Tim KlüssendorfSPD - Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Herr Görke, ich möchte Ihnen zunächst einmal in der Analyse zustimmen und auch noch mal auf die Situation eingehen, die wirklich dramatisch ist. Wir haben eine Inflation von knapp 8 Prozent – der höchste Wert seit über fünf Jahrzehnten. Wir haben Energiepreissteigerungen von über 40 Prozent und gerade auch im Lebensmittelbereich Preissteigerungen von 11 Prozent;
(Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Und Sie machen gar nichts!)
besonders bei den Grundnahrungsmitteln wie Butter, Mehl und Öl sind es weit über 40, 50, teilweise 60 Prozent.
Sie haben auch mit der Analyse recht, dass gerade die kleinen und mittleren Einkommen davon betroffen sind. Wenn man sich einmal anschaut, wofür das verfügbare Haushaltseinkommen eigentlich ausgegeben wird, dann ergibt sich folgende Aufteilung: 40 Prozent für Wohnen und Energie, 15 Prozent für Lebensmittel, 15 Prozent für Mobilität. Aber das ist nur der Durchschnitt. Wir können davon ausgehen, dass es bei den kleinen und mittleren Einkommen deutlich höher ist. Deswegen ist eins klar: Wir werden uns darum kümmern. Wir haben uns in der Vergangenheit mit Entlastungspaketen darum gekümmert, und wir werden uns auch in der Zukunft darum kümmern, besonders diese Menschen zu entlasten.
(Beifall bei der SPD)
Ein Einschub an der Stelle – es ist mir ein Anliegen, das zu erwähnen; denn es ist ein größeres Problem in unserer Gesellschaft –: Es gibt auch Menschen, die von dieser Krise profitieren. Es gibt hohe Vermögen, die weiter anwachsen. Wir haben eine große Ungerechtigkeit in unserer Gesellschaft, und ich möchte an dieser Stelle erwähnen, dass wir das nicht aus dem Blick verlieren, dass wir gemeinsam an Lösungen arbeiten, auch die Menschen mit höheren Vermögen stärker in die Verantwortung zu nehmen
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Das treibt doch erst recht die Inflation!)
und dadurch für mehr Gerechtigkeit und für den sozialen Frieden zu sorgen.
Aber wir sprechen heute über kurzfristige Lösungen. Ich habe eben schon erwähnt: Wir haben Entlastungspakete in Höhe von 30 bis 40 Milliarden Euro gemeinsam mit FDP und Grünen auf den Weg gebracht. Wir müssen erst mal abwarten, wie die sich auswirken. Wir haben im Moment noch keine Werte darüber, wie sie ihre Entlastungswirkung entfalten.
(Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Gar nicht!)
Der Verkauf des 9‑Euro-Tickets läuft gerade; es gibt den Tankrabatt, von dem wir zumindest noch nicht wissen, inwiefern er wirklich weitergegeben wird. Aber es ist so, dass wir natürlich einfach erst mal die Wirksamkeit dieses Pakets abwarten müssen. Der Bundeskanzler hat richtigerweise zu einer konzertierten Aktion eingeladen, damit wir gemeinsam vorangehen. Die beiden ergriffenen Maßnahmen auf der einen Seite und die Einladung auf der anderen Seite: Ich finde schon, dass das Aktivität ist, die man zur Kenntnis nehmen muss und die man nicht einfach wegdiskutieren kann.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Anne Monika Spallek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Zuruf von der SPD: Sehr richtig!)
Wenn wir nun über die beiden vorliegenden Anträge bzw. über die Beschlussempfehlung sprechen, dann möchte ich sagen, dass der Antrag der Linken aus meiner Sicht schon konsequent und glaubwürdig ist, dagegen der der AfD mal wieder nicht. Ihre Forderungen sind rückwärtsgewandt, klimafeindlich und sogar europarechtswidrig – zum erneuten Male. Wir haben es im Ausschuss diskutiert, wir haben es hier diskutiert. Sie sind immer noch nicht auf die Idee gekommen, Ihre Forderungen mal anzupassen. Ich weiß nicht, welche Ziele Sie vor allen Dingen mit der Abschaffung der CO2-Steuer verfolgen. Das Ziel, die Menschen wirklich zu entlasten, verfolgen Sie damit auf jeden Fall nicht.
(Beifall bei der SPD – Zuruf von der SPD: So ist es!)
