Thomas HackerFDP - Bundeswehreinsatz in Bosnien und Herzegowina (EUFOR ALTHEA)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jeder, der schon einmal in Sarajevo und Bosnien und Herzegowina war, kommt mit intensiven, mit überwältigenden Eindrücken zurück. Neben den Rosen von Sarajevo – mit rotem Harz gefüllten Granatkratern, die der Opfer des Artilleriebeschusses gedenken – ist eine meiner einprägendsten Erinnerungen der Besuch des War Childhood Museums. Das Museum, das 2017 gegründet wurde, sammelt die vielen Geschichten der Kinder, die während des Bosnien-Krieges aufwuchsen, Geschichten von Angst, Verlust und Tod von Freunden, Geschwistern oder Eltern. Durch das Bewahren der Erinnerung und mit ihr verbundener Erinnerungsstücke will das Museum so einen Beitrag leisten, die entstandenen Traumata zu bewältigen, Traumata, die 27 Jahre nach Ende des Krieges immer noch omnipräsent sind.
Was uns der Autor Edo Popovi c in seiner Literatur als „Absurdität der Postapokalypse“ miterleben lässt, ist für die Menschen vor Ort Lebensrealität, aus der doch eigentlich eine optimistische Zukunft geformt werden müsste. Wie kann das aber gelingen, wenn die Menschen mit der Angst leben müssen, dass ihre Heimat wieder in einen dunklen Abgrund stürzt? Es ist eine allgegenwärtige Angst, immer weiter angefeuert von serbischen, kroatischen oder bosnischen Nationalisten. Wie soll sich eine Gesellschaft entwickeln, wenn die Integrität der eigenen Heimat immer wieder infrage gestellt wird und ethnische Grenzen zum Spielball von Machtinteressen und Machtpolitik werden, ethnische Grenzen, die im Europa des 21. Jahrhunderts doch längst überwunden sein müssten? Der Hohe Repräsentant, unser ehemaliger Kollege Christian Schmidt, bezeichnet die aktuelle Situation in Bosnien und Herzegowina als die dramatischste seit dem Friedensabkommen von Dayton 1995.
„Zeitenwende“ ist das geflügelte Wort des Jahres 2022, weil wir uns mit einem radikalen Paradigmenwechsel konfrontiert sehen. Aber auch 1995 war für Deutschland schon eine Zeitenwende. Damals leitete die Mandatierung der Beteiligung der Bundeswehr bei der United Nations Protection Force und IFOR einen Paradigmenwechsel der deutschen Außenpolitik ein. Deutschland wurde damals seiner besonderen Verantwortung für den Frieden Europas und den Frieden auf dem westlichen Balkan gerecht. An dieser besonderen Verantwortung hat sich 30 Jahre nach dem Ausbruch des Krieges in Bosnien nichts geändert. Es ist daher richtig, dass wir heute die Entsendung von 50 Bundeswehrsoldaten in die Region beschließen.
Doch dieser wichtige Schritt allein reicht nicht. Verantwortung lässt sich nicht in einem Mandat allein abhandeln. Als Ampelkoalition wollen wir auch die Ursachen der verschärften Situation angehen. Dazu gehört, dass wir klare Antworten auf die nationalistischen und separatistischen Kräfte in Bosnien und Herzegowina finden, die das Friedensabkommen von Dayton untergraben und aktiv verletzten. Das bedeutet, dass wir, die EU – wie es die USA und Großbritannien bereits tun –, gezielte Sanktionen gegen all diejenigen verhängen, die den Frieden im Land gefährden und sabotieren.
Unser Blick muss sich dabei natürlich auch in die Nachbarschaft von Bosnien und Herzegowina richten. Konflikte in einer so multiethnischen Region sind niemals isoliert zu betrachten. Wer wie der serbische Präsident Vucic proklamiert, sein Land in die EU führen zu wollen, muss wissen, dass die aktive Unterstützung von Separatisten wie Milorad Dodik mit einem Weg in die Europäische Union nicht vereinbar ist.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ein Schlüssel zum Erfolg liegt wieder einmal in der Geschlossenheit der Europäischen Union, in diesem Fall gegenüber nationalistischen und separatistischen Kräften in Bosnien-Herzegowina. Das gilt sowohl bei der Frage der Durchführung der Wahlen im Oktober als auch bei der Umsetzung der Urteile des Europäischen Gerichtshofs hinsichtlich der viel diskutierten Wahlrechtsreform. Das ist eine Geschlossenheit, die wir von allen unseren EU-Partnern einfordern, insbesondere von denen aus der Region.
Seit dem 24. Februar ist der Krieg in Europa wieder Realität. Wir müssen uns der sicherheitspolitischen Dimension, welche die Stabilität des westlichen Balkans für unseren gesamten Kontinent hat, klar bewusst sein. Auch hier müssen wir den Einfluss der Russischen Föderation zurückdrängen. Stärken wir die Zivilgesellschaft des Landes, indem wir Projekte zur Resilienz gegen Kreml-Desinformationskampagnen und Fake News ausbauen! Wenn der russische Botschafter in einem Interview offen sagt, dass ein NATO-Beitritt von Bosnien-Herzegowina das Schicksal der Ukraine zur Folge habe, dann muss unsere Antwort sein, dass wir das Land umso mehr bei der NATO-Annäherung unterstützen und bei der Umsetzung des Membership Action Plans begleiten.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Knut Abraham [CDU/CSU])
Ignorieren wir vor allem einen Fakt nicht länger: Der Garant für nachhaltige Stabilität in Bosnien-Herzegowina ist und bleibt eine realistische Perspektive zur EU-Mitgliedschaft.
Ihre Zukunft sehen vor allem die jungen Menschen in einem vereinten Europa. Unterstützen wir die Menschen vor Ort, dass diese Zukunft für ihr Land Realität werden kann!
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Zaklin Nastic hat jetzt das Wort für die Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7538379 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 48 |
Tagesordnungspunkt | Bundeswehreinsatz in Bosnien und Herzegowina (EUFOR ALTHEA) |