Franziska KerstenSPD - Nachhaltige Verwendung von Pflanzenschutzmitteln
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In dieser Zeit permanenter Krisen ist eines wichtig: Besonnenheit. Und ich rate zu Besonnenheit und Sachlichkeit auch in dieser Debatte.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP und der Abg. Ina Latendorf [DIE LINKE])
Sehen wir uns das Thema ganz in Ruhe an. Pflanzen können nur die Basis für eine ausreichende und gute Ernährung sein, wenn sie gesund sind. So gibt es die Humanmedizin und die Veterinärmedizin und seit hundert Jahren auch das wissenschaftliche Fachgebiet der Phytomedizin. Selbstverständlich ist die Phytomedizin auch integraler Bestandteil des „One Health“-Ansatzes, der seit unseren Pandemieerfahrungen global und national deutlich vorangebracht werden muss.
Pflanzenschutz ist vielseitig. Neben verschiedenen agronomischen kulturtechnischen Maßnahmen – Stichwort „Hacken“ – und biologischen Verfahren – Stichwort „Nützlinge“ – ist ein Teilgebiet die Anwendung chemischer Substanzen. – Es wäre schön, wenn Sie von der AfD ein bisschen zuhören, vielleicht lernen Sie noch was.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Unser Ziel als Koalition ist eine deutliche Stärkung des integrierten Pflanzenschutzes, der all diese Maßnahmen zusammenführt und die Anwendung chemischer Pflanzenschutzmittel auf das absolut notwendige Maß beschränkt. Wir wollen den Pflanzenschutz so gestalten, dass unannehmbare Nebenwirkungen für Umwelt, Gesundheit und Biodiversität vermieden werden. Außerdem wollen wir Alternativen zum chemischen Pflanzenschutz stärken. Hierzu gehören auch die Pflanzenzüchtung und natürlich die Digitalisierung.
Dass wir auf dem richtigen Weg sind, hat auch die Zukunftskommission Landwirtschaft bestätigt. Ich erinnere gern noch einmal an die bahnbrechende bisherige Arbeit der Kommission, die erstmals unterschiedliche Akteure von verschiedenen Berufsverbänden und Umweltorganisationen an einen Tisch brachte. In ihrem Abschlussbericht ist ausgeführt:
Zur … Zukunftsfähigkeit der Landwirtschaft gehört auch, die Auswirkungen von Pflanzenschutzmaßnahmen auf Umwelt, Biodiversität sowie menschliche Gesundheit … weiter zu verringern.
Ziele sind resiliente Agrarsysteme und integrierter Pflanzenschutz, einhergehend mit Forschung und Innovation. Da liegen wir in unserem Koalitionsvertrag offensichtlich ganz richtig.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Stephan Thomae [FDP])
Auch auf europäischer Ebene wird seit Langem an einer wirksamen Reduktion des Einsatzes von chemischen Pflanzenschutzmitteln gearbeitet. Das ehrgeizige Ziel der Farm-to-Fork-Strategie der EU ist hier eine Halbierung bis 2030. Um dies zu erreichen, liegt nun ein Verordnungsentwurf auf dem Tisch. Hiernach sollen der Einsatz und das Risiko von chemischen Pflanzenschutzmitteln sowie der Einsatz gefährlicherer Pflanzenschutzmittel um 50 Prozent reduziert werden. Außerdem soll der chemische Pflanzenschutz in sogenannten empfindlichen Gebieten komplett verboten werden.
Bei einer starren Umsetzung dieser Pläne würde Deutschland im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten deutlich benachteiligt. Das liegt daran, dass wir in unserem Land weitaus mehr Schutzgebiete und Schutzgebietskategorien aufweisen als andere Mitgliedstaaten. Wir dürfen die Landwirtschaft nicht an die Wand fahren. Aber das will auch niemand. Wichtig ist, dass auch an Ackerbaustandorten in Schutzgebieten eine Bewirtschaftung unter Beachtung der wirklich guten Grundsätze möglich bleibt.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Daher bin ich froh, dass unser Bundeslandwirtschaftsminister diese Problematik beim letzten Treffen mit seinen Amtskollegen in Prag offen angesprochen hat und sie nun intensiv verhandelt wird.
