Carsten Schneider - Innovationsschub für Ostdeutschland
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Kollege Müller! Vielen Dank für die Möglichkeit, heute hier in der Debatte das Thema Ostdeutschland und die Stärkung der Innovationen dort zu besprechen und insbesondere auf die Fortschritte hinzuweisen, die wir in den vergangenen Wochen und Monaten gemacht haben, was wirtschaftliche Ansiedlungen betrifft. Denn eine Entscheidung wie zum Beispiel Tesla in Brandenburg anzusiedeln, ist keine Eintagsfliege. Das gilt insbesondere für die viel wesentlichere Entscheidung, die noch von der Vorgängerregierung angelegt wurde, nämlich Intel in Magdeburg anzusiedeln. Das ist der Zusammenarbeit zwischen der Stadt Magdeburg, der Landesregierung, der jetzigen Koalition, aber auch den Vorbereitungen der vorherigen Großen Koalition zu verdanken. Ich danke allen Kolleginnen und Kollegen, die das auch im Rahmen des Bundeshaushalts unterstützt haben. Denn die Ansiedlung von Intel in Magdeburg wird mit einem einstelligen Milliardenbetrag massiv vom Bund unterstützt. Dass wir diese Investitionsentscheidung zu 100 Prozent finanzieren, ist ein klares Bekenntnis des Bundes zu Ostdeutschland. Wir tun das im Rahmen der Europäischen Union, der IPCEIs, die das klare Ziel haben, Zukunftstechnologien in Europa anzusiedeln. Wir wissen alle, dass wir bei den Halbleitern von einem Hersteller in Taiwan abhängig sind. Wir wollen unabhängig werden, wir wollen eigenständig werden, und das wollen wir in Ostdeutschland werden. An dieser Stelle noch mal vielen herzlichen Dank für die Unterstützung in den vergangenen Jahren!
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Herr Kollege Müller, Sie haben auf die Riemser Erklärung hingewiesen; sie ist wirklich bemerkenswert, weil sie kein einfaches Beschlusspapier ist, sondern ein politischer Text. Sie ist ein politischer Text zur Lage in Ostdeutschland. Sie wird nicht nur von der Bundesregierung getragen, sondern von allen ostdeutschen Ländern, und die sind ja farbig sehr unterschiedlich konturiert, was die Zusammensetzung betrifft. Fast alle vertretenen Parteien hier im Hause sind an den jeweiligen Landesregierungen beteiligt. Sie machen sich gemeinsam auf den Weg und zeichnen eine Zukunftsvision, die Hoffnung macht, ein Bild eines Booms; das kann man durchaus sagen, wenn man die Industriearbeitsplätze sieht. Ich glaube, dass wir vor einer Reindustriealisierung in Ostdeutschland stehen. Das ist auch das Ergebnis der Aufbauarbeit der vergangenen 20, 30 Jahre, die von Umbruch geprägt waren, insbesondere was Infrastruktur, was Forschungsförderung, was Universitäten betrifft, und es ist vor allem denjenigen zu verdanken, die die Arbeit gemacht haben, nämlich die Beschäftigten in Ostdeutschland.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Von daher stehen wir vor einer sehr neuen Situation. Die Herausforderungen, die Sie beschrieben haben, Herr Müller, sind korrekt, insbesondere was die Energieversorgung betrifft. Das betrifft uns alle, ganz Deutschland, aber Ostdeutschland besonders, unter anderem wegen der Lage in Schwedt, was die Raffinerie betrifft, aber auch aufgrund der Preissensibilität der Bevölkerung. Sie haben das Ausrufen der Gaswarnstufe angesprochen. Wir gehen davon aus, dass sich der Gaspreis vielleicht verdrei- oder vervierfachen wird. Wir wissen es nicht, weil wir nicht wissen, wie sich der Marktpreis entwickelt und wie lange Russland Gas als politische Waffe benutzt. Es wird als politische Waffe benutzt; deswegen wollen wir unabhängig werden.
