Esther DilcherSPD - Justiz, Bundesverfassungsgericht
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister, wir haben eben gerade verabredet, dass Sie jetzt die Zeit meiner Rede nutzen können, um Ihre Stimme abzugeben.
„Demokratische Werte sind unsterblich!“, mit diesen Worten wird heute, am 2. Juni 2022, an die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke erinnert. Über vier Jahre war der CDU-Politiker, der in meinem Wahlkreis, in Istha, wohnte, im Netz angefeindet worden, weil er staatsverachtenden Zwischenrufen von rechtsradikalen Störern bei einer Infoveranstaltung zu Flüchtlingsunterkünften die Stirn geboten, weil er Haltung gezeigt und ihnen zugerufen hatte:
Es lohnt sich, in unserem Land zu leben. Da muss man für Werte eintreten. Und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist.
Für diese unerschrockene Haltung und insbesondere wegen dieser Einstellung gegen Rechtsextremismus musste er mit seinem Leben bezahlen.
Walter Lübcke war stets offen für sachliche Kritik – auch wenn wir nicht immer einer Meinung waren –, aber er forderte auch ein klares Bekenntnis zu unserer Demokratie, zu unserer Verfassung und zu unserem Rechtsstaat.
(Zuruf von der AfD)
Er wird mir und sicherlich auch Ihnen, geschätzte Kolleginnen und Kollegen, als Vorbild für die Verteidigung und Bewahrung unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung in Erinnerung bleiben.
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
„Demokratische Werte sind unsterblich!“ – Und dass diese Werte unsterblich bleiben, dafür braucht es einen starken Rechtsstaat, in den alle Bürgerinnen und Bürger Vertrauen haben. Dieses Vertrauen ist keine Selbstverständlichkeit, sondern braucht vor allem eine gut ausgestattete Justiz. Dazu hat die Große Koalition den Pakt für den Rechtsstaat gemeinsam mit den Ländern auf den Weg gebracht und 220 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, um 2 000 neue Stellen zu schaffen. Nach Artikel 30 unseres Grundgesetzes ist die Ausübung der staatlichen Befugnisse und die Erfüllung der staatlichen Aufgaben originär Sache der Länder.
Der Deutsche Richterbund stellt aktuell fest, dass 41 Prozent der Richterinnen und Richter bzw. Staatsanwälte und Staatsanwältinnen bis 2030, das heißt also innerhalb der nächsten acht Jahre, in Pension gehen. Die Ampelkoalition hat daher auch in ihrem Koalitionsvertrag formuliert:
Wir verstetigen mit den Ländern den Pakt für den Rechtsstaat und erweitern ihn um einen Digitalpakt für die Justiz.
Das ist auch gut so, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Aber: Als Haushälterin will ich diese wichtige Aufgabe, die ich keineswegs infrage stelle, unter dem Gesichtspunkt der Finanzierung in den Länderhaushalten und im Bundeshaushalt beleuchten. Nach der Statistik des Bundesamtes für Justiz waren Ende Dezember 2018 beim Bund und bei den Ländern 21 338 Richterinnen und Richter beschäftigt. Ende 2020 waren es 21 942, also 604 mehr. Bei den Staatsanwaltschaften waren 2018 noch 5 882 Staatsanwältinnen und Staatsanwälte beschäftigt. Ende 2020 war ein Zuwachs auf 6 197 Stellen zu verzeichnen, also ein Plus von 315 Stellen. Wer mitgezählt hat, merkt, dass wir in diesen zwei Jahren einen Aufwuchs von 919 Stellen hatten, die in der Statistik erfasst sind. Auf mehrfache Nachfragen wurde uns aber immer mitgeteilt, dass bis heute sogar mehr als 2 000 Stellen geschaffen worden seien; dann müssten innerhalb der letzten anderthalb Jahre noch einmal um die 1 100 Stellen dazugekommen sein. Die Zahlen liegen uns aber nicht vor, sind offenbar nicht feststellbar. Das kann aus Haushältersicht so nicht hingenommen werden, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Bei einer Neuauflage und Verstetigung dieses Paktes habe ich daher die Erwartung, dass bei finanzieller Unterstützung des Bundes erstens auch eine transparente Umsetzung in den Ländern erfolgt, zweitens die Länder nicht auf Kosten des Bundes ihre Länderhaushalte sanieren und drittens Neueinstellungen nicht nur die Pensionierungswelle auffangen, sondern den Rechtsstaat weiterhin verlässlich für die Zukunftsaufgaben machen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP und des Abg. Dr. Günter Krings [CDU/CSU])
Mit großem Interesse werden wir auch verfolgen, wie die Ankündigung des Ministers umgesetzt wird, der bereits umfangreiche Vorschläge zur Digitalisierung der Justiz unterbreitet: für digitale Gerichtssäle, zivilgerichtliche Onlineverfahren, digitale Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung. Dadurch schaffen wir einen zeitgemäßen, modernen und bürgerfreundlichen Zugang zur Justiz.
