24.06.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 45 / Zusatzpunkt 9

Anna KassautzkiSPD - Kinderschutz vor Datenschutz

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Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Sehr geehrte Damen und Herren! „ Kinderschutz vor Datenschutz – Mit der Speicherung von IP‑Adressen sexuellen Kindesmissbrauch wirksam bekämpfen“ – was für ein Titel! Hier werden hohe Güter gegeneinander ausgespielt, und das mit dem klaren Ziel – anders kann ich es mir nicht erklären –, Akteurinnen und Akteure zu diskreditieren, die sich für Datenschutz einsetzen.

(Helge Limburg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)

Dafür eignet sich das Thema Kinderschutz besonders gut; denn niemand kann gegen den Schutz von Kindern sein, ich bin es auch nicht. Kinder, vor allem Kleinkinder – das hat der Kollege Fiedler vorhin gesagt –, sind eine besonders vulnerable Gruppe. Das Thema ist deswegen hoch emotional, und die Argumentation scheint im ersten Moment simpel.

So kommen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, dabei wieder und wieder auf die eine oder andere Form der Vorratsdatenspeicherung zurück, einem Mittel, das seit nunmehr 20 Jahren durch dieses Haus geistert. Es war schon damals nicht akzeptabel und ist es auch heute nicht.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie der Abg. Anke Domscheit-Berg [DIE LINKE])

Fakt ist, dass Ihr Antrag gespickt ist von unscharfen Formulierungen. Ja, es ist richtig, dass für die Herausgabe von Zuordnungsdaten von IP‑Adressen zu Anschlussinhaberinnen und ‑inhaber ein Richtervorbehalt besteht, im Übrigen völlig zu Recht, wie ich finde. Dass durch diese Zuordnung Anschlussinhaber/-innen identifiziert werden, nicht aber zwingend Täter/-innen, sagen Sie selbst in Ihrem Antrag. Denn wenn mehrere Personen in einem Haushalt, einer WG, einem Internetcafé den gleichen Zugang nutzen, sind sie eben nicht klar identifizierbar. Daran ändert auch das weitgehend zusammenhanglose Erwähnen von Portnummern nichts. Diese Ports eindeutig einem Endgerät, nicht einem Nutzer oder einer Nutzerin zuzuordnen, ist technisch noch weniger praktikabel als die eindeutige Zuordnung einer IP‑Adresse zu Anschlussinhaberinnen und ‑inhabern. Sie versuchen, unter dem Vorwand Kinderschutz den Datenschutz auszuhöhlen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der FDP und der LINKEN)

Die Union sagt: Kinderschutz vor Datenschutz. – Ich sage: Datenschutz ist Kinderschutz. Kindern im Rahmen der Medienkompetenz beizubringen, sparsam mit ihren Daten umzugehen, sich nicht identifizierbar zu machen und sich somit vor potenziellen Täter/-innen zu schützen, das ist gelebter Datenschutz, liebe Kolleginnen und Kollegen. Das ist eine sinnvolle Präventionsmaßnahme.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich zitiere an dieser Stelle den Bundesdatenschutzbeauftragten, Professor Ulrich Kelber, aus dem Herbst 2021, der auch sagte: Datenschutz ist kein Täterschutz. Datenschutz ist Freiheitsschutz.

Und überhaupt: Was ist denn Datenschutz? Datenschutz ist integraler Bestandteil des Schutzes von Menschen, der Schutz unserer Kommunikation, unserer Privatsphäre und unseres Persönlichkeitsrechts. Das hat auch die Fortschrittskoalition für sich erkannt und sich diesen Schutz, insbesondere im digitalen Raum, zum Auftrag gemacht: Eine Identifizierungspflicht lehnen wir ab. Anonyme und pseudonyme Onlinenutzung werden wir wahren. – So steht es im Koalitionsvertrag.

(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Koste es, was es wolle!)