Warum spreche ich mich heute dennoch für eine Ablehnung aus? Es gibt drei Gründe, warum wir im Moment nicht der Auffassung sind, dass sich die im Antrag vorgeschlagene Maßnahme als Teil eines weiteren Entlastungspaketes lohnt.
Zunächst einmal ist sie nicht wirksam. Sie ist nicht wirksam, weil Inflation kein Zustand ist, sondern ein Prozess. Eine einmalige Preissenkung würde vielleicht für einen kurzen Effekt sorgen, aber sie würde natürlich langfristig nichts nützen, weil die Preise weiter ansteigen.
(Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Tankrabatt!)
Außerdem gibt es einen funktionierenden Markt. Andererseits sind die Bedingungen im Moment so, dass ich als Unternehmer angesichts der auch in Zukunft anzunehmenden Preissteigerungen natürlich nicht sofort reagieren würde, sondern mein Risiko für die Zukunft einfach mit einkalkulieren würde und die Preise so lassen würde, wie sie sind, um mich gegebenenfalls gegen zukünftige Kostensteigerungen abzusichern. Deswegen muss man im Moment davon ausgehen, dass die Mitnahmeeffekte so hoch sind, dass die Preissenkungen nicht auf den Konsumenten umgelegt werden.
(Beifall bei der SPD)
Ein zweiter Grund ist, dass ich massive Zweifel an der aktuellen Kategorisierung von Grundnahrungsmitteln in dieser Republik habe. Vielleicht mag es auch an dem Gremium der Entscheiderinnen und Entscheider liegen; aber im Moment ist es so, dass Wachteleier, Froschschenkel und Trüffel zu den Grundnahrungsmitteln gehören, pflanzliche Milch, wie zum Beispiel Sojamilch oder Champignons im Glas, allerdings nicht. Ich weiß nicht, ob es der richtige Ansatz ist, hier mit einer Befreiung der Grundnahrungsmittel von der Mehrwertsteuer zu kommen, wenn wir uns über die Kategorisierung eigentlich noch gar nicht klar sind. Aus meiner Sicht wäre es viel sinnvoller, mal unabhängig von der Inflationsbekämpfung zu denken, grundsätzlich über die Mehrwertsteuer nachzudenken, eine neue Kategorisierung vorzunehmen und diese den wirklichen Kosten, den Klimafaktoren, den echten Umweltfaktoren anzupassen.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Machen! Einfach machen! – Fritz Güntzler [CDU/CSU]: Machen! – Patrick Schnieder [CDU/CSU]: Sie regieren doch! Machen Sie es! Umsetzen! – Gegenruf der Abg. Marianne Schieder [SPD]: Ihr dürft doch mitdenken!)
Der letzte Grund. Das Geld kann nur einmal ausgegeben werden. Deswegen müssen wir genau überlegen, welche Maßnahmen helfen. Aus unserer Sicht bieten sich da möglicherweise auch andere Maßnahmen an, etwa Einmalzuschüsse, die direkt bei den Menschen ankommen. Man muss ganz ehrlich sagen: Die Aufstellung des nächsten Haushaltes – ich freue mich, dass der Finanzminister der Debatte beiwohnt – wird sowieso eine anspruchsvolle, eine kreative Aufgabe. Denn um die Schuldenbremse einzuhalten, zusätzliche Entlastungen vorzunehmen, die Koalitionsprojekte durchzusetzen, die Bundeswehr zu stärken und dabei keine Steuererhöhungen vorzunehmen – wenn es einen Mathematiknobelpreis gäbe, dann wäre es auf jeden Fall ein angepeiltes Ziel des Finanzministers, diese Aufgabe zu erfüllen –,
(Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Steuererhöhung schafft Inflation!)
müsste man, so könnte man sagen, fast zaubern. Also: Eines dieser Anliegen müsste man vielleicht sowieso aufgeben.
(Maximilian Mordhorst [FDP]: Ausgaben senken!)
Lassen Sie uns also bei den Entlastungspaketen wirklich gucken, welche Maßnahmen ankommen, und dann gemeinsam gute Regierungspolitik machen, statt solche Anträge zu stellen!
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Till Mansmann [FDP])
Der Kollege Fritz Güntzler spricht als Nächstes zu uns für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
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Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 44 |
Tagesordnungspunkt | Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel |