08.07.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 48 / Zusatzpunkt 24

Jonas GeisslerCDU/CSU - ÖPNV - Anschlussregelung Neun-Euro-Ticket

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn man fünf Wochen nach Einführung einer Maßnahme diese schon bewertet, sollte eigentlich jedem von uns schon im Vorfeld klar sein, dass das eine sehr gewagte Diskussion ist. Ganz ehrlich: Nachdem ich mir angehört habe, was der eine oder andere von Ihnen gesagt hat, stelle ich fest, dass jeder im Endeffekt die gleichen Narrative verwendet hat wie schon bei der Einführung des 9‑Euro-Tickets.

Wir haben von der Linkspartei damals wie heute gehört: Wir wollen das weitermachen; alles muss quasi umsonst sein. – Wir hören von den Grünen: Eine historische Entscheidung, die – Nebensatz – für drei Monate gilt! – Was das zu bedeuten hat, hat uns später die FDP erklärt. Sie von der AfD haben vom Sozialismus und der Reichsbahn geredet. Sagen wir es mal so: Bei der Debatte stellt sich schon die Frage, inwieweit sie heute wirklich etwas gebracht hat.

(Beifall bei der CDU/CSU – Mike Moncsek [AfD]: Zurück in die Zukunft!)

Ich möchte mich mal ganz bewusst mit den Zahlen beschäftigen, die wir schon kennen, unabhängig davon, ob wir das Ticket gut finden oder ob wir es schlecht finden.

(Stefan Gelbhaar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie doch mal was Gutes!)

Wir kennen aus Umfragen die Gründe für die Entscheidung, das Ticket zu nutzen. 71 Prozent sagen: „Es ist der Preis“, für 39 Prozent ist es die Flexibilität, für 40 Prozent der Verzicht aufs Autofahren und für 34 Prozent die deutschlandweite Gültigkeit. Wenn man diese Indikatoren heranzieht, dann muss man sich die Frage stellen: Worüber streiten wir uns eigentlich in diesem Haus? Und wir kommen zum Schluss: Am Ende ist es der Preis. Denn der Preis betrifft die Frage, wie Mittel aufgewendet werden. Der Preis betrifft die Fragen, wie es am Ende finanziert wird und was das Ganze kostet. Meine Damen und Herren von der Linken, Ihr Vorschlag würde ungefähr 20 Milliarden Euro kosten, weil Sie auf die 10 Milliarden Euro Regionalisierungsmittel noch einmal die gleiche Summe draufknallen wollen.

(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Weniger als das Sondervermögen für die Aufrüstung! – Gegenruf des Abg. Michael Donth [CDU/CSU]: Das gibt es einmal und das aber jedes Jahr!)

– Das eine gibt es einmal, und das andere ist immer.

Wenn wir uns die Mittelaufwendungen anschauen, sind wir bei der Frage, wem das etwas bringt. Wir haben einfach die Situation – und das ist keine Kritik daran, dass es dafür genutzt wird –, dass viele Menschen, die in den Urlaub fahren, das Ticket nutzen. Für den normalen Pendler, der im ländlichen Raum wohnt, ist die Entlastung aber gering. Das ist einfach eine Feststellung von Tatsachen.

Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage von der Linksfraktion zulassen?

Sehr gern.

Bitte sehr.

Vielen Dank für die Zulassung der Zwischenfrage. – Mir geht eine Sache – tut mir leid, dass ich das so deutlich sagen muss – ein bisschen auf den Zeiger. Es wird immer auf den ländlichen Raum verwiesen und gefragt, wem es etwas bringt. Dass es dort Defizite gibt, wissen wir, völlig unabhängig davon, was ein Ticket kostet. Aber es gibt auch Menschen in der Bundesrepublik Deutschland, die keinen Führerschein haben. Diese leben vielleicht mehr in den Städten als im ländlichen Raum. Auch denen bringt ein Tankrabatt vielleicht nicht unbedingt etwas.

Ich erbitte mir von Ihnen eine Aussage zu Folgendem: Es gab ja eine Reaktion innerhalb der Koalition. Die erste Idee war völlig nachvollziehbar: Wir müssen irgendwie die Spritpreise senken. – Dabei hat, glaube ich, die FDP die Federführung gehabt. Daraufhin haben die Grünen reagiert und haben gesagt: Wir müssen dann als Ausgleich wenigstens etwas für den öffentlichen Verkehr machen. – Aber Ihnen, der Sie sagen, es gebe einen Teil der Bevölkerung, dem das 9‑Euro-Ticket nichts bringe, halte ich entgegen: Es gibt auch einen Teil der Bevölkerung, dem der Tankrabatt nichts bringt, unabhängig von der Frage, ob er überhaupt etwas bringt.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Leni Breymaier [SPD])

Herr Kollege, ich stehe hier nicht, um den Tankrabatt, den die Ampel eingeführt hat, zu verteidigen, bei dem man durchaus ambivalent über die Frage diskutieren kann, was denn tatsächlich beim Einzelnen draußen ankommt.

Wenn ich über den ländlichen Raum und über die Frage „Bringt das 9‑Euro-Ticket was?“ rede, dann stelle ich mir die Frage: Was muss man machen, um den ÖPNV im ländlichen Raum attraktiver zu machen? Den ÖPNV macht man eben nicht über den Preis attraktiver. Die Grundfrage im ländlichen Raum lautet nicht: „Was kostet der Bus?“, sondern: „Fährt überhaupt ein Bus?“

(Beifall bei der CDU/CSU)

Der Mitteleinsatz im ländlichen Raum muss sich in erster Linie daran orientieren, wie die Taktung und die Vernetzung des ÖPNV verbessert werden können. Es gibt zig Projekte in ganz Deutschland und in verschiedenen Bundesländern, anhand derer man einfach sieht, dass es erfolgreich ist, mehr Mittel einzusetzen. Davon würde der ländliche Raum tatsächlich profitieren.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wenn wir den ÖPNV attraktiver machen wollen, ist nach unserer festen Überzeugung die Frage, was der ÖPNV kostet, nicht die Anfangsfrage, sondern die Endfrage. Der ÖPNV muss innovativer und vernetzter werden, und vor allen Dingen braucht der ÖPNV eine bessere Taktung. Dass es Beispiele dafür gibt, das wissen wir eigentlich alle. Wer aus Baden-Württemberg kommt, kann seit über vier Jahren des BW-Ticket nutzen. Das ist ein Ticketsystem, das es ermöglicht, überall im Land mit einem Ticket zu fahren; das ist flexibler. In Bayern wird gerade etwas Ähnliches eingeführt, was aber auf Digitalisierung setzt. Man hat endlich die Möglichkeit, mit einer App alles zu buchen, überall hinzufahren und vor allen Dingen die Verspätungen zu sehen, unabhängig davon, wo die einzelnen Verkehrsträger herkommen. In Nordrhein-Westfalen will man bei den S-Bahn-Verbindungen auf einen 15-Minuten-Takt umsteigen. Das ist gelebte Mobilität in der Fläche. In München wird das Gleiche für einen 20-Minuten-Takt der S-Bahn-Außenäste diskutiert. Es gibt zahlreiche Beispiele im ländlichen Raum, die zeigen, dass man versucht, das Problem über On-Demand-Verkehre zu lösen.

Die Zielsetzung für uns muss sein, dass der ÖPNV als Erstes besser wird, und danach reden wir über den Preis.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Danach können wir uns über ein 365-Euro-Ticket, ein 9‑Euro-Ticket oder ein 0‑Euro-Ticket unterhalten. Wer den ÖPNV stärken will, der muss die Taktung verbessern; denn sie ist eigentlich entscheidend dafür, mehr Menschen im ländlichen Raum zum Umstieg auf den ÖPNV zu bewegen.

Ich habe gestern eine aktuelle Umfrage vom Deutschen Verkehrsforum gelesen, in der gefragt wurde: Würden Sie denn, nachdem das 9‑Euro-Ticket ausgelaufen ist, weiter den ÖPNV nutzen? Da waren 23 Prozent unentschlossen. 26 Prozent sagen „Ja“ oder „Eher ja“. 51 Prozent sagen „Nein“ und „Nein, auf keinen Fall“. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, es muss der gemeinsame Ansatz dieses Hauses sein, dass diese 51 Prozent davon überzeugt werden, den ÖPNV langfristig zu nutzen. Wir haben in der Vergangenheit viel Geld investiert. Unsere gemeinsame Zielsetzung muss sein, auch in Zukunft deutlich mehr Mittel in den ÖPNV zu investieren.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Als Nächstes spricht Swantje Michaelsen für Bündnis 90/Die Grünen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Valentin Abel [FDP])


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7538398
Wahlperiode 20
Sitzung 48
Tagesordnungspunkt ÖPNV - Anschlussregelung Neun-Euro-Ticket
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