24.06.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 45 / Tagesordnungspunkt 28

Katrin Helling-PlahrFDP - Sterbehilfe

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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sterben – ehrlich gesagt, ein Thema, das mir Angst macht. Schon seit ich ein kleines Kind war, tut es das. Ich kann mir das irgendwie gar nicht vorstellen, nicht mehr da sein auf dieser Welt. Wo dann? Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht – vielleicht genauso, vielleicht ganz anders. Wir reden ja alle kaum darüber, meist nur mit nahen Angehörigen. Ich glaube, das sollten wir ändern.

Ich habe aus den Gesprächen, die ich geführt habe, das Gefühl, dass sich die Emotionen beim Gedanken an den eigenen Tod mit dem Alter und mit Krankheit ändern. Meine Großmutter, zu der ich ein sehr enges Verhältnis hatte, vermittelte mir immer das Gefühl, dass es schon okay ist, wenn es so weit ist. Viele haben auch gar keine Angst vor dem Tod selbst, sondern vor den Umständen, unter denen er eintritt: vor Schmerzen, davor, an Geräten zu hängen, vor Kontrollverlust. Ich kann es auch ganz gut verstehen, dass man – vor allen Dingen, wenn man sowieso weiß, dass das Leben ein Ende nimmt, und für sich auch keine Lebensqualität mehr empfindet –, es dann auch selbst beenden möchte, dass man auch in einer solchen Situation selbstbestimmt sein möchte, vielleicht im Kreise seiner Angehörigen gehen will.

Meine Damen und Herren, ich bin unfassbar dankbar, dass wir in einem Land leben, in dem von Verfassung wegen jedem diese Möglichkeit gegeben ist, in dem es ein grundgesetzlich verbürgtes Recht auf selbstbestimmtes Sterben gibt, das es jedem ermöglicht, gerade diesen besonderen letzten Lebensmoment, soweit es die körperlichen Umstände erlauben, so wie er es individuell als würdevoll empfindet, zu gestalten. Ich finde, wir müssen dieses Recht auf selbstbestimmtes Sterben auch ernst nehmen. Wenn wir das tun, dann ist es doch geradezu widersinnig und unmenschlich, dass wir Menschen in unserem Land, die ihr Leben selbstbestimmt beenden möchten, keinen Zugang zu den geeignetsten Medikamenten zur Selbsttötung ermöglichen. Das müssen wir ändern.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD, und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Wir müssen selbstbestimmt handelnden Erwachsenen die Möglichkeit geben, nach einer entsprechenden umfassenden Beratung in einer Beratungsstelle über Handlungsalternativen ein tödliches Medikament verschrieben zu bekommen.

Weil einige immer wieder versuchen, uns da bewusst falsch zu verstehen: Ich möchte, dass wir Betroffenen in den Beratungsstellen jede helfende Hand reichen, ihnen die Möglichkeit geben, nach jedem Strohhalm zu greifen. Beratung ist die beste Prävention. Wenn sie sich aber dafür entscheiden, gehen zu wollen, dürfen wir sie auch dann nicht alleine lassen – ohne erhobenen Zeigefinger und ohne ihnen das Gefühl zu vermitteln, sie tun etwas Unrechtes.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und LINKEN)

Das haben Menschen in solchen Situationen nicht verdient. Sie haben gesellschaftliche Geborgenheit verdient.

Unser höchster Respekt sollte deshalb auch Menschen gelten, die bereit sind, Sterbewillige auf ihrem letzten Weg zu begleiten und ihnen sogar behilflich zu sein. Das ist nicht leicht, das kann nicht jeder. Vielfach sind es Angehörige, die ihre eigenen Gefühle, ihren unbedingten Wunsch, den geliebten Menschen so lange wie möglich bei sich zu behalten, zurückstellen, weil sie dem Betroffenen sein selbstbestimmtes Ende ermöglichen wollen.

Ich will ehrlich sein: Mir läuft es bei dem Gedanken, dass wir diese Menschen, wenn die Gruppe „Castellucci et al.“ eine Mehrheit fände, wieder mit einem neuen Straftatbestand bedrohen könnten, eiskalt den Rücken herunter. Denn, verehrte Unterstützer des entsprechenden Gesetzentwurfs, Sie stellen die Leistung von Suizidhilfe ganz grundsätzlich wieder unter Strafe. Sie machen die Ausübung eines grundgesetzlich verbürgten Rechts zum Kasus eines Straftatbestandes. Sogar Angehörige machen sich bei Ihnen, jedenfalls wenn sie mehrere ihnen nahestehende Menschen – zum Beispiel Vater und Mutter – haben, denen sie sich vorstellen können zu helfen, wieder strafbar. Wie beim vormaligen § 217, dessen Verfassungswidrigkeit das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, wird sich kaum jemand mehr trauen, zu helfen – alter Wein in neuen Schläuchen. Die Ausnahmen, die Sie nominell vorsehen, sind so eng, dass Betroffene doch wieder, wenn sie es sich leisten können, ins Ausland gehen oder sich auf Brutalsuizide verwiesen sehen. Das dürfen wir den Menschen nicht antun.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD, und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Mein Appell: Fallen wir nicht in die Zeit des § 217 Strafgesetzbuch zurück! Sprechen wir mehr miteinander, auch über das Lebensende. Helfen wir Menschen im Leben, akzeptieren wir selbstbestimmte, frei verantwortliche Entscheidungen.

Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Helling-Plahr. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Lukas Benner, Gruppe „Künast“.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7537796
Wahlperiode 20
Sitzung 45
Tagesordnungspunkt Sterbehilfe
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