Stephan PilsingerCDU/CSU - Sterbehilfe
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als noch praktizierender Hausarzt weiß ich, dass die Coronapandemie nicht nur Infektionswellen, sondern auch Wellen der Depression über unser Land hat brechen lassen. Sätze wie: „Es ist mir alles zu viel; ich habe einfach keine Lust mehr“, kommen in der Regel von Menschen, die einen leidvollen Weg hinter sich haben, oft depressiv sind, keinen Ausweg mehr zu sehen glauben und die ihrem scheinbar unerträglichen Leben ein rasches Ende setzen wollen. Doch wollen diese Menschen das wirklich, wenn sie so reden? Ist der Suizid wirklich der unbedingte, freie und selbstbestimmte Wille derjenigen Person, die so redet? Ist es da nicht angenehm, ja verführerisch, zu wissen, dass es Sterbehilfevereine gibt, die in einer solchen Situation versprechen: „Wir helfen Ihnen, den Ausklang Ihres Lebens zu gestalten“, oder die ein humanes Sterben in Aussicht stellen, nach dem Motto „selbstbestimmt Leben, selbstbestimmt Sterben“?
Wie ist es aber tatsächlich um die Selbstbestimmung bei solchen Sterbehilfevereinen bestellt? Ist sie tatsächlich das zentrale Attribut bei jedem Fall von begleitetem Suizid? Ich bezweifle das.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)
Jedenfalls ist Selbstbestimmung in unserem Gesetzentwurf das zentrale Leitmotiv, um die vom Bundesverfassungsgericht vorgegebene Möglichkeit des assistierten Suizids zu legitimieren. Das Bundesverfassungsgericht nennt in seinem Urteil vom 26. Februar 2020 zwar keine konkreten materiellen Voraussetzungen für die Entscheidung zum Suizid, betont aber, dass die Entscheidung des Suizidenten von Freiverantwortlichkeit, von Dauerhaftigkeit und von innerer Festigkeit geprägt sein muss.
Gleichzeitig hat das Gericht auch betont, dass der Gesetzgeber ein legitimes Ziel verfolgt, wenn er verhindern möchte, dass sich assistierter Suizid als normale Form der Lebensbeendigung durchsetzt, und wenn er sicherstellen möchte, dass der folgenreiche Entschluss des Betroffenen tatsächlich auf einem freien, nicht von äußeren Umständen geprägten Willen beruht. Das ist der Leitgedanke unseres überfraktionellen Gesetzentwurfs.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Denn zwischen 50 und 90 Prozent der Selbstmorde in Deutschland stehen nach Auskunft der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde in Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen, die man auch erfolgreich behandeln und in den Griff bekommen kann, wenn man sie rechtzeitig erkennt und therapiert.
Insbesondere Menschen mit Depressionen haben nachweislich ein stark erhöhtes Suizidrisiko, Menschen, die es besonders – vor sich selbst und vor äußeren Einflüssen – zu schützen gilt. Die meisten Suizidgedanken sind nach den Erkenntnissen psychiatrischer und psychotherapeutischer Fachkreise volatil, also kurzfristiger, situativ bedingter Natur. Sie sind also weniger Ausdruck eines zutiefst empfundenen Wunsches, tatsächlich zu sterben, als vielmehr die Sehnsucht nach einer „Auszeit“ aus einer als unerträglich empfundenen Lebenssituation. Daher haben wir eine engmaschige und klar vorgegebene Beratungspflicht mit bestimmten Wartefristen vorgegeben, damit ein möglicherweise doch lösbarer und temporärer Zustand nicht vorschnell zu einer irreversiblen Entscheidung für die Selbsttötung werden kann.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Nach jetzigem Recht stehen den Sterbehilfevereinen Tür und Tor offen, die Betroffenen schnell vermeintlich zu „erlösen“. Das können und dürfen wir so nicht stehen lassen, meine Damen und Herren!
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Daher ist die Verortung der Regelung im Strafgesetzbuch auch die einzig wirksame gesetzgeberische Lösung, um Missbrauch zu verhindern und Menschen vor falschen äußeren Einflüssen zu schützen. Wer diese Selbstbestimmung und damit die Würde des einzelnen Menschen missachtet, handelt zutiefst kriminell und muss entsprechend strafrechtlich belangt werden können, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
In Kenntnis des Urteils des Bundesverfassungsgerichts wollen wir die Suizidassistenz ermöglichen, sie aber nicht fördern. Ältere und schutzbedürftige sowie von schweren persönlichen Schicksalsschlägen gepeinigte Menschen müssen wir vor falschen Einflüssen schützen. Deshalb ist auch die Suizidprävention auf allen Ebenen wichtig, so wie wir sie in unserem Begleitantrag fordern.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Meine Damen und Herren, wie das Bundesverfassungsgericht sehen auch wir die autonome Selbstbestimmung eines Menschen als unmittelbaren Ausdruck seines Persönlichkeitsrechts, in der sich seine Würde als Mensch in seiner Individualität, Identität und Integrität entfaltet.
Im Sinne des christlichen Menschenbildes und der europäischen Aufklärung führt unser Gesetzentwurf nach meiner festen Überzeugung am ehesten dazu, dass die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts beachtet werden und der Mensch als selbstbestimmtes Wesen geachtet, aber auch geschützt wird.
Vielen Dank.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich grüße Sie ganz herzlich am Freitagmittag.
Wir fahren in der Debatte fort mit Dr. Petra Sitte für die Gruppe „Helling-Plahr und andere“.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN, der SPD und der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7537804 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 45 |
Tagesordnungspunkt | Sterbehilfe |