Aus diesem Grunde ist die Kompensation des hohen Gaspreises insbesondere für kleine und mittlere Einkommen – darunter fallen auch einige Soloselbstständige und viele Familien – so zentral. Ich glaube, dass wir mit den bisherigen Schritten in diesem Jahr fast 90 Prozent der zusätzlichen Kosten abgedeckt haben. Das sagen uns zumindest Herr Hüther und Herr Dullien von zwei unterschiedlichen Forschungsinstituten, einmal wirtschaftsnah, einmal eher gewerkschaftsnah. Aber für das nächste Jahr und die fortfolgenden Jahre ist nicht der Benzinpreis, sondern sind vor allen Dingen die Kosten für eine warme Wohnung ein ganz zentraler Punkt.
Aus diesem Grund bin ich wie die gesamte Bundesregierung und, ich denke, auch das Parlament da sehr sensibel. Wir werden erstens für Versorgungssicherheit sorgen müssen und zum Zweiten aber auch für eine Kompensation bei den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes, die am Ende des Monats vielleicht noch 20 Euro in der Tasche haben, deren frei verfügbares Einkommen 100 oder 200 Euro sind. Es gibt ganz viele, die nur 2 300 oder 2 400 Euro brutto im Monat verdienen. Das sind zum Beispiel in Thüringen fast ein Drittel, die darunterfallen.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wohl wahr!)
Aus diesem Grund sind die Stärkung der Tarifautonomie, mehr Tarifverträge, aber auch die Entscheidung, die der Bundestag vor drei Wochen getroffen hat, den Mindestlohn auf 12 Euro zu erhöhen, so wichtig und auch entscheidend gewesen, um die Eigenständigkeit und letztendlich auch das Überleben – im wahrsten Sinne des Wortes – in weiten Teilen der Bevölkerung in Ostdeutschland zu sichern, um nicht zusätzlich abhängig von sozialen Leistungen zu werden. Von daher vielen Dank dafür!
Ich will noch drei weitere Punkte herausgreifen, die bemerkenswert sind. Das Erste ist das klare Bekenntnis der Bundesländer für eine weltoffene, tolerante Gesellschaft. Wir stehen vor enormen demografischen Problemen. Wir haben es nicht nur mit einem Geburtenknick überall im Bundesgebiet zu tun – im Osten war er um 1990 besonders stark –, sondern insbesondere mit dem Ausscheiden von großen Teilen der Babyboomer aus dem Arbeitsmarkt. Das wird in den nächsten fünf bis sechs Jahren in Ostdeutschland in einem extrem hohen Maße stattfinden. Von daher: Wir brauchen Rückkehrerinnen und Rückkehrer. Viele haben in den 90er-Jahren, weil sie der Arbeit gefolgt sind, die ostdeutschen Bundesländer Richtung Stuttgart, Hamburg, Frankfurt verlassen, insbesondere viele junge Frauen, viele junge qualifizierte Frauen. Ich möchte alles tun, um sie zurückzuholen.
Zum Zweiten. Niemand darf ohne Schulabschluss und Ausbildung die Schule oder die Berufsschule verlassen. Jeder oder jede, der oder die das nicht schafft, ist nicht nur persönlich stark betroffen, sondern fehlt auch auf dem Arbeitsmarkt. Von daher brauchen wir ganz klar Initiativen zur Stärkung der Möglichkeit des Nachholens des Berufsschulabschlusses und des Schulabschlusses.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Und zum Dritten. Wir brauchen Zuwanderung. Wir brauchen eine gesteuerte Zuwanderung in den deutschen Arbeitsmarkt, insbesondere in Ostdeutschland, und das in einem sehr hohen Maß. Ich hoffe sehr, dass uns das gelingt – deswegen ist das Dokument politisch so wichtig, weil es weit über die Parteigrenzen hinausgeht –; dafür brauchen wir erstens die Erkenntnis und zweitens den Willen, diese Menschen hier willkommen zu heißen, sie zu bitten, bei uns zu leben, sie zu integrieren und ihnen letztendlich auch eine Heimat zu geben. Ich finde, das ist ein sehr guter Ausgangspunkt in einer nicht ganz einfachen Zeit, die von Herausforderungen gekennzeichnet ist. Und wer in Ostdeutschland kennt nicht Herausforderungen, die wir nicht schon gemeistert haben?
Vielen herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Ich erteile das Wort Enrico Komning, AfD-Fraktion.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7537612 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 44 |
Tagesordnungspunkt | Innovationsschub für Ostdeutschland |