Helmut KleebankSPD - Änderung des Atomgesetzes (Gesetzentwurf CDU/CSU)
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Dr. Weisgerber, wenn Sie eines mit Ihrem Vergleich gerade geschafft haben, dann das: Sie haben unsere bayerischen Kolleginnen und Kollegen ordentlich auf die Palme gebracht; denn Ihre Zahlen waren nicht bezogen auf Quadratmeter, sondern auf die gesamte Landesfläche. Da macht es dann doch einen ordentlichen Unterschied, wen man mit wem vergleicht;
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
abgesehen davon, dass wahrscheinlich auch in Bayern nicht alle Vergleiche gut ankommen, wie ich gehört habe.
(Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Das sind aber die richtigen Zahlen! – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Nicht alles, was ein Vergleich ist, hinkt!)
Ich will auf zwei Aspekte eingehen. Der vorliegende Gesetzentwurf, das vorliegende Papier ist nämlich an sehr vielen Stellen vollkommen unzureichend.
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Dann macht ein besseres! – Steffen Bilger [CDU/CSU]: Wo sind denn Ihre Vorschläge?)
Sie gehen auf zahlreiche wesentliche Aspekte in keiner Weise ein. Da ist für mich erstens die Frage: Helfen diese Maßnahmen überhaupt, durch den Winter zu kommen? Der zweite Aspekt ist: Welche Konsequenzen, welche notwendigen Folgerungen gibt es eigentlich aus der von Ihnen vorgeschlagenen zweijährigen Verlängerung?
Ich will gleich einen Punkt ein wenig vertiefen, der schon angeklungen ist – es lohnt sich, noch einen Moment darüber nachzudenken –, nämlich die Frage der Brennstäbe, des Brennstoffes. In Ihrem gesamten Papier kommt dieser Begriff nicht ein einziges Mal vor; Sie umschiffen ihn. Wahrscheinlich wissen Sie, dass das sozusagen die Achillesferse Ihres Vorschlages ist. Ich weiß, jetzt wird kommen: „Man hätte hier vor sechs Monaten …“
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Richtig!)
Über die Lieferzeit ist schon gesprochen worden: 12 bis 15 Monate, manche sagen: bis 18 Monate.
(Jens Spahn [CDU/CSU]: 6 Monate!)
Es kommt aber Folgendes hinzu – darüber sollten Sie auch noch einmal nachdenken –: In allen AKWs werden die Brennstäbe im Wechsel getauscht. Das heißt, Brennstabwechsel stehen nicht nur bei Isar 2 an, sondern auch bei den anderen Kraftwerken. Das heißt, Ihr Vorschlag beinhaltet im Kern die Nachbestellung von Brennstäben,
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Ja!)
die dann wieder eine Verwendungsdauer von vier bis acht Jahren haben, die man im Anschluss natürlich nicht nach zwei Jahren einfach entfernt. Sie machen sozusagen die Hintertür für die unbegrenzte Verlängerung der Atomkraft auf. Das lehnen wir ab.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Das ist überhaupt nicht wahr! Haben Sie unseren Gesetzentwurf gelesen? – Nina Warken [CDU/CSU]: Nur Ausreden! Alles Ausreden!)
– Den habe ich gelesen. – Auf die Frage der Kosten für die Steuerzahler gehen Sie nicht ein. Da kann man sagen: Das ist angesichts der Lage weniger wesentlich; das ist richtig.
Aber Sie gehen auf das Thema Sicherheitsüberprüfung ein: Sie verlängern die Frist. Das ist okay, das kann man so machen. Damit ergibt sich ein anderer Aspekt, den Sie nicht bedacht haben, nämlich das Thema Stillstandszeiten. Auch die deutschen Kraftwerke haben Stillstandszeiten von rund 30 Prozent. Das bedeutet auf drei AKWs heruntergerechnet: Eines steht immer still.
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Das ist doch Quatsch!)
