Thorsten RudolphSPD - Finanzen
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Liebe Kolleginnen und Kollegen! 1 Million Euro Schulden – ist das viel? Für die allermeisten Menschen in diesem Land ist das natürlich viel, sie könnten direkt Privatinsolvenz anmelden. Wenn man dagegen der sehr gehobenen Mittelschicht angehört, wie bekanntlich der Oppositionsführer, dann tut 1 Million Euro Schulden zwar weh, aber man kann das zur Not finanzieren und muss keine Privatinsolvenz anmelden. Wenn man Bill Gates ist, dann schaut man kurz, ob nicht irgendwo noch ein Milliönchen in der Schublade liegt.
Die absolute Zahl sagt gar nichts, Kolleginnen und Kollegen. Es kommt darauf an, welches Vermögen und welche Einnahmen jemand hat. Was für Privatpersonen gilt, gilt auch für den Staat. Die absolute Zahl sagt gar nichts. Genau deshalb ist die Schuldenquote, also das Verhältnis von Schulden zum Einkommen – genauer: zum Bruttonationaleinkommen –, die entscheidende Zahl. Die Schuldenquote Deutschlands – Sie wissen das – ist durch die Coronakrise deutlich gestiegen; sie beträgt aktuell rund 69 Prozent.
Das ist der Hintergrund, vor dem die Ampel im vorliegenden Haushaltsentwurf den Etataufwuchs wegen der Coronakrise konsequent wieder zurückführt und 50 Milliarden Euro weniger ausgibt als noch 2022 und sogar 110 Milliarden Euro weniger als 2021. Dennoch kritisiert die Union – schon beim Haushalt 2022 und jetzt wieder; wir haben es gerade gehört – eine angeblich ausufernde Schuldenpolitik und mahnt Einsparungen an. Ausufernde Schuldenpolitik hört sich an, als würde die Schuldenquote weiter steigen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Gegenteil ist der Fall. Erlauben Sie mir, den Monatsbericht der Bundesbank aus dem Juni mit dem Titel „Perspektiven der deutschen Wirtschaft für die Jahre 2022 bis 2024“
(Christian Haase [CDU/CSU]: Auftragsarbeit!)
zu zitieren:
Über den Projektionszeitraum sinkt die Schuldenquote deutlich auf rund 63 Prozent … Hinter dem Rückgang steht vor allem das relativ stark wachsende nominale BIP im Nenner. Trotz der Defizite sinkt dadurch die Quote.
Nochmals: Von 2022 bis 2024 sinkt die Schuldenquote mitten in der Krise um 6 Prozent! 6 Prozent, das sind rund 230 Milliarden Euro.
(Christian Haase [CDU/CSU]: Bei wie viel Wirtschaftswachstum?)
Einhaltung der Schuldenbremse bei hoher Inflation bedeutet eine riesige relative Entschuldung des Staates, und das in nur drei Jahren. Erzählen Sie also bitte nichts von expansiver Finanzpolitik. Ihr Gerede von einer angeblich ausufernden Schuldenpolitik bezeugt allenfalls eines: eine eklatante ökonomische Ignoranz.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die CDU-Fraktion fordert übrigens gleichzeitig, dass der Staat die Inflationsgewinne zurückgibt und einen vollständigen Inflationsausgleich vornimmt. Man weiß nicht so genau, was Sie damit meinen, aber Kollege Middelberg hat jedenfalls am Dienstag noch kritisiert, dass beim Entlastungspaket lediglich Steuermehreinnahmen zurückgegeben würden. Wenn die CDU/CSU sich selbst und ihre markigen Forderungen tatsächlich ernst nehmen würde und einen vollständigen Inflationsausgleich wollte, bei dem der Staat finanziell am Ende weder besser noch schlechter dasteht, die Schuldenquote also unverändert bleibt, müsste sie sofort einen Antrag auf Abschaffung der Schuldenbremse stellen und ein Entlastungspaket von 230 Milliarden Euro vorschlagen. Aber ich gewöhne mich immer mehr daran, dass die CDU/CSU im Deutschen Bundestag sich selber nicht ernst nimmt.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Dr. Lukas Köhler [FDP])
Einerseits eine angeblich ausufernde Verschuldung zu kritisieren und zugleich einen vollständigen Inflationsausgleich zu fordern, wie die CDU/CSU das tut, ist in Zeiten einer hohen Inflation der Selbstwiderspruch als politisches Prinzip. Dazu Forderungen nach Atomkraft und Fracking, die heroische Enthaltung beim Mindestlohn, die Beibehaltung von § 219a, schrille Debatten um gendergerechte Sprache: Die Vision der CDU für dieses Land erinnert schwer an die frühen 80er-Jahre.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Und dann vermisst Herr Merz beim Bundeskanzler Führung, also der Mann, der in seiner eigenen Partei größte Mühe hat, eine kosmetische Mikrofrauenquote durchzusetzen. Mit Verlaub: Da muss ich lachen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler führt dieses Land mit Ruhe und Besonnenheit durch die Krise. In diesen schwierigen Zeiten, in denen sich viele Sorgen wegen des Krieges und der dramatisch gestiegenen Preise machen, ist unsere Botschaft an alle Bürger/-innen dieses Landes: „You’ll never walk alone.“ Es ist deshalb richtig und notwendig, die Bürger/-innen um 65 Milliarden Euro zu entlasten. Es ist richtig, gerade kleine und mittlere Einkommen zu entlasten. Es ist richtig, das Bürgergeld einzuführen, das Wohngeld auszuweiten und das Kindergeld zu erhöhen. Und es richtig, die Rentner/-innen und Studierenden zu entlasten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich persönlich muss sagen: In Anbetracht der volkswirtschaftlichen Auswirkungen, die wir von einem Energiepreisschock und von der allgemeinen Inflation zu erwarten haben – wir wissen, wir bekommen im Oktober das Herbstgutachten und die Steuerschätzung –, kann ich auch sehr gut damit leben und halte es für richtig, dass wir die kalte Progression an dieser Stelle zurückführen.
Kurz und knapp: Dieses dritte Entlastungspaket ist nicht nur richtig wuchtig, es ist zugleich auch sozial ausgewogen und zielgenau. Unser Land ist zusammen stark, diese Koalition ist zusammen stark, der Kanzler führt, und das ist gut so.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort Christian Haase, CDU/CSU-Fraktion.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7538856 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 51 |
Tagesordnungspunkt | Finanzen |