinen Nachfolger als Berichterstatter, der da weiter dranbleiben wird; denn wir als Parlament müssen und wir werden da dranbleiben.

Wie gesagt: Danke für die hervorragende Zusammenarbeit in diesem Bereich. Meine Fraktion stimmt diesem Einzelplan gerne zu. Und ich freue mich auf die zukünftige Zusammenarbeit in anderen Funktionen.

Danke schön.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

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Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
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Wahlperiode 20
Sitzung 40
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