Legitim ist die Beschneidung dieser Grundrechte und des Datenschutzes nur aufgrund eines begründeten Verdachts unter richterlicher Aufsicht, keinesfalls aber präventiv, anlasslos und allgemein.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP und der Abg. Anke Domscheit-Berg [DIE LINKE])

Sexuellen Missbrauch von Kindern im Netz und die Darstellung davon bekämpfen wir nicht dadurch, dass wir mehr anlasslose Überwachung forcieren oder den Datenschutz aushebeln. Unser Fokus sollte darauf liegen, Kinder schon vor den Anbahnungsversuchen, also vor den Missbrauchsfällen zu schützen. Dazu gehört Prävention. Das ist die Aufklärung über sichere Nutzung moderner Kommunikationsmedien genauso wie die Aufklärung über körperliche und sexuelle Selbstbestimmung der Kinder. Denn Kinder wissen ganz häufig, wann etwas nicht okay ist. Wir müssen mit Ländern und Kommunen zusammenarbeiten, um bei Kindern, deren Eltern, ihren Kontakt- und Aufsichtspersonen ein Bewusstsein für die Problematik zu schaffen, ihnen Mittel und Hilfen an die Hand zu geben, Missbrauchsfälle vor Ort zu erkennen und zu verhindern.

Dazu gehört auch die angemessene Ausstattung unserer Behörden mit Personal im Bereich des digitalen Raums, insbesondere mit entsprechendem Fachpersonal, eine zeitgemäße technische Ausstattung und das nötige Know-how. Dies erstreckt sich selbstverständlich auch auf die Strafermittlungsbehörden. Es darf nicht sein, dass Ermittlungsverfahren zu lange dauern oder nicht stattfinden, weil es an Personal und/oder an Fähigkeiten mangelt. Der Darstellung von Kindesmissbrauch geht immer ein realer Kindesmissbrauch voraus. Täter/-innen müssen schneller und effektiver gefasst werden. Wir sind uns sicher: Dies lässt sich auch ohne unverhältnismäßige Eingriffe in digitale Bürger/-innenrechte realisieren.

Wir brauchen mehr als kosmetische Politik, um Kinder wirksam zu schützen. Die Bekämpfung von Kindesmissbrauch ist nicht mit einer Maßnahme zu erledigen. Es ist eben nicht simpel. Es ist kein rein technisches, es ist ein gesellschaftliches Problem, über das wir hier reden.

Der Titel des Antrags der CDU/CSU-Fraktion lautet „Kinderschutz vor Datenschutz – Mit der Speicherung von IP‑Adressen sexuellen Kindesmissbrauch wirksam bekämpfen“. Das ist aus meiner Perspektive doppelt blanker Hohn: Erstens ist Datenschutz Kinderschutz – er ist Menschenschutz –, und zweitens wird sexueller Missbrauch von Kindern nur wirksam bekämpft durch sinnvolle Präventionsmaßnahmen, durch Medienerziehung, durch Sensibilisierung und durch Opferschutz.

(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Purer Zynismus!)

Dafür benötigen wir eine angemessene Ausstattung unserer Strafverfolgungsbehörden mit Personal, Technik und Know-how, nicht aber mit einem weiteren fragwürdigen Überwachungsinstrument.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP und der Abg. Anke Domscheit-Berg [DIE LINKE])

Das ist ein längerer Weg, aber es ist ein grundrechtskonformer, nachhaltiger und effektiver Weg.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP – Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Lesen Sie sich heute Abend noch einmal durch, was Sie hier gesagt haben! Das wird Ihnen die Schamesröte ins Gesicht treiben!)

Vielen Dank, Frau Kollegin Kassautzki. – Als nächster Redner erhält das Wort der Kollege Eugen Schmidt, AfD-Fraktion.

(Beifall bei der AfD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7537781
Wahlperiode 20
Sitzung 45
Tagesordnungspunkt Kinderschutz vor Datenschutz
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