Rolf MützenichSPD - Bundeskanzler und Bundeskanzleramt
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor gerade einmal zwölf Monaten hat die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler der Regierung das Vertrauen ausgesprochen, um Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit bei uns und in Europa zu stärken. Das war kein Irrtum des Souveräns und auch kein Betriebsunfall der Demokratie, wie manche versuchen, uns einzureden oder herbeizutexten. Die Mehrheit der Menschen wollte diese Regierung. Sie wollte Kompetenz, Erfahrung und Seriosität im Bundeskanzleramt.
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Und was haben sie bekommen?)
Sie wollte Olaf Scholz, und wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten sind stolz, dass er einer von uns ist.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Christian Dürr [FDP] – Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Sie wollten ihn nicht einmal als Parteichef!)
Meine Fraktion will dieses Vertrauen im kommenden Haushaltsjahr tief verankern. Um Arbeit zu sichern und den Klimawandel und die Pandemie zu bewältigen, brauchen wir ein verantwortliches Gemeinwesen und eine gerechte Politik. Dafür wird sich die SPD-Bundestagsfraktion in den nächsten Wochen einsetzen. Es wird in der zweiten und dritten Lesung ein guter Haushalt sein; das sagen wir heute zu, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Christine Aschenberg-Dugnus [FDP])
Es geht um mehr. Ja, vor dem Hintergrund alter und neu entfesselter Kriege brauchen wir militärische Sicherheit, die zugleich in die tägliche Suche nach Frieden eingebettet bleiben muss.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Diplomatie, meine Damen und Herren, und der Versuch, Spannungen zu mindern, sind keine Prinzipien von gestern, sondern aktueller denn je. Das hat die Bundestagspräsidentin heute in ihrer Würdigung von Präsident Gorbatschow nachhaltig beschrieben. Wir stehen in dieser Tradition, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Eine Politik, die das Innere und Äußere zu verbessern sucht, erfordert Ernsthaftigkeit und Kompetenz und keine Beliebigkeit, Herr Kollege Merz. Ich würde gerne an drei Beispiele aus den letzten Wochen erinnern:
Noch im Juli haben Sie eine steuerliche Erleichterung für alle gefordert, auch für diejenigen mit großen Vermögen.
(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Über Vermögensteuer haben wir nie gesprochen!)
Als sich dann plötzlich der Wind in der Innenpolitik drehte, haben Sie gesagt: Na ja, vielleicht muss das untere Drittel auch bedacht werden. – Herr Kollege Merz, das ist alles heiße Luft. Sie hätten vor einigen Monaten den Beweis antreten können, als es um den Mindestlohn gegangen ist.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Damals haben Sie sich enthalten. Ein tatkräftiges Ja wäre erforderlich gewesen.
Ich kann es Ihnen vor Augen führen. Meine Fraktion war in Dresden. Dort profitieren ab 1. Oktober 55 000 Beschäftigte alleine von diesem Mindestlohn. Wenn man meint, ein soziales Herz zu haben, hätte es sich gehört, zuzustimmen, statt sich hier nicht nur in Beliebigkeit zu verheddern, und letztlich zu sagen: „Ja, das machen wir“ und: „Das ist die richtige Entscheidung“, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)
Im März haben Sie hier einem kompletten Lieferstopp für russisches Gas das Wort geredet.
(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Wird durch Wiederholung nicht richtiger!)
Ich frage Sie, Herr Merz: Wie sähen die Speicherstände heute aus? Wie sähen der Herbst und Winter für die Verbraucherinnen und Verbraucher aus? Es tut mir leid, Ihre energiepolitische Weitsicht geht gegen null, auch heute, Herr Kollege Merz.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP sowie des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])
Im Juni haben Sie sich dann – ich kann es nicht verschweigen – für ein Eingreifen der NATO starkgemacht, falls Atomkraftwerke in der Ukraine angegriffen werden. Leider, wie andere auch, können Sie sich offensichtlich nicht mehr vorstellen, dass es wenigstens noch die Chance für Diplomatie und Alternativen zum Militärischen geben muss. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen oder Herr Grossi, der Chef der Internationalen Atomenergie-Organisation, haben das jedoch bewiesen. Im Namen meiner Fraktion danke ich den Mitarbeitern der Internationalen Atomenergie-Organisation, die in die Ukraine gereist sind, um zu versuchen, ein Schutzschild gegen weitere Angriffe auf dieses Atomkraftwerk aufzubauen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Merz, Sie meinen, Sie müssten hier einen Kronzeugen – den man ja schätzen kann – mit einem langen Zitat bedienen. Professor Herfried Münkler hat im Jahre 2002 in einer Vielzahl seiner Publikationen und Bücher prognostiziert – ich zitiere –: „Der klassische zwischenstaatliche Krieg ist ein historisches Auslaufmodell“. Ich finde, man sollte sich überlegen, ob wissenschaftliche Vergesslichkeit und Besserwisserei zu einem Zitat dienen, lieber Kollege Merz.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Christian Dürr [FDP])
Deswegen sage ich: Besonnenheit, Klarheit und Kompetenz sind derzeit gefragt und keine Sprücheklopferei. So kann man kein Land regieren. Deswegen haben wir als Koalitionsparteien am Wochenende ein drittes, ein umfangreiches Entlastungspaket auf den Weg gebracht – kraftvoll und gerecht. Wie die beiden anderen Koalitionsfraktionen auch haben wir uns in der Sommerpause inhaltlich damit beschäftigt. Wir haben nicht jeden Tag ein neues Thema durch die Medien getrieben.
