Fritz GüntzlerCDU/CSU - Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Die Inflation ist schon angesprochen worden. Wir hatten im Mai dieses Jahres eine Rekordzahl von fast 8 Prozent. Das ist der Höchststand im vereinigten Deutschland. Zuletzt kannten wir so was in der Ölkrisenphase 1973/1974. Von daher ist es richtig, dass wir uns als Parlament und auch die Regierung sich damit beschäftigen, wie wir gerade die niedrigen und mittleren Einkommen entlasten können.
Jede Entlastungsmaßnahme – es wird immer wieder das Entlastungspaket genannt – muss sich aber auch daran messen lassen, ob sie zielgerichtet ist. Herr Görke, wir haben im Ausschuss schon darüber gesprochen. Da haben wir schon Zweifel, ob diese Maßnahme wirklich dort ankommt, wo sie ankommen soll. Die Abschaffung des Steuersatzes bei Grundnahrungsmitteln, also der Nullsatz, würde circa 12 Milliarden Euro kosten. Wer profitiert von den 12 Milliarden Euro? Natürlich die auch von Ihnen adressierten niedrigen und mittleren Einkommen, aber auch die mit höheren Einkommen.
Sie sagen: Relativ gesehen tragen die Haushalte mit niedrigen Einkommen sowieso eine höhere Umsatzsteuerbelastung. – Interessant sind aber auch die absoluten Zahlen. Wenn man sich die Zahlen von 2017 anguckt, würde die Entlastung den unteren 10 Prozent der Einkommensbezieher gerade mal 74 Euro bringen – oder 74 Euro; ich will das gar nicht werten –, aber den oberen 10 Prozent fast 180 Euro. Daran sehen Sie, dass Sie, absolut gesehen, die Besserverdienenden damit mehr entlasten als die, die Sie eigentlich treffen wollen. Von daher sind wir der Auffassung, dass diese Maßnahme nicht zielgenau ist.
(Michael Schrodi [SPD]: Und wie ist das bei der kalten Progression?)
Maßnahmen müssen entsprechend ausgerichtet werden, und wir sind dagegen, weil diese Vergünstigungen einfach ein breiter Schuss sind und alle Einkommensgruppen betreffen.
Und: Sie haben zwar die Preisbeobachtungsstelle angeführt, aber es wird Mitnahmeeffekte geben. Wir als Regierungskoalition haben auch erleben müssen, dass die Mehrwertsteuersenkungen des Jahres 2020 – von 19 auf 16 Prozent bzw. von 7 auf 5 Prozent – nur zu 60 Prozent weitergegeben wurden. Es gab also Mitnahmeeffekte, und die wird es in diesen Fällen auch geben. Ich glaube nicht, dass Sie unbedingt die Lebensmittelkonzerne subventionieren wollen und deren Margen noch verbessern wollen. Übrigens glaube ich auch nicht, dass dieses bei den Landwirten ankommen würde, also bei den Produzenten, die es auch dringend notwendig hätten.
Herr Kollege, vielleicht ist das genau die Frage, die Ihnen Herr Görke stellen wollte. Möchten Sie die zulassen?
Ja, natürlich. Über Herrn Görke freue ich mich immer.
(Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Das ist ja Fraternisierung hier!)
– Man muss sich Freunde suchen.
Man muss ein bisschen aufpassen, ob das bestellt war. – Bitte schön.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Vielen Dank auch, Herr Kollege Güntzler, dass Sie diese Frage zulassen. – Ich höre ja eine sehr skeptische Auffassung zur Absenkung oder Aussetzung der Mehrwertsteuer auf die Grundnahrungsmittel bei Ihnen heraus. Sie sind ja Mitglied der CDU/CSU-Fraktion. Deshalb würde mich mal interessieren, wie Sie das in der Fraktion gerade diskutieren, weil der Vorsitzende der CDU Deutschlands, Ministerpräsident Söder,
(Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Der ist noch nicht CDU-Vorsitzender! – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)
dies kürzlich als eine Maßnahme vorgeschlagen hat.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)
Sie haben ja darauf hingewiesen, dass wir eine Fraktion aus CDU und CSU sind. Ich habe auch vernommen, dass der CSU-Vorstand einen grundsätzlich klugen Beschluss mit 15 Maßnahmen gefasst hat, die tatsächlich zur Entlastung beitragen würden. Aber Sie haben meine Wortwahl richtig verstanden, dass ich mit der einen Maßnahme so nicht einverstanden bin, weil ich sie nicht für zielgerichtet halte, sie einfach zu teuer ist und eben alle trifft. Das geht nach dem Gießkannenprinzip, und das sollten wir nicht machen. Diese Diskussion führen wir ganz offen mit unseren Kollegen der CSU und werden sie auch weiter mit dem erfolgreichen Ministerpräsidenten des Freistaates Bayern führen.
