23.06.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 44 / Tagesordnungspunkt 10

Michael SchrodiSPD - Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn ich die zwei Debatten heute zum Thema Inflation und – mit Ausnahme des Kollegen Tebroke – die Reden und Anträge der CDU/CSU dazu zusammenfasse, muss ich festhalten, wie sich die CDU/CSU die Inflationsbekämpfung vorstellt: milliardenschwere Steuersenkungen, Weiterlaufenlassen der Atomkraft, das Ganze ohne neue Schulden oder Steuersenkungen. Selbst die großen Illusionskünstler warten auf die Antwort, wie Friedrich Houdini Merz das alles zusammenbringen will. Sie warten vergeblich auf diese Antwort; die gibt es nämlich nicht. Das ist unseriös, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Was in der Inflation inflationär wird, sind Anträge zur Mehrwertsteuersenkung. Es ist ein Allheilmittel für alle möglichen Lenkungswirkungen. Die Frage ist: Hilft es in dieser Situation wirklich, um die Inflation zu dämpfen und zu bekämpfen? Richtig ist, Herr Görke, dass die Mehrwertsteuer regressiv wirkt. Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen wenden für die Mehrwertsteuer mehr von ihrem Haushaltseinkommen auf als Menschen mit hohen Einkommen. Das gilt dann auch für die Entlastung. Das ist so. Deswegen war ich auch ein Befürworter der Mehrwertsteuersenkung in der Pandemie, als wir einen konjunkturellen Impuls setzen wollten – und das auch geschafft haben in einem anderen Umfeld –; gleichzeitig hat es regressiv gewirkt. Das fand ich damals richtig, das habe ich gefordert, das haben wir gemacht. Das war, glaube ich, auch ganz gut.

(Beifall bei der SPD)

In der jetzigen Situation ist es aber anders. Schauen wir es uns an. Die Beschränkung auf die Grundnahrungsmittel ist gerade schon erwähnt worden. Wie viel Geld geben Menschen, gerade mit kleinen Einkommen, eigentlich für Nahrungsmittel aus? Das hat Ulrich Schneider vom Paritätischen Wohlfahrtsverband ausgerechnet: 155 Euro im Monat. Die Steuersenkung würde zu einer Entlastung um 10 Euro im Monat führen; wenn man sie nur auf Hülsenfrüchte beschränken würde um 2 Euro im Monat. Das ist nicht die Welt. Das ist ein kleiner Beitrag, aber nicht das, was wirklich gebraucht wird.

Hubertus Heil hat gestern zum Thema Mehrwertsteuersenkung eines richtig gesagt: Von dieser Steuerentlastung profitieren auch Bezieher höchster Einkommen, die die Entlastung gar nicht brauchen. Gleichzeitig haben wir Mindereinnahmen in Höhe von 13 Milliarden Euro. Die Senkung ist nicht zielgerichtet. Alleine die 200 Euro, die wir als Einmalzahlung für Grundsicherungsempfänger auf den Weg gebracht haben, entsprechen genau 20 Monaten der Steuersenkung, die Sie fordern. Sie erhalten aber gezielt diejenigen, die sie brauchen. Es ist eine gezieltere Maßnahme, die wir bereits auf den Weg gebracht haben. Deswegen lehnen wir die Mehrwertsteuersenkung ab.

(Beifall bei der SPD)

Möchten Sie denn, Herr Kollege, die Zwischenfrage zulassen?

Gerne, ja.

Bitte schön.

Vielen Dank, Herr Kollege Schrodi, für die Möglichkeit, die Zwischenfrage zu stellen. – Sie haben sich ja gerade auf Ulrich Schneider bezogen. Auf den beziehen sich viele in solchen Diskussionen. Nun stellt sich ja die Frage: Welche Forderung nimmt man auf, und welche nimmt man nicht auf? Ich glaube, eine ganz wichtige Forderung vom Paritäter Ulrich Schneider ist, die Regelsätze zu erhöhen, und zwar auf mindestens 600 Euro. Was halten Sie denn von dieser Forderung, und warum wollen Sie die nicht umsetzen?

(Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])

Vielen Dank für die Zwischenfrage. – Wir werden viele Maßnahmen auf den Weg bringen, um die Inflation entsprechend den Preissteigerungen abzudämpfen. Bei der Grundsicherung gehören Direktzahlungen dazu, weil sie schnell und wirksam helfen. Deshalb haben wir gesagt: Die Mehrwertsteuersenkung werden wir an der Stelle nicht unterstützen.

Mit dem großen Thema, wie wir mit den Regelsätzen umgehen, beschäftigt sich auch diese Koalition. Sie wird diskutieren, dass wir bei Preissteigerungen eine Erhöhung an die Inflationssätze anpassen müssen. Das auf den Weg zu bringen, halte ich für richtig. In dieser Situation reden wir aber über die Frage, wie wir inflationsdämpfend Maßnahmen auf den Weg bringen können. Ihren Vorschlag zur Mehrwertsteuersenkung hat Ulrich Schneider als Gag bezeichnet – das wollte ich Ihnen nur mitgeben –, und auch deswegen lehnen wir Ihren Antrag heute ab.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Darüber wird heute gar nicht entschieden!)

An der Stelle muss ich auf Fritz Güntzler und seine Rede zurückkommen, weil er genau mit dieser Argumentation heute die Mehrwertsteuersenkung abgelehnt hat. Er hat gesagt: Das nützt, wenn man die absoluten Zahlen nimmt, mehr den höheren Einkommen.

Ich gebe nur einmal eines mit, weil es mein Zwischenruf war: Gilt das nicht auch für die kalte Progression? Ich möchte nur mal darlegen, dass wir uns anschauen müssen, welche Maßnahmen wir auf den Weg bringen, um gezielt die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen tatsächlich zu entlasten.

Wir haben in den letzten Jahren immer die kalte Progression vollständig ausgeglichen, weil wir das für richtig gehalten haben. Wir schauen uns gemeinsam den Steuerprogressionsbericht an. Aber wir müssen auch schauen, dass wir gezielte Maßnahmen auf den Weg bringen, die den Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen helfen. Auf die Frage, die ich da gestellt habe, hat Herr Güntzler leider keine Antwort gegeben.

Eins noch als Letztes. Der Pferdefuß, den die Mehrwertsteuersenkung hat – das steht auch im Antrag –, ist die Weitergabe, die nicht gesichert ist, die gerade im inflationsgetriebenen Umfeld zu hohen Mitnahmeeffekten führt und dann 13 Milliarden Euro kosten würde, die verpuffen könnten. Das wollen wir nicht; insofern ist das nicht die richtige Maßnahme. Wir werden uns das natürlich noch genauer anschauen. Aber meine Fraktion ist zu dem Schluss gekommen, diesen Antrag abzulehnen.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Christine Aschenberg-Dugnus [FDP])


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7537569
Wahlperiode 20
Sitzung 44
Tagesordnungspunkt Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel
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