Hakan DemirSPD - Chaos an den Flughäfen - Arbeitskräftegewinnung
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Vor 50 Jahren kam eine gewisse Person namens Ibrahim Demir als sogenannter Gastarbeiter nach Deutschland. Er hat mit seinen Kolleginnen und Kollegen Straßen und Häuser gebaut, und damit haben sie zusammen unser Land zu dem gemacht, was es heute ist.
Die Geschichte meines Großvaters wiederholt sich. In wirtschaftlich starken Ländern wie Deutschland fehlen Arbeitskräfte. Dabei bremst der Mangel an Arbeitskräften die wirtschaftliche Entwicklung. Menschen aus anderen Ländern sind bereit, kurzfristig oder länger hierzubleiben.
Der aktuelle Engpass in der Luftfahrtbranche greift tief in den Alltag der Menschen ein. 5 500 Arbeitskräfte fehlen beim Bodenpersonal. Lange Schlangen, Flugausfälle, all das erleben wir gerade an deutschen Flughäfen. Und jeder von uns, der für sich und seine Familie einen Urlaub plant, vielleicht lange darauf gespart hat, weiß, wie frustrierend Flugausfälle sein können. Deshalb ist es natürlich richtig, dass die Bundesregierung kurzfristig Arbeitskräfte aus der Türkei anwirbt. Dank der Globalzustimmung der Bundesagentur für Arbeit und beschleunigter Visaverfahren wird die Anwerbung auch unbürokratisch gehandhabt. Außerdem geschieht sie ohne Sozialdumping. Bei Unternehmen, die Tarifverträge anwenden, herrscht Tarifbindung, bei allen anderen ein erhöhter Mindestlohn von 14,25 Euro plus Zuschläge, um niedrige Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen zu verhindern.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir organisieren die Anwerbung, ohne Sicherheitsstandards abzusenken. Die im Luftfahrtgesetz vorgesehene Zuverlässigkeitsprüfung findet regulär statt. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, deshalb läuft Ihr Antrag an dieser Stelle auch ins Leere; denn er fordert etwas, das die Bundesregierung sowieso macht.
Die generelle Erleichterung der Arbeitskräfteeinwanderung kommt in den vorgeschlagenen Maßnahmen nicht vor; ich habe keine Lösungsvorschläge von Ihnen gehört. Mehr noch: Die Bundesregierung hat gestern ein Chancenaufenthaltsrecht auf den Weg gebracht. Wir schaffen Bleibeperspektiven für die Menschen, die hier angekommen sind, die ein Teil dieser Gesellschaft geworden sind.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Und jetzt raten Sie einmal, wer dagegen ist: die Union.
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört! – Andrea Lindholz [CDU/CSU]: Damit wir die belohnen, die sich nicht an Gesetze halten! Klasse Lösung!)
Aber zurück zur Einwanderung. Die aktuelle Situation legt auch ein zentrales Missverständnis der Einwanderungspolitik der letzten Jahre offen: dass legale Einwanderung nur ein Thema für Hochqualifizierte sei. Das erleben wir gerade in der Pflege, in der Hotelbranche, im Sicherheitsgewerbe. Ich erlebe es, wenn ich mit Gastronominnen und Gastronomen in meinem Wahlkreis Neukölln spreche. Wir dürfen uns deshalb nicht nur darauf beschränken, den kurzfristigen Mangel in der Flugbranche in den Blick zu nehmen, wir brauchen stattdessen grundlegende Reformen in unserem Einwanderungssystem, vor allem, weil es auch in anderen Branchen wie Pflege, Gastronomie und Handwerk an Menschen fehlt. Hierzu einige Ideen: Die Westbalkanregelung ist eine der fortschrittlichsten Regelungen im deutschen Einwanderungsrecht, weil sie zum Beispiel ein Arbeitsplatzangebot, für das es keine geeigneten Kandidatinnen und Kandidaten in Deutschland gibt, zur Voraussetzung macht. Die Einwanderung ist aber aktuell auf 25 000 pro Jahr gedeckelt. Wir könnten uns überlegen, diese Deckelung beispielsweise anzuheben. Aber vielleicht sollten wir auch darüber nachdenken, ob wir die Westbalkanregelung auch auf andere Länder erweitern.
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Welche denn?)
Unser Einwanderungssystem muss für Menschen aller Qualifikationsniveaus offen sein. Für hochqualifizierte Menschen mit Ersparnissen ist Deutschland bereits eines der fortschrittlichsten Einwanderungsländer weltweit,
(Zuruf von der SPD: Aha!)
aber für Menschen, die diese Qualifikation nicht nachweisen können, die aber eine lange Berufserfahrung haben oder bereit sind, in Branchen zu arbeiten, in denen in Deutschland Arbeitskräfte fehlen, ist unser Einwanderungssystem noch nicht ausgelegt. Deshalb wollen wir mit einem Punktesystem nachsteuern.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Ibrahim Demir hätte heute kaum Chancen, nach Deutschland einzureisen. Mein Großvater hatte den Mut, zu kommen, und Deutschland hatte den Willen, Menschen aufzunehmen. Mit den Erfahrungen der letzten mindestens 50 Jahre müssen wir diesen Willen erneuern, ein neues Fachkräfteeinwanderungsgesetz auf den Weg bringen und dabei auch Menschen wie Ibrahim im Blick behalten.
Danke schön.
Dirk Brandes, AfD-Fraktion, ist der nächste Redner.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7538056 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 47 |
Tagesordnungspunkt | Chaos an den Flughäfen - Arbeitskräftegewinnung |