Egal was Sie tun: Eines wird immer stillstehen, entweder durch Reparaturen oder durch Sicherheitsüberprüfungen oder durch unvorhergesehene Notfälle. Von daher: Auch da funktioniert Ihr Plan nicht.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Noch ein Wort zum Stresstest. Der Stresstest ist eine theoretische Untersuchung, eine Berechnung unter bestimmten Annahmen: Was passiert, wenn? Auch da lohnt es sich, noch einmal hinzuschauen. Der Strom fehlt im Wesentlichen im Süden. Wir sind darauf schon eingegangen: Ausbau der Netze und Erneuerbarenausbau; die Zahlen von Frau Dr. Weisgerber ändern daran überhaupt nichts.
Vielleicht ist es noch interessant, zu wissen: Im ersten Halbjahr dieses Jahres gingen bundesweit 238 Windräder in Betrieb. Raten Sie mal, wie viele davon in Bayern: Genau drei! Herzlichen Glückwunsch, Herr Söder!
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Wie viel in Baden-Württemberg?)
Der Stresstest besagt, dass es theoretisch für wenige Stunden ein Problem gibt. Ich finde es total spannend, dass in Frankreich bis zu 32 AKWs von insgesamt weit über 50 vom Netz genommen werden mussten, ohne dass wir Netzschwierigkeiten bekommen haben. Das europäische Stromnetz funktioniert offensichtlich gut.
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Ja, weil wir Gas verstromen!)
– Genau, wir haben Gas verstromt.
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Und das finden Sie gut, oder was?)
– Nein, da kommen wir zu dem Punkt. – Denn die allermeisten Gaskraftwerke, die Strom erzeugen, produzieren gleichzeitig auch Wärme. Und diese können wir im Winter gar nicht abschalten. Die werden wir im Winter auch gar nicht abschalten, weil wir damit die Fernwärme sicherstellen. Das heißt, Ihr Argument, damit könne tatsächlich der Strompreis sinken, zieht nicht. Durch die Kopplung funktioniert das nicht. Deswegen ist es richtig, dass wir versuchen, das zu entkoppeln.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Vielleicht nur ganz kurz – auch darauf ist eingegangen worden –: Für den kommenden Winter sind die notwendigen und richtigen Maßnahmen aus meiner Sicht absolut in der Pipeline. Wir haben die Gasspeicher gefüllt, obwohl wir Gasstrom auch exportieren, zum Beispiel nach Frankreich. Trotzdem ist es gelungen, die Speicher zu über 90 Prozent zu füllen.
Das LNG-Thema ist schon genannt worden. Wir haben genau das, was Sie schon angesprochen haben, auf dem Weg, nämlich den Booster für die erneuerbaren Energien, für die Biogasanlagen, für die Windkraft – auch das ist schon benannt worden –, für die Photovoltaik. Das alles flankieren wir auch noch durch drei Entlastungspakete für die Bürgerinnen und Bürger.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Judith Skudelny [FDP])
Für den nachfolgenden Winter – Sie adressieren ihn ja auch – wird die Situation aus meiner Sicht eine völlig andere sein. Dank der LNG-Lieferungen werden wir das Thema Strom so nicht mehr haben;
(Steffen Bilger [CDU/CSU]: Aha!)
da bin ich mir ganz sicher. Wir haben eine höhere Verfügbarkeit von Kohlekraftwerken. Auch wenn der endgültige Netzausbau sicherlich nicht geschafft sein wird, so werden doch einige Schnittstellen im sicherlich noch unvollständigen europäischen Stromnetz geschlossen werden können. Das heißt, den übernächsten Winter zu adressieren, geht viel zu weit.
Deswegen ist aus unserer Sicht, aus meiner Sicht das, was die Bundesregierung vorhat, die Bereithaltung, völlig richtig. Da werden wir mittel- bis langfristig erkennen können, also einige Wochen vorher,
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Am 10. Oktober werden wir das erkennen!)
wie die Wetterlage sich entwickelt, wie die Pegelstände der Flüsse sich entwickeln, wie die Füllstände der Kohlelager sich entwickeln, wie es in Frankreich mit Atomkraftwerken weitergeht. So werden wir das machen. Deswegen ist Ihr Gesetzentwurf leider keine Lösung.
Danke schön.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Schade!)
Vielen Dank, Herr Kollege Kleebank. – Nächster Redner ist Klaus Wiener, CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7545930 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 54 |
Tagesordnungspunkt | Änderung des Atomgesetzes (Gesetzentwurf CDU/CSU) |