07.07.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 47 / Tagesordnungspunkt 10

Mechthild HeilCDU/CSU - Vereinbarte Debatte - Ein Jahr nach der Flutkatastrophe

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verzweiflung. Wenn ich in den ersten Tagen in meinem Wahlkreis im Ahrtal mit den Menschen gesprochen habe, war das das bestimmende Gefühl: Verzweiflung, Verzweiflung über die unfassbare Dimension dieser Katastrophe: Tote, Verletzte, Wunden an Leib und Seele, viele, viele Traumatisierte, ein vollkommen zerstörtes Tal, ein verlorenes Zuhause – wir sagen: ein verlorenes Paradies.

Ziemlich schnell setzten sich dann jedoch andere Gefühle durch: Hoffnung und Dankbarkeit. Gestützt waren sie auf den Zusammenhalt in den Dörfern und in den Nachbarschaften; weil die Dörfer meistens wirklich von der Außenwelt abgeschnitten waren, war man darauf angewiesen. Gestützt waren sie auch auf die unglaubliche Hilfe, die von außen kam, aus ganz Deutschland und weit darüber hinaus, und gestützt auf die überwältigende Spendenbereitschaft, die bis heute anhält.

Die Hoffnung stützte sich aber auch auf das Versprechen der Politik hier in Berlin und auch in Mainz: Wir werden alles für euch tun, was wir können. Wir werden zeigen, dass wir schnellen Wiederaufbau in Deutschland umsetzen. – Die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel hat gesagt: „Da muss keiner Angst haben, der Wiederaufbau wird nicht am Geld scheitern.“ Geld steht in ausreichender Menge zur Verfügung. Versprechen gehalten. Den damaligen Finanzminister und jetzigen Bundeskanzler Olaf Scholz kann ich mit den Worten zitieren: „Das, was man mit Geld in Ordnung bringen kann, das werden wir mit Geld in Ordnung bringen.“

Heute, ein Jahr nach der Katastrophe, ist das vorherrschende Gefühl zwischen Dorsel an der Oberahr und Sinzig, wo die Ahr in den Rhein fließt, Enttäuschung, Enttäuschung gegenüber den Verwaltungsapparaten hier im Bund und auch in den Ländern, weil das Geld eben nicht bei den Betroffenen vor Ort ankommt, bei den Privatleuten und bei den Unternehmen, bei den Kommunen, weil es nicht zeitnah oder am Ende überhaupt nicht und nicht in ausreichender Höhe ankommt, und Enttäuschung, weil der Neuaufbau viel, viel, viel zu langsam geht.

Das Geld kommt nicht an, weil die Ampel in Rheinland-Pfalz im Regelfall nur bereit ist, 20 Prozent Abschlag auf den Schaden auszuzahlen; Nordrhein-Westfalen zahlt 40 Prozent aus.

(Josef Oster [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Bis diese erste Zahlung dann bei den Betroffenen ankommt, auf dem Konto liegt, müssen die Betroffenen Monat für Monat vorfinanzieren. Nicht nur die erste Zahlung, sondern jede weitere Zahlung muss der Betroffene vorfinanzieren, und das ist derjenige, der nichts hat, dem das Haus weggeschwommen ist, dem Mitmenschen oder Angehörige verstorben sind.

Das Geld kommt nicht an, weil die Antragsverfahren zu aufwendig, zu kompliziert sind. Viele Flutopfer haben bis heute noch keinen Antrag gestellt, obwohl sie sicherlich ohne Zweifel dazu berechtigt wären. Da helfen auch nicht die Infopoints im Tal, und es helfen auch nicht die jetzt stattfindenden aufsuchenden Tür-zu-Tür-Beratungen. Das ist ein guter Ansatz; da will ich gar nicht meckern. Aber: Die Antragstellung ist so kompliziert. Sie muss digital erfolgen. Sie ist so kompliziert, dass es Wochen und Monate dauert, ehe das Verfahren zu einem wirklich erfolgreichen Abschluss gekommen ist. Deshalb sage ich, liebe Bundesregierung, aber auch liebe Landesregierung: Specken Sie endlich diese Verfahren ab, erhöhen Sie die Zahl der Leute, die diese Verfahren bei der ISB bearbeiten, und sorgen Sie endlich dafür, dass man immer denselben Ansprechpartner hat!