(Johannes Schraps [SPD]: Sehr richtig!)
Zumindest haben wir keine Vorschläge zur Körperhygiene hinterlassen.
Stattdessen haben wir in Dresden ein kraftvolles Papier beschlossen. Es war für uns, für diejenigen, die für uns verhandelt haben, wichtig, das auch im Koalitionsausschuss durchzusetzen. Es kommt in den nächsten Wochen darauf an, diese Beschlüsse so schnell wie möglich in die Tat umzusetzen. Da, wo Nachbesserungen erforderlich sind, wird meine Fraktion das Notwendige tun, liebe Kolleginnen und Kollegen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Und ja, in der Tat bedeutet das mehr, als nur ein paar Stellschrauben zu drehen. Es bedeutet auch ein systematisches Eingreifen in das, was sozusagen im Geheimen, im Verborgenen funktioniert, nämlich die geheimen Kräfte des Marktes. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten waren schon beim Thema Wohnungsmarkt anderer Meinung, als wir uns für die Mietpreisbremse eingesetzt haben. Genauso ist es jetzt beim Strommarkt. Es ist richtig, dass wir den europäischen Weg gehen. Aber gleichzeitig gilt: Wenn Europa nicht die Kraft aufbringt, dann werden wir – wie andere Länder in der Europäischen Union auch – ungerechtfertigte Gewinne vom Strommarkt abschöpfen. Und ja, wir wollen Vergleichbares auch für die anderen Teile des Wärmemarkts auf den Weg bringen. Wir bieten unsere Fachlichkeit auch für diese Arbeitsgruppe an, die sich in den nächsten Wochen weitere Vorschläge für diesen Markt überlegen wird.
Meine Damen und Herren, bei diesem Entlastungspaket geht es nicht um Almosen, wie manchmal behauptet wird. Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten war immer tief verankert in unserer Seele, in unserem programmatischen Bekenntnis: Wir wollen keine Almosen. Wir wollen soziale Rechte, die die Bürgerinnen und Bürger am Ende auch einklagen können.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Deswegen schaffen wir ein neues Bürgergeld, meine Damen und Herren, und wir schaffen die Ausweitung des Kreises der Wohngeldberechtigten im Rahmen einer Wohngeldreform, die es verdient, sich dafür einzusetzen.
Zum Schluss will ich darauf hinweisen: Es ist doch nicht falsch, die Menschen, die es unmittelbar brauchen, konkret zu entlasten – auch das haben wir im dritten Entlastungspaket auf den Weg gebracht –: Rentnerinnen und Rentner, Studierende,
(Hermann Gröhe [CDU/CSU]: Habt ihr bisher vergessen!)
die Schülerinnen und Schüler, die bisher nicht davon profitiert haben, die Fachschüler und die Auszubildenden. Das ist wichtig. Dafür, dass das noch in diesem Jahr kommt, stehen wir ein. Es ist gut vorgesorgt, dass das in diesem Haushalt finanziert werden kann.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Und ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist auch ein Angebot an andere Institutionen und Akteure in diesem Land gemacht worden, die sich in dieser Krise nicht verstecken dürfen. Auch das ist etwas, was die DNA der Sozialdemokratie betrifft. Wir alle wollen, dass sie ihren Beitrag leisten. Der Staat geht durch diesen Beschluss jetzt in Vorleistung. Ich appelliere an die Tarifvertragsparteien, an die Unternehmen: Geben Sie den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern Sicherheit! Wir geben die Sicherheit, dass 3 000 Euro im Jahr als Einmalzahlung abgaben- und steuerfrei sind. Das ist ein gutes Angebot in dieser Krise, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir wollen die Freiheit der Menschen vor Furcht und Not. Das ist unser Auftrag und unser Streben zugleich.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Der nächste Redner für die AfD-Fraktion ist Tino Chrupalla.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7538671 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 50 |
Tagesordnungspunkt | Bundeskanzler und Bundeskanzleramt |