Steffen BilgerCDU/CSU - Ernährung und Landwirtschaft
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Bundesminister Özdemir! Ich mache mir große Sorgen um die Zukunft der Landwirtschaft in\n Deutschland.
(Christina-Johanne Schröder [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, wir auch!)
Denn sie ist bei diesem Bundeslandwirtschaftsminister nicht in guten Händen. Bald ein Jahr nach der Bundestagswahl zeigt sich: Die Politik, die\n Minister Özdemir durchsetzen will, hat in Wahrheit weder in Ihrer Koalition noch in diesem Haus eine Mehrheit. Seit Amtsantritt versuchen Sie, Herr Minister\n Özdemir, dies mit gefälliger Rhetorik zu verschleiern – das haben wir gerade auch so ein bisschen erlebt –; aber jetzt, mit den fortschreitenden Folgen des\n russischen Angriffskriegs auf die Ukraine gerade auch im Bereich der Ernährungs- und Landwirtschaftspolitik, gelingt Ihnen dies immer weniger. In der Krise ist\n dieser Minister als Anwalt der Landwirte, der Gärtner, der Weinbauern, der Obstbauern, der Bäcker, als Anwalt der Ernährungsbranche insgesamt leider ein\n Totalausfall. Das gilt auch für die gesamte Bundesregierung.
(Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen mal lesen! Da ist doch gerade etwas geregelt worden! Lesen\n bildet!)
Mit Herrn Habeck und seinen Ausführungen zum Bäckereigewerbe in Zeiten der Energiekrise haben wir uns dieser Tage schon ausführlich beschäftigt.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Entlastungspaket für energieintensive Unternehmen!)
Aber schauen wir uns jetzt einmal den Beschluss des Koalitionsausschusses vom Sonntag an. Auch da steht reichlich wenig drin, was unseren\n produzierenden Betrieben, dem Mittelstand insgesamt etwas Zuversicht für die kommenden Herausforderungen geben könnte.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Stand jetzt, müssen wir festhalten: Sie tun nichts, um das Sterben der Traditionsbäckerei in der Dorfmitte zu verhindern. Sie tun nichts, um die\n Betriebsaufgabe des familiengeführten Gärtnereibetriebes abzuwenden. Sie tun nichts, um die Bauernfamilie beim Umgang mit all den aktuellen Herausforderungen\n vom Stallumbau bis zur Energiekostenexplosion zu unterstützen.
Herr Minister, vor zehn Tagen bei der Vorstellung des Ernteberichts in Ditzingen – meinem Wahlkreis, Glückwunsch zur guten Ortswahl! – haben Sie\n gesagt, dass es Scharfmacher gebe, die die globale Ernährungssicherung als Vorwand nutzen würden, den Klima- und Artenschutz in der Landwirtschaft mit falschen\n Tatsachenbehauptungen und mit falschen Versprechen zurückzufahren. Wen meinen Sie, wenn Sie von „Scharfmachern“ sprechen? Die FDP, die Landwirtschaftsminister\n der Länder, den Bauernverband, uns, die EU-Kommission, also so ziemlich alle anderen?
Die globale Ernährungssicherung ist eine große Aufgabe, der wir uns angesichts der Folgen des Ukrainekrieges zu stellen haben. Deshalb war es auch\n richtig, dass Sie bei der Frage der Flächenstilllegung nachgegeben haben. Im nächsten Jahr, 2023, sollten 4 Prozent der Ackerflächen stillgelegt werden. Das\n wird nun nicht passieren. Alles andere wäre auch wirklich unverantwortlich gewesen – angesichts der Kriegsfolgen, angesichts der Hungerkrisen, die in vielen\n Regionen der Welt jetzt schon Tatsache sind und in vielen weiteren Regionen drohen. Ihre Entscheidung kam spät, fast zu spät für viele Betriebe. Aber gut, dass\n sie noch getroffen wurde.