(Beifall bei der CDU/CSU – Marianne Schieder [SPD]: Na ja, na ja! – Sebastian Brehm [CDU/CSU]: Sehr gut!)
Zurück zum Thema. Ich glaube – Herr Kollege Klüssendorf hat es angesprochen; und das finde ich interessant und wichtig –, wir sollten alle gemeinsam den Mut haben, vielleicht mal an das Umsatzsteuerrecht insgesamt wieder ranzugehen.
(Beifall der Abg. Katharina Beck [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Herr Görke hat auch darauf hingewiesen, dass es im April 2022 eine Änderung der Richtlinie gab, die uns mehr Flexibilität ermöglicht. Wir können Nullsätze mit Vorsteuerabzug machen, wir können zwei ermäßigte Steuersätze machen.
(Maximilian Mordhorst [FDP]: Schön, dass Ihnen das erst nach der Wahl einfällt!)
Wir haben in der Anlage 3 zur Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie einen umfassenden Katalog von 55 Punkten, den man rausnehmen könnte. Und dann gibt es die Kuriositäten – Sie haben einige genannt wie den Umgang mit den Wildschweinen, auf die 19 Prozent anfallen, und den Hausschweinen, auf die es 7 Prozent sind –, die man nicht nachvollziehen kann. Von daher wäre es wirklich mal des Schweißes wert, sich dieses Themas anzunehmen. Das wird nicht einfach, weil immer jemand genau seinen ermäßigten Steuersatz retten will. Aber wir als Union, kann ich Ihnen sagen, begleiten Sie gerne bei einem konstruktiven Prozess, das ganze Thema zu nutzen, um das Umsatzsteuerrecht in diesem Punkt zu reformieren.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Johannes Schraps [SPD])
Wir haben das Ganze übrigens auch mit einer Kleinen Anfrage begleitet, in der wir die Bundesregierung und den Bundesfinanzminister fragen, was denn bei diesem Punkt alles gemacht werden kann.
Ich will zum Abschluss der Rede darauf hinweisen, dass wir, wie gesagt, diese Maßnahme für nicht zielgerichtet halten. Ich halte es – Herr Kollege Schrodi hat es schon dazwischengerufen – für viel sinnvoller, das Thema der kalten Progression anzugehen. Sie sind einen richtigen Schritt gegangen, indem Sie den Grundfreibetrag erhöht haben. Sie sind aber nicht die weiteren Schritte gegangen, dass Sie die Tarifeckwerte angepasst haben. Wir haben eine noch steilere Kurve in der untersten Progressionszone. Wir müssen also an den gesamten Tarif ran. Ich glaube, das würde die Menschen gerade mit niedrigen und mittleren Einkommen entlasten, natürlich auch die mit höheren Einkommen; das ist klar. Aber das ist ja eine Verschiebung von rechts, was wir machen sollten.
(Zuruf der Abg. Katharina Beck [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Ich glaube auch, das Thema der Pendlerpauschale muss noch mal auf den Tisch. Wir haben diese auf 38 Cent erhöht. Das war auch ein Vorschlag der Union zu einem Zeitpunkt, als wir die derzeitigen Mineralölpreise noch nicht hatten. Da die 38 Cent pro Entfernungskilometer gelten, sind es 19 Cent pro gefahrenem Kilometer. Wenn der ADAC berechnet, dass die Kosten jetzt durchschnittlich bei 67 Cent liegen, dann sieht man, dass diese 38 Cent nicht ausreichen. Und das betrifft meistens Pendler, die nicht auf das 9‑Euro-Ticket zurückgreifen können, weil sie gar keine Busverbindung oder U‑Bahn vor Ort haben. Von daher: Gehen Sie bitte noch mal an die Pendlerpauschale! Das wäre ein Punkt, der wirklich zielgerichtet wirken würde und die Menschen, die auf das Auto angewiesen sind, entlastet. Das wäre mehr wert als das, was Sie hier vorschlagen, nämlich mal 12 Milliarden Euro mit einer großen Gießkanne auszuschütten.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Die Kollegin Katharina Beck hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7537553 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 44 |
Tagesordnungspunkt | Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel |