Marie-Agnes Strack-ZimmermannFDP - Einsetzung Enquete-Kommission: Lehren aus Afghanistan
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine Damen und Herren! Ich sage nur: schäbig, billig, unwürdig.
(Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Meine Damen und Herren, kein Auslandseinsatz hat so viele Spuren in der Bundeswehr und in der Gesellschaft hinterlassen wie der Einsatz in Afghanistan, allen voran natürlich bei den Soldatinnen und Soldaten, die dort im Laufe der 20 Jahre oft mehrmals im Einsatz waren, die dort auch kämpfen mussten, auch Kameraden zu Grabe haben tragen müssen und von denen viele an den Folgen des Einsatzes auch heute noch leiden. Ihnen und deren Familien, die diese Einsätze mitgetragen, mitgelitten und auch Angehörige verloren haben, gilt unser großer, tief empfundener Dank.
(Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Unser Respekt gehört den Soldatinnen und Soldaten, die ihren Auftrag mit Bravour erfüllt haben, den dieses Parlament gewollt hat. Und der Ruf der Bundeswehr ist auch deswegen international so gut, weil die Soldatinnen und Soldaten und viele andere dazu beigetragen haben.
Meine Damen und Herren, Deutschlands Engagement am Hindukusch hat maßgeblich dazu beigetragen, dass sich die Anforderungen an die Bundeswehr verändert haben. Struktur und Ausbildung der Streitkräfte wurden auf das internationale Krisenmanagement ausgerichtet. Und für diejenigen, die sich in dieser Zeit bei der Bundeswehr verpflichtet haben, war klar, dass sie ihr Weg früher oder später nach Masar-i-Scharif, Kabul oder Kunduz führt.
Und nein, es war nicht alles schlecht. Hunderttausende Soldatinnen und Soldaten, aber auch zivile Mitarbeiter/-innen, Polizisten, Helfer und Diplomatinnen und Diplomaten haben mit großem persönlichen Einsatz ihr Bestes gegeben, dieses Land zu stabilisieren, zu modernisieren, den Menschen zu helfen, Frauen eine bessere Zukunft zu ermöglichen und für Sicherheit zu sorgen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Und ja, es ist bitter: Trotz alledem steht in Afghanistan am Ende der vollständige Kollaps aller staatlichen Ordnung. Trotz alledem müssen sich Frauen in der Öffentlichkeit wieder voll verschleiern. Trotz alledem dürfen Mädchen nicht mehr auf weiterführende Schulen. Trotz alledem müssen Menschen, auf deren Hilfe wir uns jahrelang verlassen haben, in ihrer Heimat um ihr Leben fürchten, auch weil wir sie bis heute nicht alle rausgeholt haben.
Und ja, bei vielen bleiben die dramatischen Bilder vom Kabuler Flughafen gewissermaßen als Schlussakt. Aber leider gehört auch dazu, dass die ehemalige Ministerin Kramp-Karrenbauer, als das letzte Kontingent am 30. Juni 2021 am Luftwaffenstützpunkt Wunstorf ankam, in den USA weilte, der Generalinspekteur in Berlin und die Mitglieder unseres Ausschusses und auch andere erst am frühen Morgen davon erfahren haben. Wir hatten keine Chance mehr, dort hinzukommen.
(Zuruf von der CDU/CSU)
Gewartet haben dort eine Fernsehstation, ein Hörfunksender und eine Agentur. Meine Damen und Herren, ich schäme mich noch heute, und es ist unfassbar, dass wir keine Gelegenheit hatten, dieses Kontingent persönlich in Empfang zu nehmen.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Meine Damen und Herren, heute kommt diese Enquete-Kommission; wir setzen sie sein. In diesen 20 Jahren – und das ist wichtig – ist uns auch etwas gelungen, nämlich dass es gerade in den Großstädten eine Generation gibt, eine moderne junge Generation. Und ja, über die angesprochenen Fehler, über die werden wir sprechen müssen: das fehlende Verständnis für Kultur der dortigen Gesellschaft, auch die naive Herangehensweise, mal so eben aus Afghanistan ein modernes Land westlicher Lebensart machen zu wollen, die grobe Fehleinschätzung über den Rückhalt der Taliban, vor allem fernab der großen Städte, Unsummen von Geld, welches ins Land floss und auch Korruption gedeihen ließ, und, meine Damen und Herren, letztlich der überstürzte bzw. – so wurde er schon genannt – planlose Abzug und das komplette Verkennen der Wehrfähigkeit und Wehrwilligkeit der afghanischen Armee. Es gilt daher, Lehren aus diesem Einsatz zu ziehen, um insbesondere aus den Erfahrungen heraus in Zukunft diese Fehler nicht zu wiederholen.
Meine Damen und Herren, eine unabhängige Evaluierung des Afghanistan-Einsatzes hätte schon viel, viel früher erfolgen müssen. Herr Wadephul, wir haben das als FDP immer von Ihnen und Ihren Ministerinnen gefordert. Das kam nie. Und wenn ich, mit Verlaub, sehe, wie viele von Ihrer Fraktion bei dieser wichtigen Debatte zum Afghanistan-Einsatz noch hier sind, finde ich das bemerkenswert.
(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Kümmern Sie sich um Ihre Sachen!)
Auch in der Opposition hat man Verantwortung zu übernehmen, vor allen Dingen wenn man über den größten Teil dieses Einsatzes die Inhaber der Kommando- und Befehlsgewalt gestellt hat.
Meine Damen und Herren, wir holen das jetzt nach. Die Ampel hat bereits angefangen, die laufenden Einsätze zu evaluieren und entsprechend anzupassen, vor allem was das Mandat Mali betrifft. Die Reflexion muss Standard sein. Wir haben eine Verantwortung für unsere Soldatinnen und Soldaten und für die Menschen, die darauf hoffen, ein menschenwürdiges Leben führen zu können. Sie müssen darauf bauen können, dass wir sie dabei in ihren Ländern unterstützen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Nächste Rednerin: für die Fraktion Die Linke Sevim Dağdelen.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7538409 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 48 |
Tagesordnungspunkt | Einsetzung Enquete-Kommission: Lehren aus Afghanistan |