Sebastian RoloffSPD - Inflation in Deutschland
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine Damen und Herren! Ich hoffe ja immer, dass unsere Beratungen in der deutschen Bevölkerung breit verfolgt werden. Wenn ich mir aber diese wirtschaftspolitische Debatte anschaue, hoffe ich insbesondere, dass unter den Damen und Herren auf den Tribünen keine Experten sind bzw. keine volkswirtschaftlichen Seminare zuschauen, weil das wirtschaftspolitische Niveau schon wirklich erstaunlich war. Ich hoffe, dass wir wenigstens noch mal nachlesen, was hier teilweise für Widersprüche und teilweise für absolute Fehler, Fake News – das Thema „Fake News und trumpeske Politik“ ist heute zum Beispiel in London gescheitert – produziert werden. Ich versuche gerne, etwas zur Aufklärung beizutragen.
Wir sind uns, glaube ich, zunächst mal zumindest darin einig – auch wenn es nicht viel weiter geht –, dass, wer die Inflation bekämpfen will, an die Ursachen der Inflation muss. Und dann hören wir immer als großes Generalrezept, insbesondere von der rechten Seite des Hauses: Wir brauchen höhere Zinsen und eine Senkung der Staatsausgaben. – Das ist ja immer das große Dogma. Das könnte auch richtig sein, wenn wir über einen Nachfrageboom reden würden, der die Inflation auslöst. Ist das in dem Fall so? Gucken wir es uns doch mal an.
Gucken wir uns die Löhne an. Die Löhne haben sich in den letzten zwei Jahren mit Blick auf die Coronapandemie dank Einmalzahlungen und Lohnzurückhaltung der Gewerkschaften nur sehr schwach, anders als in anderen westlichen Ländern übrigens, entwickelt. Wir sehen, dass die Konsumquote seit zehn Jahren fällt. Und wir sehen eine zunehmend schwächere Auftragslage in der Industrie. Das ist ganz offensichtlich nicht nachfragegesteuert. Wer die Inflation einem Boom zuschreibt und dann auf steigenden Zinsen und Ausgabenkürzungen rumreitet, schüttet Öl ins Feuer und kein Wasser.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Pascal Meiser [DIE LINKE] – Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Was ist denn mit der Immobilienpreisentwicklung?)
Und da wäre ich tatsächlich froh – ich komme gleich darauf, Herr Willsch –, wenn wir über volkswirtschaftliche Grundkenntnisse reden würden und auf dieser Basis unsere Rezepte entwickeln und nicht auf der Basis von Ideologie.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Klaus Wiener [CDU/CSU]: Die EZB muss trotzdem handeln! Das hat nichts mit Angebot und Nachfrage zu tun!)
– Ja, das Thema EZB ist auch immer schön. Sie fordern immer eine unabhängige EZB, in die sich die Politik nicht einmischen darf, sagen dann aber: Liebe EZB, ihr müsstet erstens, zweitens, drittens … – Da ist doch der nächste Widerspruch. Es ist doch einfach nicht logisch.
Wenn wir uns anschauen, was die Situation jetzt ausgelöst hat: Wir haben einen Angebotsschock; wir haben explodierende Energiepreise; wir haben ganz offensichtlich Probleme bei den Lieferketten und Rohstoffengpässe, und auch ganz offensichtlich ist, durch was das ausgelöst wird. Das sind die Gründe für die Inflation. Da müssen wir ran und nicht an die üblichen ideologischen Rezepte.
Die Gefahr einer Stagflation ist präsent; das kann passieren. Das müssen wir alle im Auge haben. Und wenn wir uns dann immer gegenseitig unterstellen, wir würden das nicht ernst nehmen, wird es dem Ernst der Lage, glaube ich, nicht gerecht.
Ein weiteres Problem ist der Fachkräftemangel. In allen Betrieben – ich unterstelle, dass wir alle regelmäßig in Betrieben oder bei den IHKs unterwegs sind – heißt es: Wir brauchen Fachkräfte. – Und wir brauchen nicht nur Fachkräfte, sondern wir brauchen Arbeitskräfte. Wir haben auch einen Arbeitskräftemangel. Ich verzichte jetzt darauf, zu erklären, wer die Debatte um Zuwanderungsthemen und Fachkräftezuwanderung die letzten 16 Jahre erfolgreich verhindert hat. Wir sind das angegangen, und ich bin froh, dass wir als Ampel die entsprechenden Maßnahmen schon auf den Weg gebracht haben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Wir brauchen zielgerichtete Maßnahmen, um die steigenden Preise zu dämpfen, insbesondere für die Menschen, die in sozialer Not sind. Da ist der erste Teil der Wirkung des Entlastungspakets schon spürbar; meine Kolleginnen und Kollegen sind darauf eingegangen. Ein Großteil der Wirkung kommt jetzt aber in den nächsten Wochen und Monaten erst. Dementsprechend ist ein wichtiger Schritt gemacht. Ich verhehle aber auch nicht, dass wir die Situation natürlich im Auge behalten und zumindest jetzt schon diskutieren müssen, welche Optionen wir zur Weiterentwicklung im Herbst haben.
Ich persönlich habe große Sympathie für die Position der DGB-Vorsitzenden zum Beispiel,
(Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Überraschend!)
die über einen Strom- und Gaspreisdeckel für Privathaushalte nachgedacht hat. Frank Bsirske hält den Daumen hoch; das ist schon mal gut. Von daher kann man darüber reden. Das ist auch kein Sozialismus oder keine Planwirtschaft, wie wir es heute gehört haben. Das machen die französischen Freundinnen und Freunde sehr erfolgreich. Und jetzt kann man über Emmanuel Macron, insbesondere mit Blick auf seine Koalitionsoptionen, viel sagen, aber nicht, dass er Sozialist sei.
Das 9‑Euro-Ticket ist ganz offensichtlich ein Riesenerfolg. Und das sollten wir zum 365-Euro-Ticket weiterentwickeln. Aber natürlich müssen wir auch die Regionalisierungsmittel erhöhen; denn wenn keine Bahn und kein Bus fährt, kann man sie auch nicht nehmen. Dafür brauchen wir nun mal Geld. Und das muss auf den Weg gebracht werden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Unternehmen, insbesondere die energieintensiven Unternehmen, müssen auf der Kostenseite entlastet werden; das ist richtig.
Wir müssen bei den Finanzmarktspekulationen Einhalt gebieten, damit die Rohstoffpreise nicht weiter durch die Decke gehen.
Wir müssen die Wertschöpfungsketten restrukturieren.
Und wir müssen selbstverständlich autark von russischer Energie und von knappen Rohstoffen werden. Dazu haben wir heute im Haus auch noch eine Debatte; dementsprechend kann ich in der Zeit bleiben.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und hoffe, dass wir unsere Rolle als aktiver Staat, der eine aktive Wirtschaftspolitik macht, begreifen und entsprechende Investitionen und Maßnahmen auf den Weg bringen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7538111 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 47 |
Tagesordnungspunkt | Inflation in Deutschland |