Christian DürrFDP - Regierungserklärung EU Rat, G7-Gipfel, NATO-Gipfel
Herzlichen Dank. – Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Vor knapp drei Wochen war der ukrainische Parlamentspräsident Stefantschuk zu Gast hier im Deutschen Bundestag. Viele von Ihnen haben mit ihm persönlich sprechen können; ich hatte auch die Gelegenheit. Er hatte eine Botschaft dabei: Die Ukraine möchte den europäischen Weg gehen. – Dabei war seine Botschaft in Wahrheit noch differenzierter: Nicht die Regierung, nicht die Eliten des Staates, sondern die Menschen in der Ukraine, das Volk der Ukraine will den europäischen Weg gehen.
Herr Chrupalla, Sie haben gerade gesagt, die Europäische Union sei aufgezwungener Gemeinsinn. Mit Verlaub: Das Volk der Ukraine, das sich gerade gegen Ihren Freund Wladimir Putin verteidigt, will in Europa stattfinden und Teil dieser Europäischen Union sein. Das hat nichts mit Aufgezwungenheit zu tun. Welch ein Quatsch!
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die Realität straft Sie Lügen, liebe Kollegen der AfD.
Ich bin froh, dass wir heute im Deutschen Bundestag sagen können, auch nach dem gemeinsamen Antrag der demokratischen Mitte des Hauses, dass dieser europäische Weg jetzt beim Europäischen Rat konkretisiert wird, und zwar, indem wir der Ukraine den Kandidatenstatus anbieten werden. Es ist das erste Mal in der Geschichte der Europäischen Union, dass einem Land, gegen das Krieg geführt wird, der Beitrittskandidatenstatus angeboten wird.
(Tino Chrupalla [AfD]: Prima!)
Das ist auch eine historische Wende. Dieser Kandidatenstatus, meine Damen und Herren, diese Beitrittsperspektive in das Haus Europa, hat die volle Unterstützung der Bundesrepublik Deutschland; auch das ist ein Signal des Europäischen Rates in dieser Woche.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich glaube, es geht um mehr als das Teilen der gemeinsamen Werte; darüber haben wir in den vergangenen Debatten hier schon viel gesprochen. Es geht natürlich um die Perspektive auf Freiheit, auf Wohlstand und auf Rechtsstaatlichkeit. Es geht um die Werte, die das russische Regime mit seinem Angriffskrieg fundamental bedroht und zerstören will. Es wurde vielfach gesagt: Putin hat Angst vor Demokratie und vor der Freiheit. – Diese Werte verteidigt die Ukraine, und genau deshalb sind wir gerade als Deutschland der Ukraine tief verbunden.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Aktuell – das muss man sich bewusst machen – sterben in der Ukraine junge Menschen. Sie werden von russischen Soldaten ermordet.
(Zuruf von der AfD: Oder von ukrainischen!)
Es sind junge Menschen, die noch 2014 – ebenfalls unter Einsatz ihres Lebens – auf dem Maidan für die europäische Perspektive, für die Freiheit, für die Gerechtigkeit demonstriert haben. Einer von ihnen ist Roman Ratuschny. Er ist vor Kurzem in der Nähe von Charkiw im Krieg getötet worden. Damals, 2014, war er als junger Student unter den ersten Demonstranten auf dem Maidan und hat für Demokratie und Freiheit gekämpft, die damals mit Gewalt durch russische Unterstützung unterdrückt werden sollten. Er ist im Februar dieses Jahres der ukrainischen Armee beigetreten, um die neu gewonnene Freiheit, die Werte, für die er schon damals unter Einsatz seines Lebens eingestanden ist, zu verteidigen. Im Juli dieses Jahres wäre Roman 25 Jahre alt geworden.
Sein Beispiel ist es, das die Bedeutung der europäischen Perspektive für die Ukraine und die Werte unterstreicht, auf die wir uns ebenfalls immer wieder besinnen müssen, die wir als Europäer immer wieder erkämpfen müssen. Dass sein Schicksal, seine Geschichte eine von vielen ist, zeigt genau das, was der Parlamentspräsident meinte: Das ukrainische Volk möchte den europäischen Weg gehen. – Wir stehen an der Seite der Ukrainerinnen und Ukrainer, die zurzeit ihr Leben dafür geben würden, diesen Weg und insbesondere die Freiheit ihres Landes zu verteidigen, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Eine Perspektive bietet auch das, was Sie angesprochen haben, Herr Bundeskanzler, nämlich der Wiederaufbau des Landes nach diesem fürchterlichen Krieg. Auch das ist Teil der ukrainischen Perspektive auf dem europäischen Weg. Der beste Weg dorthin ist das Erfolgskonzept der Europäischen Union schlechthin: der gemeinsame Binnenmarkt; auch das muss eine Perspektive sein. Ich spreche wie viele von Ihnen mit Ukrainerinnen und Ukrainern. Die denken bereits heute an die Zukunft, trotz des Krieges. Obwohl ihre Verwandten dort sterben, denken sie bereits an die Zukunft und wollen Teil dieses Wohlstandsprojekts werden.
