Carsten Schneider - Bundeskanzler und Bundeskanzleramt
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Lage unserer Gesellschaft hat der Abgeordnete Seidler gerade in einer beeindruckenden Art und Weise geschildert. Es ist eine sehr angespannte Situation. Sie beginnt im Jahr 2015 mit dem Umgang mit den Geflüchteten. Dann folgen die Coronakrise, insbesondere die Isolation von vielen Menschen, und viele wirtschaftliche Schwierigkeiten; es droht die Spaltung der Gesellschaft. Jetzt haben wir es mit einem Krieg zu tun, einem Angriffskrieg Russlands auf ein Land Europas, auf die Ukraine, knapp 1 000 Kilometer von hier entfernt. All das macht etwas mit unserer Gesellschaft und unserer Bevölkerung. Uns als Bundestag und als Regierung ist die Aufgabe übertragen, in dieser Zeit für Ordnung, für Sicherheit, aber auch für Freiheit zu sorgen. Kollegin Piechotta hat gerade darauf hingewiesen: Es hätte 1989 auch anders ausgehen können. Die Panzer standen in den Garagen. Die sowjetische Armee hat sie oft genug – das ist auch eine Lehre, die viele Ostdeutsche leider 1953 machen mussten – eingesetzt, zum Beispiel 1956 in Budapest oder 1968 in Prag. Aus dieser historischen Erfahrung heraus ist der Kampf um die Freiheit und das Selbstbestimmungsrecht der Völker der entscheidende Impetus, den dieser Deutsche Bundestag bei allen ökonomischen Problemen haben muss.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP und des Abg. Sepp Müller [CDU/CSU])
Das nächste Jahr wird schwer. Jeder von uns weiß das. Keiner hat eine einfache Antwort darauf. Wir als Regierung bemühen uns, sowohl die Versorgungssicherheit mit Energie, mit Gas – auf die Schwierigkeiten, insbesondere auf die Versäumnisse, ist der Bundeskanzler eingegangen –, aber auch mit Rohöl, sicherzustellen. Kollege Müller, wir arbeiten mit Hochdruck an einer Lösung für die Raffinerie in Schwedt, aber auch für den Chemiestandort in Leuna. Ich kann Ihnen so viel sagen – und unterrichte Sie gerne auch unter vier Augen –, dass eine Lösung auf einem guten Weg ist und dass wir unabhängig werden auch von russischem Öl. Wer sagt uns denn, dass Wladimir Putin bis zum 1. Januar 2023 wartet, um auch das Öl durch die Druschba-Leitung abzustellen und um uns zu erpressen? Wir wollen darauf nicht warten. Wir wollen eigene Wege gehen und werden die Versorgungssicherheit in Deutschland, insbesondere in Ostdeutschland, sicherstellen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Sepp Müller [CDU/CSU]: Dann haben Sie uns an Ihrer Seite!)
Diesem Bundestag und dieser Regierung kommt eine große Verantwortung zu, auch den Zusammenhalt in unserem Land zu gewährleisten. Wir werden vor großen Herausforderungen stehen. Viele Menschen werden Angst um ihre Wohnung und ihr Einkommen haben. Viele Handwerkerinnen und Handwerker, die vor 30 Jahren ein Unternehmen gegründet haben, haben jetzt Angst und auch berechtigte Sorge um ihr Unternehmen wegen der Preise; Frau Piechotta hat darauf hingewiesen. Alles, was wir tun können, um dies zu dämpfen und die Situation sowohl durch Wohngeldausweitung als auch über Transfers – direkte Transfers in Höhe von 3 000 Euro von Arbeitgebern zu Arbeitnehmern werden steuer- und abgabenfrei gestellt – sozial zu verbessern, werden wir als Regierung tun. Aber wir werden nicht nur im Stillstand verharren, sondern auch nach vorne investieren. Und Ostdeutschland ist in diesem Haushalt einer der zentralen Punkte; die Regierung hält dort Wort. Wir geben Ostdeutschland eine ganz besondere Priorität, und dieses Land hat von Ostdeutschland unheimlich viel, insbesondere Bayern, Kollege Dobrindt.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Alexander Dobrindt [CDU/CSU]: Kein Widerspruch an dieser Stelle!)