Neue Stellen – der Minister hat es schon erwähnt – beim Generalbundesanwalt gewährleisten unsere innere und äußere Sicherheit durch Ermittlungstätigkeiten bei terroristischen Gewalttaten, bei Landesverrat und bei Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch. Derzeit ganz aktuell – auch das hat Herr Buschmann schon erwähnt – sind die Strukturermittlungsverfahren wegen des Angriffskriegs Putins gegen die Ukraine.
Wir haben in der Bundesrepublik in vielen Fällen gutes Handwerkszeug, das heißt in diesem Fall: gute Gesetze, um Straftaten zu verfolgen. Wichtig und daher richtig ist es, dass wir auch das Personal zur Verfügung stellen, das dieses Recht anwendet und auch durchsetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Clara Bünger [DIE LINKE])
An dieser Stelle kann ich Ihnen nicht ganz recht geben, Frau Hoppermann. Wenn Sie den Einzelplan länger begleiten, dann werden Sie merken, dass es bereits in den letzten Jahren stark kritisiert wurde, dass gerade in diesem personalintensiven Haushalt viele, viele Stellen erst einmal unbesetzt bleiben.
(Franziska Hoppermann [CDU/CSU]: Dann braucht man ja den Etat nicht aufzustocken!)
– Das ist kein Quatsch, das können Sie im Haushalt nachgucken; das können Sie nachfragen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP und der Abg. Clara Bünger [DIE LINKE] – Franziska Hoppermann [CDU/CSU]: Warum stocken Sie den Etat dann noch weiter auf?)
Das ist Blödsinn.
(Franziska Hoppermann [CDU/CSU]: Das ist doch Quatsch!)
– Nein. – Ich begleite den Haushalt jetzt schon fünf Jahre, und selbst Ihre Kollegen und Kolleginnen haben das in der letzten Legislatur festgestellt, die FDP, alle. Wir haben nachgefragt. Das liegt einfach auch an dem schwierigen Stellenbesetzungsverfahren:
(Franziska Hoppermann [CDU/CSU]: Dann braucht er nicht noch mehr Geld!)
dass ausgeschrieben werden muss und dass man für gewisse Positionen erst einen gewissen Durchlauf haben muss, zum Beispiel beim Generalbundesanwalt.
(Helge Limburg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)
Man kann nicht einfach von der Hochschule kommen und beim Generalbundesanwalt anfangen. Der kann nicht Leute ausbilden, sondern er braucht bereits erfahrene Ermittlerinnen und Ermittler
(Franziska Hoppermann [CDU/CSU]: Müssen Sie gucken, was Sie gekürzt haben!)
und die müssen von den Ländern abgeordnet werden, und derzeit ist es so, dass die Länder den Leuten verwehren, sich beim Generalbundesanwalt zu bewerben, weil sie ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht hergeben wollen.
(Helge Limburg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Auch die CDU-Minister/-innen! – Franziska Hoppermann [CDU/CSU]: Das liegt an den Angestelltenbudgets! Sehen Sie sich doch den Etat an! Sie haben ja keine Ahnung!)
– Danke. Aber Sie haben die Ahnung.
Abschließend geht mein Dank an alle Mitberichterstatter und die Mitarbeitenden im Ministerium, die in den letzten zehn Wochen unter Hochdruck gearbeitet haben.
Insgesamt gehen wir davon aus – und wir werden Sie auch davon überzeugen –, dass wir als Ampelkoalition einen soliden Bundeshaushalt vorlegen, mit einem Justizhaushalt, der auf aktuelle Herausforderungen reagiert und die Justiz fortschrittlich aufstellt. Daher bitte ich um Ihre Zustimmung.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP und der Abg. Clara Bünger [DIE LINKE])
Die nächste Rednerin ist für die Fraktion Die Linke Clara Bünger.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7537144 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 41 |
Tagesordnungspunkt | Justiz, Bundesverfassungsgericht |