01.06.2022 | Deutscher Bundestag / 20. EP / Session 40 / Tagesordnungspunkt EPL 23

Nadja SthamerSPD - Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Beratungen zum Haushalt des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung für dieses Jahr haben es mal wieder gezeigt: Das Parlament bestimmt den Haushalt.

Aufgrund der vielfältigen Krisen, denen wir rund um den Globus begegnen müssen, hätte es nun wirklich weltfremd gewirkt, wenn der Haushalt des BMZ, wie im ersten Entwurf vorgesehen, um 1,6 Milliarden Euro gekürzt worden wäre.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Daher möchte ich mich auch noch einmal bei allen bedanken, die sich in den Verhandlungen zum Haushalt für ein gut ausgestattetes BMZ eingesetzt haben.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Wir sehen, dass die Coronapandemie auch in den Ländern des Globalen Südens noch immer nicht vorbei ist. Und wir wissen doch alle, dass die wirtschaftlichen und die sozialen Folgen der Pandemie in den Partnerländern viel schlimmer sind als die Pandemie selbst. Die Armut steigt rasant, die Zahl der hungernden Menschen nimmt zu, etliche Erfolge der Zusammenarbeit der letzten Jahre sind durch die Folgen der Pandemie weggewischt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wissen Sie eigentlich, was heute für ein Tag ist? Heute ist der Internationale Kindertag – ein Tag, der in meiner Heimatstadt Leipzig eine hohe Bedeutung hat, ein Tag, an dem die ganze Stadt Kinder ins Zentrum der Aufmerksamkeit nimmt. Ich finde, wir sollten das alle viel öfter tun. Die globale Situation aufgrund der Coronapandemie sieht vielerorts so aus: Kinder leiden Hunger, gehen nicht mehr zur Schule und arbeiten stattdessen im informellen Sektor. – Wir dürfen aber nicht zulassen, dass es zu einer ganzen verlorenen Generation kommt. Deshalb freue ich mich sehr, dass wir in der Entwicklungszusammenarbeit einen Fokus auf Bildungsförderung legen. Aus dem Ergänzungshaushalt konnten wir etwa Education Cannot Wait 10 Millionen Euro zusätzlich geben. Damit sind wir bei diesem Titel bei insgesamt 60 Millionen Euro angekommen. Wir sagen: Entwicklungspolitik muss Kinder schützen und stärken.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Länder des Globalen Südens erleiden schwerwiegende Folgen durch den Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine. Das hat nicht nur unmittelbare Auswirkungen vor Ort, sondern bringt weitreichende Folgen für die ganze Welt mit sich, besonders im Bereich der Nahrungsmittelproduktion und des Transports. Wir reden hier nicht mehr von einer Ernährungskrise, sondern von einer echten Hungersnot. In der ganzen MONA-Region steigen die Brotpreise rasant. Im Libanon haben sie sich vervierfacht, in Ägypten verdoppelt.

Der Brotpreis ist ein politischer Preis. Gerade angesichts der hohen Staatsverschuldung in Afrika sitzen einige Länder deshalb auf einem Pulverfass, und wir wissen alle nicht, wie lang die Lunte noch ist. Ich bin Svenja Schulze sehr dankbar, dass sie im Zuge des deutschen G‑7-Vorsitzes ein neues Bündnis für globale Ernährungssicherheit ins Leben gerufen hat. Diese Aufgabe liegt ganz klar beim BMZ und ist dort auch genau richtig aufgehoben. Dort brauchen wir auch weiterhin die nötigen finanziellen Mittel.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Pascal Kober [FDP])

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie gesagt: Die Aufgaben der Entwicklungszusammenarbeit sind nicht kleiner, sondern größer geworden. Laut UNHCR sind weltweit erstmals mehr als 100 Millionen Menschen auf der Flucht. Diese enorme Zahl an fliehenden Menschen heißt für uns auch: Wir müssen für die Menschen vor Ort echte Perspektiven schaffen; denn über die Hälfte der 100 Millionen fliehenden Menschen sind Binnenvertriebene. Um den Fluchtursachen zu begegnen, müssen wir präventiv handeln. 1 Euro vor Ort für die Entwicklung auszugeben, um wirtschaftliche und gesellschaftliche Perspektiven zu schaffen, ist ein Bruchteil dessen, was es kostet, Menschen auf der Flucht zu versorgen. Eine weitere Zahl finde ich in diesem Zusammenhang wirklich krass: Durchschnittlich sind fliehende Menschen 20 Jahre lang auf der Flucht – 20 Jahre ihres Lebens!