Ich denke an die vielen Ostdeutschen, die nach Bayern gegangen sind, um dort zu arbeiten, die sich dort auch wohlfühlen. Ich denke aber auch an die Energieversorgung: Ich meine, Ihr Ministerpräsident ist nach Mecklenburg-Vorpommern gekommen, um Manuela Schwesig dafür zu danken, dass dort LNG-Terminals gebaut werden, sodass auch die Gasversorgung Bayerns sichergestellt werden kann. Ich glaube, das zeigt, dass es wichtig und gut ist, zu wissen: Wir sind ein Land, und niemand ist etwas Besonderes.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)
Jeder wird wieder ein bisschen auf den Boden der Tatsachen geholt.
Aber wir garantieren auch die wirtschaftlichen Investitionen. In den letzten Jahren haben sich viele große Unternehmen dafür entschieden, sich in Ostdeutschland anzusiedeln. Ich nenne als Beispiele Tesla oder das Batteriewerk CATL in Thüringen. Wir haben die grundsätzliche Entscheidung von Intel, in den Bau einer Fabrik in Magdeburg zu investieren. Dies alles folgt auch der Entscheidung dieser Bundesregierung, das finanziell zu unterstützen. Wir haben gesagt: Das soll nach Ostdeutschland kommen. – Es folgt aber auch der politischen Entscheidung von Landesregierungen, erneuerbare Energien auszubauen. Dass zum Beispiel das Land Brandenburg 95 Prozent seines gesamten Bedarfs mittlerweile aus erneuerbaren Energien deckt, zeigt, dass dies der Weg der Freiheit, des Fortschritts, aber auch der zukünftigen Arbeitsplätze ist; denn sonst hätte sich Tesla niemals dort angesiedelt. Wir unterstützen das, wo immer wir können.
Manchmal lohnt auch der Blick von außen auf unser Land. Ich zitiere die „Financial Times“, dieses lachsfarbene Blatt, das größte Wirtschaftsblatt Europas. Das hat im Juni einen großen Artikel über Ostdeutschland veröffentlicht mit dem Titel „Die überraschende Neubelebung Ostdeutschlands“, ein neuer Blick. Ich möchte auch, dass wir einen neuen Blick auf Ostdeutschland werfen. Wir Ostdeutsche sind nicht diejenigen, die gestützt werden müssen, sondern wir werden diejenigen sein, die dieses Land mitstützen, sowohl was die Energie als auch was Arbeitsplätze und vor allen Dingen was Zukunft betrifft.
Ich durfte den Bundeskanzler vorige Woche zu einem Treffen mit den drei Ministerpräsidenten der Kohleländer in Schwarze Pumpe begleiten. Die betreffenden drei Länder haben einen großen Strukturwandel vor sich. Sie steigen aus der Kohle aus. Ich bin den Kolleginnen und Kollegen, die jetzt noch in den Kraftwerken arbeiten, die Braunkohlekraftwerke auch wieder hochfahren, insbesondere bei der LEAG, dankbar, dass sie diesen Job machen; denn nur das sichert unsere Energieversorgung. Aber wir steigen langfristig aus der Kohle aus, und dieser Bundestag hat beschlossen, den Ausstieg finanziell zu begleiten. 40 Milliarden Euro – auch für NRW – stehen zur Verfügung und werden zum Beispiel in zwei Großforschungseinrichtungen investiert. Das Forschungsministerium wird dazu in der nächsten Zeit eine Entscheidung treffen.
Alles in allem sind wir, glaube ich, auf einem guten Weg. Es sind schwierige, harte Zeiten. Wir müssen sehen, dass wir das Land zusammenhalten; dass wir die Unterschiede erkennen, dass wir sie auch verstehen, aber dass wir beieinanderbleiben.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Das Wort hat der Abgeordnete Johannes Huber.
(Beifall des Abg. Matthias Helferich [fraktionslos])
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7538691 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 50 |
Tagesordnungspunkt | Bundeskanzler und Bundeskanzleramt |