Aber auch für die Zukunft stellt sich die Frage: Kann es sein, dass wir in Deutschland und Europa immer weniger Nahrungsmittel produzieren, frei nach\n dem Motto: „Wir haben ja genügend Geld, um uns auf den Weltmärkten mit allem einzudecken“? Ist das verantwortungsbewusst anderen Regionen der Welt gegenüber? Diese Debatte, meine Damen und Herren, müssen wir führen, und da müssen auch manche Bestandteile europäischer Agrarpolitik auf den Prüfstand. Diese Debatte\n sollten Sie mitgestalten, und zwar im Sinne der Landwirtschaft, anstatt Ihre Gesprächspartner, die nicht auf der grünen Linie sind, zu diskreditieren.
Ich nenne ein paar aktuelle Beispiele für Vorhaben auf europäischer Ebene, die ihre Gründe haben, aber vielleicht nicht ganz zu Ende gedacht sind, so\n die Verordnung zur Wiederherstellung der Natur. Diese Verordnung würde massive Produktionseinschränkungen für die Land- und Forstwirtschaft bedeuten. Die\n Industrieemissionsrichtlinie würde zukünftig zehnmal so viele Tierhaltungsbetriebe in Deutschland erfassen. Da drohen massive zusätzliche Auflagen und ein\n Ausufern der Kosten.
(Christina-Johanne Schröder [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], an die CDU/CSU gewandt: Da müsst ihr mal klatschen! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Da ist die\n Union nicht so gut!)
Und dann die EU-Pflanzenschutzverordnung. Niemand hat ja etwas dagegen, wenn der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln reduziert wird: da, wo es Sinn\n macht, da, wo es möglich ist. Es gibt aber Gartenbaubetriebe, es gibt Weinbau, deren Existenz gefährdet ist, wenn pauschale und überzogene Reduktionsziele in\n einem viel zu weit gefassten Gebiet durchgesetzt werden sollen. Das darf so nicht kommen, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU – Marianne Schieder [SPD], an die CDU/CSU gewandt: Gott sei Dank! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Geht!)
Meine Aufforderung an Sie: Klären Sie diese Fragen in der Koalition! Klären Sie diese Fragen in der Bundesregierung! Aber klären Sie auch das so\n zentrale Thema Tierwohl und dessen Finanzierung! Dazu haben wir gerade eben schöne Worte gehört.
Heute hat die Borchert-Kommission getagt. Es ist gut, dass die Borchert-Kommission ihre Arbeit fortsetzen möchte. Sie sollte allerdings aufrütteln,\n dass die Kommissionsmitglieder angekündigt haben, so lange zu pausieren, bis die Koalition endlich die Frage der Finanzierung des Umbaus der Nutztierhaltung\n gelöst hat. Wir alle fragen uns: Wofür steht die Koalition? Wir warten dringend auf ein stimmiges Gesamtkonzept, und da lässt dieser Haushaltsentwurf erneut\n alles im Unklaren. Klären Sie endlich diese Frage. Alle warten darauf. Das geht an die gesamte Koalition, auch an die FDP.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Die traurige Zwischenbilanz ein Jahr nach der Bundestagswahl lautet: kein frisches Geld für die Investitionen in den Stallumbau, keine Finanzierung\n der laufenden Kosten und ein Gesetzentwurf zur Tierhaltungskennzeichnung, der viel mehr Fragen offenlässt, als er Antworten gibt.
Herr Minister Özdemir, für Ihr zukünftiges Wirken will ich Ihnen zum Schluss noch ein Thema ans Herz legen, das bislang bei Ihnen eigentlich keine\n Rolle spielt. Sie haben vorhin das Stichwort „Innovationen“ genannt. Aber auch, wenn man sich den Haushalt anschaut, spielt es viel zu wenig eine Rolle:\n Innovationen, neue Technologien. Nur wenn Sie hier Ihre Scheuklappen ablegen, dann können Sie glaubhaft für eine nachhaltige Landwirtschaft eintreten. Wir\n brauchen neue, robuste Pflanzen, die gegen Hitze, gegen Dürre widerstandsfähiger sind, und es ist möglich, Ernährung zu sichern und gleichzeitig Umwelt und\n Biodiversität zu schützen. Aber dafür braucht es Mut, auch einmal neue Wege zu gehen, Mut, den ich bislang bei Ihnen vermisse.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7538919 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 51 |
Tagesordnungspunkt | Ernährung und Landwirtschaft |