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vieles vor Ort wird im Keim erstickt, immer mit dem gleichen Hinweis: Wenn in ein paar Jahren der Rechnungshof kommt, kann es sein, dass er dagegen Einspruch erhebt. Oder es heißt: In der Verwaltungsvorschrift, in der VV, gibt es dazu keine klare Aussage, also nein, wir machen das nicht. – Und wenn die Landesregierung in Rheinland-Pfalz Bewilligungen versagt, dann häufig mit dem Hinweis: Da stellt sich der Bund quer. – Ich vermisse den Aufschrei dieser Ampel, den Widerspruch in Richtung Rheinland-Pfalz gegen die Aussage, dass wir uns im Bund querstellen. Oder muss ich davon ausgehen, dass die Rheinland-Pfälzer recht haben und es an uns, am Bund, an Ihnen liegt, dass sich im Ahrtal nichts bewegt?

Eines ist klar: So gelingt der Aufbau nicht. Nach einem Jahr ist er nicht gelungen, und er wird so auch im nächsten Jahrzehnt nicht gelingen. Deswegen mein Appell: Setzen Sie von den Ampeln in Rheinland-Pfalz und hier im Bund sich endlich mit den Rechnungshöfen zusammen, und klären Sie, was förderfähig ist und was nicht! Und setzen Sie sich als Vertreter von Bund und Land endlich zusammen, und passen Sie die VV an! Heute, ein Jahr nach der Flut, wissen wir doch besser, was da drinstehen muss. Man kann es ändern. Bitte tun Sie das.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Frau Faeser, Sie haben gesagt – und Sie haben recht damit –, dass es kein Schwarzer-Peter-Spiel geben darf. Dann hören Sie auch damit auf, und kommen Sie endlich ins Handeln! Es muss Schluss sein damit, dass sich Bund und Land immer gegenseitig den Schwarzen Peter zuschieben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Und bitte schaffen Sie endlich Klarheit, welche Personalkosten, die im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau bei den Kommunen anfallen, bezahlt werden. Bis jetzt ist das nicht klar. Es wird kein Personal eingestellt, weil die Kosten eben nicht vom Bund getragen werden. Das ist ein unhaltbarer Zustand. Die Menschen und die Kommunen vor Ort können sich das nicht leisten.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sorgen Sie für praxistaugliche Regelungen bei der Abgrenzung der Kosten des Wiederaufbaus zu den Kosten des Hochwasserschutzes! Und verlängern Sie endlich das Kurzarbeitergeld! Sie haben das gerade wieder abgelehnt. Die Leute dort haben keine Arbeit. Das Unternehmen ist weggeflossen, und Sie nehmen ihnen auch noch den letzten Rest Unterstützung weg. Verlängern Sie mit einer Sonderregelung das Kurzarbeitergeld in den Flutgebieten!

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der AfD)

Herr Scholz, Frau Dreyer, es fehlt ein klarer Fahrplan.

Kommen Sie bitte zum Schluss.

Es fehlt eine schnelle, unbürokratische Hilfe. Es fehlt an Zusammenarbeit. Es fehlt, wie immer, an Führung bei Ihnen. Packen Sie die Probleme an! Enttäuschen Sie die Betroffenen im Ahrtal nicht noch einmal!

(Beifall bei der CDU/CSU – Dirk Wiese [SPD]: Und jetzt fliegen Sie nach Mallorca, oder was?)

Als Nächstes erhält das Wort Leon Eckert für Bündnis 90/Die Grünen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7538085
Wahlperiode 20
Sitzung 47
Tagesordnungspunkt Vereinbarte Debatte - Ein Jahr nach der Flutkatastrophe
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