23.09.2022 | Deutscher Bundestag / 20. WP / Sitzung 55 / Tagesordnungspunkt 28

Christos PantazisSPD - Finanzielle Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! „ Eine Krise jagt die nächste“ – selten hat eine Redewendung unsere Zeit so treffend beschrieben wie diese. Coronapandemie, Klimawandel und nicht zuletzt der russische Angriffskrieg mit der Folge drastisch gestiegener Energiepreise und hoher Inflationsraten haben zu einem Konjunktureinbruch in Deutschland geführt.

(Martin Sichert [AfD]: Ob das vielleicht an der Regierung liegt?)

Diese Entwicklung setzt auch die gesetzliche Krankenversicherung unter Druck. Seit Jahren wachsen hier die Ausgaben mit jährlich rund 4 Prozentpunkten spürbar stärker als die Einnahmen. Wesentlicher Grund dafür ist ein anhaltender Reformstau. Infolgedessen sehen wir uns mit einem milliardenschweren Defizit konfrontiert, das allein im nächsten Jahr 17 Milliarden Euro betragen soll – 17 Milliarden! Das ist genau die Zahl des Tages, über die wir im Rahmen der heutigen ersten Lesung des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes beraten, und die Lücke, die es im kommenden Jahr kurzfristig zu schließen gilt.

Herr Minister, ich will in diesem Zusammenhang nicht verhehlen, dass ich es Ihnen hoch anrechne, Ihren Amtsvorgänger hierfür nicht zu kritisieren. Aber zur Wahrheit gehört auch: Ihr Vorgänger im Amt hat seine Hausaufgaben nicht gemacht und Ihnen dieses Defizit vererbt.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Ihr Vorgänger im Amt hat es trotz wirtschaftlich guter Rahmenbedingungen nicht vermocht, Strukturreformen entschieden anzugehen, sondern sich vielmehr auf populäre, allerdings teure Leistungsreformen konzentriert, die uns jetzt auf die Füße fallen. Deswegen, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Union, wirkt es, gelinde gesagt, etwas wohlfeil, nun aus der Opposition heraus vehement Strukturreformen einzufordern und nach Jahren der Blockade sich unsere nachhaltigen Finanzierungsvorschläge anzueignen.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, obwohl wir die Finanzen der gesetzlichen Krankenkassen in einem sehr schwierigen Zustand vorgefunden haben – das ist vorhin schon erläutert worden –, bekennt sich die Fortschrittskoalition auch weiterhin – ich zitiere gern aus der Koalitionsvereinbarung – „zu einer stabilen und verlässlichen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung“. Das von der Bundesregierung hier vorgelegte GKV-Finanzstabilisierungsgesetz begrüßen wir von der Stoßrichtung her; denn ohne kurzfristig greifende Maßnahmen müssten die Zusatzbeiträge in den kommenden Jahren von derzeit durchschnittlich 1,3 Prozent um rund 1 Prozentpunkt steigen. In Anbetracht ansteigender Energiepreise sowie hoher Inflationsraten wäre das für die wirtschaftliche Entwicklung schlichtweg Gift und könnte für private Haushalte womöglich die Grenze der Belastbarkeit überschreiten.

Insofern sieht der vorliegende Gesetzentwurf vor, die Lasten solidarisch auf mehrere Schultern zu verteilen. So sollen Beitragsreserven von Kassen und Gesundheitsfonds herangezogen, aber auch ein erhöhter Bundeszuschuss sowie ein Darlehen an die GKV gewährt werden. Im Rahmen von Effizienzverbesserungen werden neben der Pharmaindustrie auch Apotheken, Zahnärztinnen und Zahnärzte sowie Ärztinnen und Ärzte ihren Beitrag zur Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung leisten müssen. Diese Lastenverteilung ermöglicht es, die Zusatzbeiträge lediglich in einem moderaten Rahmen in Höhe von 0,3 Prozentpunkten zu erhöhen. Der hier vorliegende Entwurf verfolgt also das Ziel, die GKV-Finanzen zu stabilisieren, ohne dabei auf Leistungskürzungen zurückgreifen zu müssen, was ich für meine Fraktion ausdrücklich begrüße.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, mit dem vorliegenden Gesetz wird ein kurzfristiger Ausgleich des Defizits von 17 Milliarden Euro erreicht. Die Fortschrittskoalition vertritt allerdings den Anspruch, die GKV-Finanzen langfristig, verlässlich und somit krisenfest aufzustellen. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, halten wir tiefgreifende Strukturreformen im Gesundheitssystem für unumgänglich. Von der Krankenhausfinanzierung über die Ambulantisierung bis hin zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege werden wir Reformvorhaben anhand unserer Koalitionsvereinbarung sukzessive abarbeiten.

Denselben Anspruch hegt meine Fraktion, wenn es um die nachhaltige Finanzierung der GKV geht. Auch hier werden wir uns an den Leitplanken des Koalitionsvertrages orientieren. Das schließt ausdrücklich die regelhafte Dynamisierung des Bundeszuschusses sowie höhere Beiträge für die Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosengeld II aus Steuermitteln mit ein.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Fraktion strebt weiterhin eine ausgewogene Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung an. Dabei spielt auch die Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze eine gewichtige Rolle.

(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss. Das Wesen der parlamentarischen Demokratie ist der Kompromiss, und in Zeiten, wo eine Krise die nächste jagt, muss der Parlamentarismus genau hierdurch seine Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen. Schließlich geht es um nicht weniger als die zentrale Säule unseres Solidarsystems, die gesetzliche Krankenversicherung. Diese gilt es zu stützen, und es gilt, die Lasten dabei gerecht zu verteilen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Nächster Redner: für die CDU/CSU-Fraktion Tino Sorge.

(Beifall bei der CDU/CSU)

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Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/7546172
Wahlperiode 20
Sitzung 55
Tagesordnungspunkt Finanzielle Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung
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