Nichts ist destabilisierender als hungernde Menschen. Das sollten wir uns immer vor Augen führen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Natürlich können wir die Bundeswehr, NATO- oder UN-Truppen in Krisenregionen schicken. Aber es geht auch einfacher und nachhaltiger: Wir brauchen eine ehrliche, wirksame und für alle gewinnbringende Zusammenarbeit mit den Partnerländern. Dabei sprechen wir von einer Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Ich denke, wir müssen bald ein neues Kapitel der Entwicklungszusammenarbeit aufschlagen und eine „neue Souveränität“ für die Partnerländer anstreben. Wer an Souveränität gewinnt, kann auf der Weltbühne selbstbewusst handeln und eine gleichberechtigte Zusammenarbeit einfordern und auch erreichen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben im Haushalt viel Geld in die Hand genommen und dazu beigetragen, dass der Wiederaufbau der Ukraine auch vom BMZ unterstützt werden kann. Es ist eine Kernaufgabe dieses Ministeriums, nachhaltige Strukturen und damit Stabilität aufzubauen. Kein Haus kann das besser als das BMZ mit seiner langen Erfahrung und seinen kompetenten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. An dieser Stelle meinen ganz herzlichen Dank an sie alle!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Ich bin übrigens auch ganz begeistert, dass Svenja Schulze im BMZ eine feministische Entwicklungspolitik zum Schwerpunkt macht. Das spiegelt sich auch im Haushalt wider. Frauen und Mädchen machen die Hälfte der Bevölkerung aus. Diese Hälfte bei politischen Entscheidungen einzubinden und ihr eine Stimme zu geben, sollte eine Selbstverständlichkeit sein.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Wenn Frauen die gleiche Entscheidungsmacht haben wie Männer, gibt es einen festeren gesellschaftlichen Zusammenhalt. Vielfach sind es Frauen, die lokale Expertinnen sind oder Fachwissen aus ihren Berufen mitbringen. Und doch bleiben sie bei wesentlichen Entscheidungen oft außen vor und werden eben nicht mit einbezogen. Um das zu ändern, müssen wir bei allen entwicklungspolitischen Vorhaben eine Genderperspektive integrieren.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Und auch der Fokus auf Frauenrechte ist mir wichtig: Frauenrechte sind das Recht jeder Frau auf allgemeine Menschenrechte. Die Freiheit und Unabhängigkeit von Frauen ist der Gradmesser einer freien Gesellschaft für alle. Das werden wir auch im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung immer im Blick behalten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Entwicklungszusammenarbeit ist Friedensarbeit. Was wird uns denn in diesen Tagen bewusster als die Bedeutung von Frieden, Freiheit und Sicherheit? Entwicklungszusammenarbeit schafft Stabilität auf beiden Seiten. Unsere gezielte Unterstützung der Zivilgesellschaft in den Partnerländern sorgt für die notwendige Verankerung von nachhaltigen Veränderungen.

(Zuruf von der AfD: Eben nicht!)

Ich möchte daher denjenigen, die sich schon jetzt mit der Erarbeitung des Haushalts für 2023 befassen, mitgeben, dass wir auch in Zukunft eine gut ausgestattete Entwicklungszusammenarbeit brauchen, die dem vernetzten Sicherheitsgedanken und unserem Koalitionsvorhaben der Eins-zu-eins-Regelung gerecht wird. Denn nach dem Haushalt ist vor dem Haushalt.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Kathrin Henneberger, Bündnis 90/Die Grünen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

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Electoral Period 20
Session 40
Agenda Item Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
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