24.06.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 45 / Tagesordnungspunkt 28

Pascal KoberFDP - Sterbehilfe

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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Leben ist immer ein Leben in Beziehungen, und so ist das eigene Sterben immer auch ein Sterben inmitten des Geflechtes der Beziehungen, in denen wir im Leben stehen. Deshalb möchte ich unsere Aufmerksamkeit auch auf die Situation von Angehörigen von Sterbewilligen richten, deren Leben vom Sterbewunsch und vom Tod ihres sterbewilligen Angehörigen berührt und betroffen ist.

Als Seelsorger habe ich schon einige Familien von Suizidenten begleitet. Fachleute gehen im Schnitt von sechs Personen aus, deren Leben durch den Suizid eines nahen Angehörigen betroffen – ja, man muss sagen: tief getroffen – wird. Es sind neben dem schmerzhaften Verlust und den Fragen nach dem Warum sehr häufig auch die Fragen nach eigener Schuld und eigenem Versagen, die Angehörige lange Zeit quälen können. Es geht um Menschen, die ihre Partnerin, ihren Partner verlieren. Es geht um Eltern, die ihre Tochter oder ihren Sohn verlieren. Es geht um Kinder, die Vater oder Mutter verlieren, Geschwister, die Schwester oder Bruder verlieren.

Wenn ich mit Bürgerinnen und Bürgern über Sterbehilfe rede, dann begegnet mir häufig die Sorge vor gesundheitlich ausweglosen Situationen, die mit einem schmerzhaften, von Hilflosigkeit geprägten Sterbeprozess verbunden sind. Das ist das Bild, das viele vor sich haben, wenn sie der Diskussion um Sterbehilfe folgen und sich daran beteiligen. Die Regelungen, die wir aber als Gesetzgeber treffen müssen, müssen auch für ganz andere Situationen gute Lösungen sein:

(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

für Menschen beispielsweise, die unter Depressionen leiden, die akute, sie überwältigende Sorge oder Trauer spüren, die unter finanziellen Problemen leiden, die Suchterkrankungen durchleiden, und für Menschen, die anderen in bestimmten Lebenssituationen nicht zur Last fallen wollen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie würden wir denken, wenn es um unseren Bruder, wenn es um unsere Schwester ginge, um unseren Sohn, um unsere Tochter, die einen Sterbewunsch in ihrem Herzen trägt? Sicher, niemand möchte seinen Nächsten im Sterben leiden sehen, und niemand darf einen Sterbewunsch per Gesetz verbieten – das will hier auch niemand –, und niemand will den Sterbewilligen kriminalisieren.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Aber ich bin mir auch sicher, dass wir uns alle wünschen würden, dass der Sterbewunsch unseres Angehörigen sorgfältig – ja, sorgfältigst – überdacht wäre, dass er ohne äußeren Druck gefallen wäre, dass ihm vor allen Dingen alle Möglichkeiten des Auswegs aus der als ausweglos empfundenen Situation bekannt gemacht worden wären und von ihm mit bedacht werden konnten.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist es so wichtig, dass wir Regelungen verabschieden, die genau das mit bedenken und mit ermöglichen. Deshalb ist es wichtig, dass wir ein gestuftes Beratungsverfahren etablieren, das auch – sofern der erwartete Verlauf einer Krankheit dem nicht entgegensteht – Zeit zum Überlegen, Zeit und Raum für neue Begegnungen und neue Gedanken und die Entwicklung neuer Gedanken lässt und das vor allem interdisziplinär durch entsprechende Beratungsmöglichkeiten Alternativen des Ausweges aus der als ausweglos empfundenen Situation eröffnet, die dem Sterbewilligen bekannt gemacht werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Kober. – Als nächster Redner hat das Wort der Kollege Helge Lindh für die Gruppe „Helling-Plahr und andere“.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7537800
Wahlperiode 20
Sitzung 45
Tagesordnungspunkt Sterbehilfe
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