Benjamin StrasserFDP - Sterbehilfe
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bundesverfassungsgericht hat mit seinem Urteil aus dem Februar 2020 Rechtsgeschichte geschrieben. Es hat zum ersten Mal ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben manifestiert, und das ist auch richtig. Niemand hat das Recht, darüber zu entscheiden, ob das Leben eines anderen noch lebenswert ist oder nicht, im Positiven wie im Negativen. Deshalb ist unserer Gruppe die rechtliche und die tatsächliche Durchsetzung der Selbstbestimmung von allen Menschen in allen Lebenslagen so wichtig.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das Bundesverfassungsgericht hört aber nicht bei dieser Feststellung auf. Anders als manche Debattenbeiträge im Parlament und in der Öffentlichkeit vermuten lassen, ist es eben nicht so, dass es sich damit begnügt, dieses Recht festzustellen. Denn ob wir es wollen oder nicht: Wir alle leben in Beziehungen. Unser Wille ist geprägt von den Erfahrungen, die wir im Leben machen, aber auch von Haltungen und Werten anderer, von unserem sozialen Umfeld. Deshalb war es den Richterinnen und Richtern des Verfassungsgerichts eben auch wichtig, dass wir als Gesetzgeber die Aufgabe haben, die tatsächliche Autonomie des Suizidwilligen bestmöglich zu schützen. Und auch dieser Leitlinie folgt unser Gesetzentwurf.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, wir müssen darüber sprechen, dass Sterbewünsche endlich enttabuisiert werden. Wir müssen uns als Gesellschaft mit ihnen auseinandersetzen. Denn die Praxis zeigt, dass oftmals, wenn Betroffene den Satz äußern: „Ich will nicht mehr leben“, nach einer Auseinandersetzung, nach einem ernsthaften Gespräch mit ihnen der Satz verstanden werden muss als: „Ich will so nicht mehr leben“.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Betroffenen wollen sich aus einer Situation befreien, die sie persönlich als nicht mehr lebenswert empfinden. Das zeigt: Der Grat zwischen einem dauerhaften und ernsthaften Suizidwunsch und einem Hilferuf an die Gesellschaft ist schmal.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte nicht in einer Gesellschaft leben, in der Hilferufe verhallen oder mit Achselzucken zur Kenntnis genommen werden. Deswegen ist es Kern unseres Gesetzentwurfs, dass eine umfassende Beratungspflicht über die Alternativen zum assistierten Suizid sichergestellt wird. Den Menschen in einer solchen Lage muss bewusst sein, welche anderen Möglichkeiten es gibt, um sich aus einer solchen von ihnen als nicht mehr lebenswert empfundenen Situation zu befreien.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Dieses Aufzeigen ist doch keine Bevormundung oder kein Aufzwingen der eigenen Moral oder des eigenen Willen, sondern es ist der Kampf für echte Selbstbestimmung, für Wahlfreiheit, wenn ich weiß, welche Alternativen ich habe.
(Beifall der Abg. Dr. Kirsten Kappert-Gonther [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Diese Alternativen müssen dann aber auch tatsächlich und zeitnah zur Verfügung stehen, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Deswegen sind wir die einzige Gruppe, die einen Antrag zur Suizidprävention erarbeitet hat. Das gehört zusammen.
Ich möchte an der Stelle auch noch sagen: Manche Debattenbeiträge, insbesondere in der Orientierungsdebatte, aber auch in den letzten Monaten in der Öffentlichkeit, haben mich wirklich irritiert. Da wird beispielsweise behauptet, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts verbiete es – Zitat – über eine strafrechtliche Lösung überhaupt nur nachzudenken. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Verfassungsgericht hat es uns als Gesetzgeber in seinem Urteil ausdrücklich ermöglicht, diese Frage wieder im Strafrecht zu regeln.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das Bundesverfassungsgericht spricht in seinem Urteil davon, dass von einer Normalisierung des assistierten Suizids sowie dem Angebot der geschäftsmäßigen Suizidassistenz eine Gefahr für die Selbstbestimmung des Einzelnen ausgeht.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Deswegen ist die Frage relevant, wie wir ein Beratungs- und Schutzkonzept, das wir ja offensichtlich alle wollen, in der Praxis so umsetzen können, dass es gelebt wird und das nicht nur im Bundesgesetzblatt steht.
Insofern ist für unsere Gruppe klar: Wer sich erlaubt, sich über ein gesetzlich vorgeschriebenes Beratungsverfahren hinwegzusetzen und damit in unzulässiger Weise in die Selbstbestimmung anderer einzugreifen, der muss mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Das ist keine Kriminalisierung von Sterbewilligen, das ist auch, Kollege Franke, keine Kriminalisierung von Menschen, die Hilfe zum Suizid leisten wollen im Rahmen eines Beratungskonzepts, sondern das ist die konsequente Umsetzung des Auftrags des Bundesverfassungsgerichts, nämlich die Selbstbestimmung von allen Menschen in allen Lebenslagen tatsächlich zu sichern.
Vielen herzlichen Dank.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7537807 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 45 |
Tagesordnungspunkt | Sterbehilfe |