Jens TeutrineFDP - Aktuelle Stunde - Konsequenzen aus dem Paritätischen Armutsbericht 2022
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben jetzt in der Debatte viele verschiedene Armutsberichte gehört; von Einzelschicksalen wurde berichtet. Auch mir schreiben viele Bürgerinnen und Bürger aus meinem Wahlkreis und fragen: Wie komme ich am Ende des Monats über die Runden? Was macht die Bundesregierung für mich?
Was noch nicht erwähnt wurde, ist, was wir machen. Janine Wissler hat behauptet, die Bundesregierung würde nichts machen. Das ist natürlich falsch. Eine vierköpfige Familie mit zwei Kindern und zwei erwachsenen Personen, die Hartz IV empfängt, erhält zum Ende dieses Monats 600 Euro an Einmalzahlung. Das ist die Brücke bis zur Hartz-IV-Erhöhung, die ganz regulär kommt.
(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: 3 Euro, oder was? – Janine Wissler [DIE LINKE]: Wann kommt die denn?)
Ja, es stimmt; für einige ist das nichts. Für einige ist das nicht erwähnenswert. Für diese vierköpfige Familie macht es aber einen großen Unterschied; denn sie kann im Sommer vielleicht doch mal einen Ausflug machen, und der Kühlschrank ist doch etwas gefüllter.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Für diese Menschen macht es einen Unterschied!
Die Aktuelle Stunde beschäftigt sich mit dem Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands. Gucken wir in diesen Armutsbericht, sehen wir dort erschreckende Zahlen, die alarmieren, beispielsweise, dass die Armutsquote bei keiner Berufsgruppe so stark angestiegen ist wie bei den Selbstständigen – ein Anstieg von 46 Prozent; so heißt es im Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands. Das liegt an der Coronapolitik. Das liegt daran, dass man nicht berücksichtigt hat, welche wirtschaftlichen und sozialen Schäden flächendeckende Lockdowns nach sich ziehen. Deswegen ist es richtig, dass wir dort einen Kurswechsel eingeleitet haben.
(Beifall bei der FDP – Janine Wissler [DIE LINKE]: Es ist gut, dass die Maskenpflicht weg ist!)
– Sie können so viel schreien, wie Sie wollen. Sie wissen, wer der Spitzenreiter bei der Armutsquote im Bericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands ist: Das ist Bremen, wo Sie regieren.
(Dr. Bernd Baumann [AfD]: Genau! – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Da regieren zwei Ihrer Koalitionspartner, Herr Kollege! – Zuruf des Abg. Pascal Meiser [DIE LINKE])
Das ist das Bundesland, das eine über 10 Prozentpunkte höhere Armutsquote hat als das Bundesland auf Platz zwei. Handeln Sie also gerne in Bremen und machen Sie dort etwas gegen die Armut und für die wirtschaftliche Entwicklung, anstatt sich hier aufzuspielen!
(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. Bernd Baumann [AfD] – Zuruf von der FDP: So ist es! – Zuruf der Abg. Janine Wissler [DIE LINKE])
Ich möchte noch einen Aspekt erläutern. Im Armutsbericht wird ausschließlich über die relative Armut gesprochen. Als relative Armut wird bezeichnet, wenn ein Haushalt 60 Prozent weniger als der Medianhaushalt hat. Das ist eine Kennzahl, mit der man arbeiten kann; man sieht zum Beispiel eine Veränderung bei den Selbstständigen. Aber die Zahl sagt nicht über alles etwas aus; denn wenn sich beispielsweise die Einkommen aller Bürgerinnen und Bürger verdoppeln würden, bliebe die Armutsquote in unserem Land gleich hoch.
Deswegen muss man eigentlich weitere Indikatoren dazunehmen und zum Beispiel fragen: Wie sieht es eigentlich mit Bildungschancen in unserem Land aus? Wenn die CDU sich heute hier aufspielt,
(Marc Biadacz [CDU/CSU]: Wir spielen uns gar nicht auf!)
dann sei auch erwähnt, dass sich die Bildungschancen während der Pandemie verschlechtert haben, dass Sie keine BAföG-Reform gemacht haben, obwohl wir die Bildungsministerin Karliczek daran erinnert haben.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Thorsten Frei [CDU/CSU]: Bildung ist Sache der Länder!)
In den 80ern lag die Wahrscheinlichkeit, in Armut und bei einem niedrigen Einkommen zu bleiben, bei 40 Prozent. Jetzt liegt die Wahrscheinlichkeit, in Armut zu bleiben, bei 70 Prozent; sie ist angestiegen.
(Zuruf der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])
Das Aufstiegsversprechen ist die wichtigste Frage beim Thema der Armutsbekämpfung. Da geht es um gute Bildung für jeden; da geht es auch um die Frage: Wie effektiv ist ein Sozialstaat, wie zielgenau wirkt er?
Wir haben viel über Erwerbsarmut gesprochen, über diejenigen, die aufstocken. Die größte Leistungsungerechtigkeit in unserem Land besteht, wenn eine alleinerziehende Mutter in Hartz IV arbeiten geht und sie faktisch mehr als den Spitzensteuersatz zahlen muss; 80 Prozent ihres Arbeitseinkommens wird nämlich auf die Leistungen angerechnet. Wenn sie mehr arbeiten will, gibt es dafür keinen Anreiz, sondern der Staat sagt: Bleib in Hartz IV! Befrei dich nicht aus der Abhängigkeit des Staates! Mach bitte nichts, oder mach weniger! – Deswegen haben wir uns darauf geeinigt, dass die Hinzuverdienstregeln angepasst werden, damit wir die Leistung derjenigen belohnen, die sich vom Sozialstaat befreien wollen. Das haben Sie 16 Jahre lang nicht gemacht, liebe CDU.
(Beifall bei der FDP – Zurufe von der CDU/CSU)
Zum Ende meiner Rede möchte ich auf zwei Punkte eingehen, die mir wichtig sind. Erstens. Wir haben die Armut im Blick. Wir sprechen in jeder Ausschusssitzung darüber. Wir werden auch die weitere Preisentwicklung über die Sommerpause in den Blick nehmen und jederzeit Maßnahmen ergreifen, falls notwendig. Zweitens braucht es zeitgleich aber auch strukturelle Reformen. Da setzen wir mit dem Bürgergeld an, und da setzen wir auch mit einer anderen Bildungspolitik an. Denn unser Ziel ist es, dass sich mehr Menschen von Armut befreien können, weil Aufstiegschancen auch ein wichtiger Indikator für Leistungsgerechtigkeit in unserem Land sind.
Vielen Dank.
(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Nächster Redner: für die Fraktion Die Linke Pascal Meiser.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7538422 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 48 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde - Konsequenzen aus dem Paritätischen Armutsbericht 2022 |