Dass das so wichtig ist, zeigen die weiteren internationalen Gipfeltreffen, die jetzt anstehen: neben dem Europäischen Rat die G 7 und natürlich auch der NATO-Rat. Ich will an der Stelle auch noch mal auf das G‑7-Treffen zu sprechen kommen, Herr Bundeskanzler. Wir haben eines gelernt, nämlich dass die Abhängigkeit, insbesondere die Energieabhängigkeit, von einer Nation sehr gefährlich ist. Gleichzeitig hat dieses Land, eine der erfolgreichsten Exportnationen der Welt und die viertgrößte Volkswirtschaft des Planeten, gelernt, dass Freihandel mit anderen Ländern zu Wohlstand und Demokratie beiträgt. Aber die Sätze der Vergangenheit – „Wandel durch Handel“ – stimmen leider in der Form nicht mehr. Dieses Konzept ist in Bezug auf Russland gescheitert;
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
das muss man sagen.
Aber ich werbe dafür, dass wir uns jetzt erst recht mit den liberalen Demokratien der Welt zusammentun. Das geht über Kanada und die Vereinigten Staaten hinaus. Es geht dabei auch um Asien; ich denke an Japan beispielsweise und die anderen Demokratien in der Region. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, im Rahmen der G 7, im Rahmen der Wertegemeinschaft der liberalen Demokratien der Welt erneut auf Freihandel zu setzen. Auch das schafft Demokratie in der Welt und Wohlstand in der Zukunft, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Zoe Mayer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Das unterstützen wir gerne!)
Ich will zum Schluss natürlich auch auf die wirtschaftliche Situation in Deutschland zu sprechen kommen, weil Herr Merz das angesprochen hat. Ich will in einer Sache in der Debatte, die wir dieser Tage führen, ganz klar sein: Wir stehen vor einer großen Herausforderung im Winter. Ich glaube, an einer Stelle kann es keine zwei Meinungen geben: Eine Energielücke für Deutschland im Winter kann keine Option sein. Das heißt, wir müssen hier an Alternativen arbeiten, meine Damen und Herren. Das ist auch unser Auftrag als Bundesregierung in den kommenden Wochen. Das ist das eine.
Aber Herr Merz sprach ja beispielsweise auch den Bundeshaushalt und die Frage des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes an. Herr Merz, der Satz hätte anders lauten müssen. Sie haben begonnen mit: „Es ist für uns als CDU/CSU“, und dann hätte folgende Ergänzung kommen müssen: Es ist für uns als CDU/CSU nach 16 Jahren
(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Oh!)
wieder die klare Haltung, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt gilt.
(Beifall bei der FDP und der SPD – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Täglich grüßt das Murmeltier! – Dorothee Bär [CDU/CSU]: So eine Leier!)
Das wäre der richtige Redebaustein gewesen; so wäre es richtig gewesen.
Ich bin schon sehr verwundert, weil Sie den richtigen Zusammenhang dargestellt haben, nämlich zwischen solider Haushaltspolitik, dem Einhalten der Schuldenbremse und der Bekämpfung der Inflation hier in Deutschland, meine Damen und Herren.
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Frau Dröge hat das Gegenteil gesagt! – Friedrich Merz [CDU/CSU]: Da sagt Frau Dröge aber was ganz anderes!)
Ihre eigenen Vorschläge zum Bundeshaushalt 2022 sprechen an der Stelle Bände: lauter neue Ausgabenvorschläge ohne echte solide Gegendeckung.
(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Das ist doch falsch!)
60 Milliarden Euro fehlten in Ihren Vorschlägen! Das Gegenteil dessen, was Sie hier propagieren, machen Sie in Ihrer Politik als Opposition im Deutschen Bundestag, Herr Merz. Auch das muss man unterstreichen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Das muss man sich erst mal trauen!)
Frau Bundestagspräsidentin hat, als sie den Tagesordnungspunkt einleitete, gesagt: Wir reden über die internationalen Gipfeltreffen und über zwei Entschließungsanträge der CDU/CSU. – Mir ist das in Ihrer Rede gar nicht aufgefallen, Herr Merz.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Lachen des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])
Ich habe mir auch die Anträge noch mal angeguckt. Die sind so was von alt und aus der Zeit gefallen. Ein Stück weit – bedaure, das so sagen zu müssen – sind das auch die Vorschläge zur aktuellen Politik, verehrter Herr Kollege.
Eines will ich zum Schluss sagen. An der Stelle haben Sie den Bundeskanzler angegriffen, und ich fand wichtig, was er hier gerade gesagt hat: Partnerschaft mit Russland ist auf absehbare Zeit unvorstellbar.
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Das sieht sein Haus aber anders!)
Umso mehr: Machen wir uns auf den Weg, Partnerschaft mit den liberalen Demokratien der Welt einzugehen!
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Für die Fraktion Die Linke hat das Wort Dr. Dietmar Bartsch.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7537433 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 43 |
Tagesordnungspunkt | Regierungserklärung EU Rat, G7-Gipfel, NATO-Gipfel |