22.09.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 54 / Zusatzpunkt 2

Jakob BlankenburgSPD - Änderung des Atomgesetzes (Gesetzentwurf CDU/CSU)

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Nachdem die Union in den letzten Wochen und Monaten schon intensiv für einen Weiterbetrieb der Atomkraftwerke geworben hat, liegt uns nun auch ein entsprechender Gesetzentwurf zur Änderung des Atomgesetzes vor. Die Kolleginnen und Kollegen der Union fordern darin einen Weiterbetrieb der drei noch am Netz befindlichen Reaktoren. Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland sollen bis 2024 weiterlaufen. Als Argument verweisen sie auf die Sicherstellung der Stromversorgung angesichts der unbestritten angespannten Versorgungssituation in Deutschland

(Beatrix von Storch [AfD]: Hört! Hört!)

und in unseren europäischen Nachbarstaaten. So weit, so bekannt.

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Schöne Zusammenfassung! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört! – Sehr gut!)

Aber was neu ist an diesem Gesetzentwurf und worüber auch Sie gerade eben weniger laut gesprochen haben, sind drei Punkte, und die gehen wir jetzt mal gemeinsam durch.

(Friedrich Merz [CDU/CSU]: Oberlehrer!)

Punkt eins. Die Sicherheit der Atomkraftwerke spielt für die Union offenbar eine eher untergeordnete Rolle. Üblicherweise werden die Atomkraftwerke alle zehn Jahre einer intensiven Sicherheitsüberprüfung unterzogen. Diese Sicherheitsüberprüfungen wären zuletzt 2019 fällig gewesen,

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Was will denn der Minister? Keine Sicherheitsüberprüfung!)

wurden dann aber ausgesetzt mit der Bedingung, dass die Atomkraftwerke Ende dieses Jahres abgeschaltet werden. Die letzte solche Überprüfung liegt also schon 13 Jahre zurück – eigentlich Grund genug, die Sicherheitsüberprüfung bei einer geplanten Laufzeitverlängerung sofort anzugehen. Das zeigen auch die aktuellen Mängel wie das Ventilleck am AKW Isar 2.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Das ist überhaupt nicht sicherheitsrelevant! Haben Sie den Gesetzentwurf gelesen?)

Aber der Gesetzentwurf der Union sieht stattdessen vor, dass das Ergebnis einer Sicherheitsüberprüfung erst bis Ende 2023 vorgelegt werden soll, also erst in über einem Jahr.

(Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist irre! – Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Die Sicherheit muss täglich gewährleistet werden! Und das ist sie auch!)

Punkt zwei. Die Union spricht offiziell über einen Weiterbetrieb der Atomkraftwerke bis 2024, also zwei Jahre länger als geplant.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Schauen wir aber in den Gesetzentwurf, dann zeigt sich, dass sich die Union eine Hintertür für einen deutlich längeren Weiterbetrieb offenhält.

(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Scheunentor!)

Die Bundesregierung soll bis Ende August 2024 einen Bericht darüber vorlegen, ob die Energieversorgungskrise anhält. Sollte das der Fall sein, dann will die Union die Atomkraftwerke noch länger laufen lassen.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: Was wollen Sie denn?)

Aber – und jetzt wird es richtig interessant – die Union will die Entscheidung über einen Weiterbetrieb der Atomkraftwerke nicht nur von der Energiesicherheit abhängig machen, wie wir gerade eben gehört haben;

(Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ah!)

sie will sich zum einen auch die Preisentwicklung anschauen, zum anderen aber auch die Einhaltung der Klimaziele miteinbeziehen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jens Spahn [CDU/CSU]: Ja! – Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Und was machen Sie?)