Zum anderen müssen in diesem Prozess auch die bisherigen Reduktionsleistungen berücksichtigt werden. Das sind in den Mitgliedstaaten bekanntlich sehr unterschiedliche Werte. Das bisher Erreichte wird europaweit mit Harmonisierten Risikoindikatoren abgebildet. Im Zeitraum von 2012 bis 2020 sank der HRI 1 in unserem Land von 104 auf 68 Punkte. Es wurden also rund 35 Prozent weniger Pflanzenschutzmittel eingesetzt. Der Verordnungsentwurf sieht hier eine Anrechnungsmöglichkeit vor. Daher werden wir es noch konkretisieren müssen.
Im Übrigen wird der Verzicht auf den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln auch über die Gemeinsame Agrarpolitik gefördert. Ab 2023 sieht die Öko-Regelung 6 einen Verzicht auf chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel auf Ackerland und Dauerkulturen vor. Dafür werden zunächst 130 Euro pro Hektar gezahlt. Vielleicht sollte man diese Summe noch einmal erhöhen.
Natürlich ist uns allen klar: Der Verzicht auf Pflanzenschutzmittel ist teilweise mit erheblichen Ertragsverlusten verbunden. Im Durchschnitt liegen sie je nach Ackerkultur zwischen 15 und 50 Prozent; dies hat eine Studie des Thünen-Instituts vor knapp einem Jahr festgestellt. Daher kann die Reduktion des Pflanzenschutzmitteleinsatzes nur mit Augenmaß erfolgen. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund von Russlands Krieg gegen die Ukraine. Niemand möchte in dieser Situation ernsthaft unsere Ernährungssituation gefährden. Das wird auch in anderen Mitgliedstaaten so diskutiert. Die aktuellen Signale aus Brüssel deuten daher auf einen längeren und intensiven Diskussionsprozess hin.
Interessant finde ich in diesem Zusammenhang auch die Idee einer Quote für den Pflanzenschutzmitteleinsatz, den jetzt die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft ins Spiel gebracht hat. Hier könnten – ähnlich wie bei den CO2-Emissionen – zugeteilte Quoten zwischen den Betrieben gehandelt werden und so stufenweise zur Erreichung des Reduktionsziels beitragen.
Meine Herren und Damen von der Unionsfraktion, Sie sehen, die Koalition hat Ihre Bedenken im Blick und Lösungsoptionen entwickelt.
(Albert Stegemann [CDU/CSU]: Der Witz des Tages!)
Daher können wir auf eine Stellungnahme nach Artikel 23 des Grundgesetzes hier gut verzichten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Nun noch einige Worte zum Antrag der AfD. Eine Reduktion des Pflanzenschutzmitteleinsatzes ist Konsens innerhalb der EU; wir gehen jetzt in die Phase der konkreten Ausgestaltung. Die geplante Verordnung nicht weiter zu verfolgen, wie Sie es vorschlagen, ist völlig unsinnig. Die gemeinsame europäische Strategie zum Pflanzenschutz ist ja genau unser Ziel. Ohne eine entsprechende Verordnung können wir dieses Ziel aber nicht erreichen.
Regelmäßige Fortbildung für alle an der Pflanzenschutzmittelzulassung Beteiligten gibt es schon heute. Sie unterstellen den Verantwortlichen in den Fachbehörden also indirekt Inkompetenz.
(Zuruf von der AfD: Ja, tun wir!)
Ich war Vizepräsidentin des Umweltbundesamtes und habe an Zulassungsverfahren mitgearbeitet. Sie können davon ausgehen, dass wir das mit sehr hohen wissenschaftlichen Standards gemacht haben.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich empfinde Ihre Unterstellung als Anmaßung und kann sie nur strikt zurückweisen. Selbstverständlich wird intensiv an einer noch besseren Koordinierung der Aktivitäten aller an der Zulassung beteiligten Behörden gearbeitet.
Ich kann Sie an dieser Stelle nur noch einmal auffordern: In der jetzigen Situation müssen wir besonnen und mit Augenmaß diskutieren und handeln. Das sind wir den Menschen und den Landwirtinnen und Landwirten in unserem Land schuldig.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Frank Rinck ist der Redner für die AfD-Fraktion.
(Beifall bei der AfD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/7546092 |
Wahlperiode | 20 |
Sitzung | 54 |
Tagesordnungspunkt | Nachhaltige Verwendung von Pflanzenschutzmitteln |