23.06.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 44 / Tagesordnungspunkt 13

Alexander MüllerFDP - Einsetzung des 1. Untersuchungsausschusses

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im August letzten Jahres endete der deutsche Afghanistan-Einsatz. Es ist immer wieder interessant, von der AfD zu hören, dass es den Bündnisfall nach Artikel 5 des NATO-Vertrages offensichtlich überhaupt nicht gegeben hat und wir uns da in ein Abenteuer gestürzt haben. Aber gut, das ist eine andere Sache.

Die Bundeswehr, politische Stiftungen und zahlreiche Entwicklungsorganisationen leisteten unter schwierigsten Bedingungen dort Höchstleistungen. 35 Soldaten der Bundeswehr sind dort gefallen; insgesamt 59 Soldaten kamen nicht lebendig nach Hause. Nach dem sehr plötzlichen Ende des Einsatzes im letzten Sommer, initiiert durch Donald Trump, sind heute die Taliban wieder zurück an der Macht. Die Unterdrückung der Freiheitsrechte und die wirtschaftliche und existenzielle Not der Menschen bestimmen dort jetzt wieder den Alltag. Viele fragen sich daher: War dieser Einsatz umsonst?

Ich bin sicher: So pauschal lässt sich die Frage nicht beantworten. Wir haben einer ganzen Generation von Afghaninnen und Afghanen ermöglicht, Bildung, Demokratie und Freiheit zu erleben.

(Dr. Johann David Wadephul [CDU/CSU]: So ist es!)

Wir haben die terroristischen Strukturen der al-Qaida zerstört und damit auch die Terrorgefahr für Europa verringert – Terror, der lange Zeit aus Afghanistan heraus koordiniert worden ist. Wir haben es geschafft, dort viele Schulen und Straßen zu bauen. Die Infrastruktur zur Strom- und Wasserversorgung ist installiert und verbessert worden. Wir haben zwei Jahrzehnte genutzt, um gemeinsam mit den Afghanen an einer besseren Zukunft zu arbeiten.

Der deutsche Einsatz in Afghanistan endete im letzten Jahr aber chaotisch. Der schnelle Abzug, insbesondere unserer US-amerikanischen Partner, überraschte die damalige Bundesregierung. Der Vormarsch der Taliban wurde von unseren zuständigen Ämtern und Nachrichtendiensten krass falsch eingeschätzt, mit katastrophalen Folgen. Die Kampfkraft der afghanischen Armee wurde von deutschen Dienststellen viel zu positiv eingestuft, diejenige der Taliban viel zu schwach bewertet. Die Bilder aus Juli und August 2021 haben uns alle tief berührt: Taliban, die brutal und schnell das Land einnehmen, Menschen, die um ihr Leben bangen und das Land hastig verlassen wollen, Horden von Menschen, die sich vor dem Flughafen gegenseitig erdrücken aus Angst um ihr Leben, Bombenanschläge in diese Menschenmassen hinein, Babys, die über den Stacheldrahtzaun hinübergereicht werden, um den Kindern eine Zukunft zu ermöglichen, panische Räumung von Botschaften, Ortskräfte, die uns vorher vor Ort unterstützt hatten und nun um die Rettung ihres Lebens flehten – dies alles darf sich nicht wiederholen. Wir müssen jetzt die richtigen Lehren daraus ziehen.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Als FDP-Fraktion haben wir früh darauf hingewiesen, dass jeder Einsatz der Bundeswehr eine Strategie braucht und regelmäßig evaluiert werden muss. Wir müssen uns immer im Voraus fragen: Was wollen wir erreichen? Bis wann wollen wir es erreichen? Wann kann die Aufgabe erfüllt sein? Und wo ist der Zeitpunkt für einen Abzug erreicht? Diese Fragen wurden im Fall Afghanistan aber gar nicht gestellt. Das gipfelte im Chaos in Kabul im Sommer 2021.

Als Parlament stellen wir uns dieser Verantwortung und arbeiten die Vergangenheit auf, um daraus für die Zukunft zu lernen. Wir wollen fokussiert den Zeitraum Februar 2020 bis September 2021 untersuchen. Dabei werden wir der Frage nachgehen, welche Erkenntnisse die Bundesregierung hatte. Welches Entscheidungsverhalten und Handeln fand in der Bundesregierung statt? Wir fokussieren uns dabei auf die Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Abzug der Bundeswehr und weiterer NATO-Kräfte, der Diplomaten sowie der Evakuierung von Menschen aus Afghanistan. Es geht uns dabei nicht um pure Schuldzuweisungen. Daher werden wir ergänzend eine Enquete-Kommission einsetzen. So stellen wir sicher, dass wir auf der einen Seite die konkreten Versäumnisse und Fehler der letzten Jahre parlamentarisch untersuchen und auf der anderen Seite gleichzeitig die Lehren daraus für zukünftige Bundeswehreinsätze der Bundesrepublik ziehen.

Die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses und der Enquete-Kommission werden von großer Bedeutung sein für unser zukünftiges Engagement. Der brutale Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat uns gezeigt, wie schnell Frieden und Sicherheit gefährdet sein können, hier bei uns in Europa. Es ist daher von größter Bedeutung, dass wir reaktionsfähig sind, dass wir Krisen meistern können, dass alle relevanten Ministerien, Behörden und Akteure miteinander abgestimmt und handlungsfähig sind

(Beifall bei der FDP)

und dass wir auch ein klares politisches Verständnis unserer Ziele artikulieren. Daher begrüße ich auch ausdrücklich die Erstellung einer nationalen Sicherheitsstrategie.

Diese Fortschrittskoalition bekennt sich zur Verantwortung Deutschlands in der Welt, für unseren Beitrag zu Stabilität und Frieden, zur Aufrechterhaltung des internationalen Völkerrechts. Die Einsetzung dieses Parlamentarischen Untersuchungsausschusses unterstützt diesen Auftrag. Daher bitte ich um Ihre Unterstützung für den Auftrag.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Christian Haase [CDU/CSU])

Als Nächstes erhält das Wort für die Fraktion Die Linke die Abgeordnete Sevim Dağdelen.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7537601
Wahlperiode 20
Sitzung 44
Tagesordnungspunkt Einsetzung des 1. Untersuchungsausschusses
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