Gerade das ist bemerkenswert. Bleiben die Energiepreise also hoch und sehen wir in zwei Jahren höhere CO2-Emissionen als erwartet, dann hätte das ein noch längeres Weiter-so bei der Atomkraft zur Folge.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Bravo, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union! Die eigenen Versäumnisse beim Ausbau der erneuerbaren Energien und beim Klimaschutz aus den letzten Jahren werden dann also zur Begründung für die weitere Notwendigkeit der Atomenergie genutzt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Katja Mast [SPD]: Das war schon immer so!)

Das bringt mich dann auch direkt zu Punkt drei, dem Märchen vom Beitrag der Atomenergie zum Klimaschutz. Dass die AfD-Fraktion dieses Märchen gern erzählt, das wissen wir bereits. Aber nun springt die Union hier offenbar auch auf diesen Zug mit auf: Sie verweisen in Ihrem Gesetzentwurf explizit auf den wichtigen Beitrag des verlängerten Betriebs der AKW zur Weiterverfolgung der nationalen Klimaziele.

(Zuruf des Abg. Dr. Rainer Kraft [AfD])

Aber dabei ist klar, dass Atomenergie keineswegs CO2-neutral ist.

(Beifall der Abg. Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

– Ja, da darf man ruhig mal klatschen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bei der Stromproduktion selbst werden zwar kaum Treibhausgase freigesetzt; vor und nach der Stromproduktion ist das aber anders.

(Jens Spahn [CDU/CSU]: Also lieber Ölkraftwerke!)

Betrachtet man den gesamten Lebensweg der Atomenergie vom Uranabbau – da können Sie auch gerne mal die Freundinnen und Freunde in Sachsen fragen, wie sie das bei der Wismut damals fanden –

(Beatrix von Storch [AfD]: Wolkenkuckucksheim!)

bis hin zur Endlagerung ist die Klimabilanz von Atomkraftwerken verheerend, von den Gefahren des radioaktiven Atommülls ganz zu schweigen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Geht es uns also um klima- und umweltfreundliche Energieerzeugung, bleibt deshalb nur ein wirklich nachhaltiger Weg, und das ist der Ausbau der erneuerbaren Energien.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Da, liebe Union, müssen Sie sich die Frage gefallen lassen, ob Sie unter dem Deckmantel der schon wieder aufkeimenden Atomdebatte mit Ihrer Verhinderungs- und Verzögerungspolitik der letzten Jahre fortfahren wollen.

(Thorsten Frei [CDU/CSU]: So sind auch alle Ziele eingehalten!)

Nicht umsonst sieht der zweite Stresstest der Übertragungsnetzbetreiber im schlimmsten – ich wiederhole: im schlimmsten – Szenario nur im Süden Deutschlands das Risiko temporärer Strommangelsituationen. Hier wurde der Ausbau der erneuerbaren Energien in den letzten Jahren mit Instrumenten wie der 10‑H-Regel im Bereich Windkraft systematisch verhindert.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: In Baden-Württemberg! – Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Haben Sie überhaupt schon wahrgenommen, dass wir die reformieren?)

Mit den immer gleichen Debatten über die Rückkehr zur Atomenergie verschwenden wir wertvolle Zeit auf dem Weg zu einer wahrlich kostengünstigen, umweltfreundlichen und emissionsarmen Energieerzeugung, zu einer Energieerzeugung auf Basis von erneuerbaren Energien.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE])

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Union, lassen Sie uns gemeinsam die Rahmenbedingungen für erneuerbare Energien verbessern, statt die Atomkraft wiederzubeleben! Dafür liegen genug Vorschläge auf dem Tisch. Gemeinsam können wir es anpacken.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Das machen wir auch! Aber wir brauchen die Kernenergie als Brücke!)

Nächster Redner: für die AfD-Fraktion Karsten Hilse.

(Beifall bei der AfD – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat bestimmt wieder selbst gerechnet!)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7545918
Wahlperiode 20
Sitzung 54
Tagesordnungspunkt Änderung des Atomgesetzes (Gesetzentwurf CDU/CSU)
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