Claudia RaffelhüschenFDP - Arbeit und Soziales
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit zwei Jahren befinden wir uns nun im Krisenmodus: wegen Corona und der Ukraine. Uns beschäftigt nicht nur die exorbitant hohe Inflation, sondern wir stecken auch in einer gravierenden Energiekrise und stehen vor großen demografischen Herausforderungen.
Kein Haushalt ist so unmittelbar von den daraus resultierenden Konsequenzen betroffen wie der Etat des Einzelplans 11. Die Gesamtsumme der Ausgaben für das Jahr 2023 beläuft sich jetzt schon auf rund 163 Milliarden Euro und damit auf rund 2,2 Milliarden Euro mehr als im Haushalt 2022.
Im Gesamtbudget SGB II steht im Haushaltsjahr 2023 zwar im Soll weniger zur Verfügung als im Haushaltsjahr 2022, aufgrund der Resteregelung und des Passiv-Aktiv-Transfers bewegen wir uns aber weiterhin auf hohem Niveau und budgetieren hier bedarfsgerecht.
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales leistet damit seinen Beitrag zur vereinbarten Haushaltskonsolidierung. Wir nutzen die uns zur Verfügung stehenden Mittel noch effizienter, und das ist gerade in den aktuellen Zeiten wirklich wichtig. Im Vergleich zum Jahr 2019, also dem Vor-Corona-Niveau, und unter Einbeziehung der Ausgabereste pro erwerbstätigen Leistungsberechtigten stehen pro Kopf sogar rund 170 Euro mehr zur Verfügung.
Kommen wir jetzt zur Rente. Die Leistungen des Bundes an die Rentenversicherung steigen gegenüber dem Vorjahr deutlich, um 4,1 Milliarden Euro auf knapp 113 Milliarden Euro.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wie viel Prozent sind das vom Brutto?)
Auch wenn es sich bei diesen Ansätzen um Mittel für gesetzliche Pflichtleistungen handelt, so dürfen wir nicht vergessen, dass uns der demografische Wandel vor enorme Herausforderungen stellen wird.
Wir werden diese Welle nicht mit immer mehr Geld aus den Staatskassen brechen können. Das bekräftigt auch der Bundesrechnungshof, der sagt, dass der Automatismus zwischen dem Greifen der Beitragssatzgarantie und der Erhöhung des Bundeszuschusses durchbrochen werden sollte.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Tosender Beifall bei der FDP-Fraktion!)
Das geht aber nur, wenn gesetzlich nachgebessert wird.
Ein Wort noch zum Kurzarbeitergeld. Es ist eines der erfolgreichsten Instrumente im Baukasten des modernen Sozialstaats und hat sich in den Hochphasen der Coronapandemie mit Lockdowns und Ausgangssperren bewährt. Die aktuell geltenden Sonderregeln zum erleichterten Zugang gelten glücklicherweise noch bis zum Ende dieses Jahres, dürfen aber nicht zum Dauerzustand werden. Denn wenn sich die Konjunktur wieder gut entwickelt und der Arbeitsmarkt aufnahmefähig bleibt, dann ist es wichtig, dass die Arbeitskräfte auch dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.
Der Einzelplan 11 ist nicht nur der größte Etat im Bundeshaushalt. Er ist auch derjenige, der in den letzten Jahrzehnten am schnellsten gewachsen ist. Annähernd jeder dritte Euro, den die Erwerbstätigen erwirtschaften, wird hier umverteilt. Da die demografische Krise sowohl die Corona- als auch die Ukrainekrise bei Weitem in den Schatten stellen wird, gilt es in den nächsten Jahren, auch hier strukturell nachzubessern.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Könnten Sie einmal „demografische Krise“ definieren?)
Eines kann man gar nicht oft genug wiederholen und verdeutlichen. Wir werden und müssen die Schuldenbremse im kommenden Jahr wieder einhalten.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Sicher nicht!)
Das ist ein großer liberaler Erfolg und aus Gründen der Generationengerechtigkeit zwingend erforderlich.
(Beifall bei der FDP)
Das ist keine – wie hier gestern im Plenum geäußert – Laune des Finanzministers, sondern Teil unseres Grundgesetzes. Unser Ziel darf es selbstverständlich nicht sein, die Leistungen des Sozialstaats einfach zu kürzen, vielmehr müssen wir dafür sorgen, dass wieder mehr Menschen in Arbeit finden, mehr qualifizierte Arbeitskräfte in unseren Arbeitsmarkt gelangen
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)
und unsere Produktivität, also das Immunsystem unserer Volkswirtschaft, dadurch gestärkt wird. Nur so können wir resilient werden gegenüber demografischen und anderen möglichen Krisen, die noch auf uns warten.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Nun noch ein Wort an die Bundesländer. Ich bin absolut empört darüber, dass der vom Bund mitfinanzierte Härtefallfonds gegen Altersarmut bei jüdischen Zuwanderern auch im Jahr 2023 wieder an den Ländern scheitert. Eine halbe Milliarde Euro hätte der Bund zur Verfügung gestellt. Und was tun die Länder? Sie haben dem BMAS nicht einmal auf die letzte formale Anfrage geantwortet. Auch wir Ampelhaushälter haben mehrfach angemahnt, dass eine schnelle Lösung her muss. Seit Mai sind wir aber lediglich vertröstet worden. Das ist bei diesem wichtigen Thema wirklich tragisch,
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Stephan Stracke [CDU/CSU]: Warum kürzen Sie dann den Ansatz vonseiten des Bundes, wenn es Ihnen so wichtig ist?)
gerade vor dem Hintergrund, dass die Länder gegenüber dem Bund deutliche Einnahmeüberschüsse aufweisen. Die halbe Milliarde wird nun haushalterisch verpuffen.
(Dagmar Schmidt [Wetzlar] [SPD]: So ist es!)
Das geht besser, liebe Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten. Es wäre im Übrigen schön gewesen, wenn Sie den wichtigen Haushaltsdebatten zumindest in Teilen Ihre Präsenz erwiesen hätten.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keiner da!)
Vor uns liegen nun wirklich intensive Wochen der Beratungen. Eines ist in diesem Jahr wirklich fundamental. Gerade weil unsere Volkswirtschaft so stark ist, können wir uns diesen Sozialetat leisten. Das ist gut so. Aber es ist gar nicht auszudenken, wenn Bäckereien und Blumenläden, unser leistungsstarker Mittelstand und die Industrie in den Wintermonaten vorübergehend ihre Arbeit einstellen müssten; denn dann, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wären nicht nur unser Wohlstand, sondern auch unser Sozialetat gefährdet.
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der FDP, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank, Frau Kollegin Raffelhüschen. – Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Gesine Lötzsch, Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7538900 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 51 |
Tagesordnungspunkt | Arbeit und Soziales |